LVDOWIGVS von Lüttelnau

Axel Kruse

Axel Kruse ist ein Autor, welcher die Kompaktheit liebt. Nicht selten sind seine längeren Novellen bzw. Kurzromane umfangtechnisch knapp über einhundert Seiten und trotzdem gehaltvoller als manche Trilogie. Im Anhang seines neusten Paranoiathriller, in der Gegenwart spielend, findet sich die Kurzgeschichte „Rothenburg“, die Basis des vorliegenden Romans. Es empfiehlt sich vielleicht sogar, zu erst die Kurzgeschichte zu lesen. Während die erste Hälfte der Kurzgeschichte deckungsgleich mit den entsprechenden Kapiteln im Roman ist, bleibt der Autor abschließend im kürzeren Text ein wenig vager und lässt der Phantasie des Leser noch ein wenig mehr Spielraum.

 Die Langfassung wird den Leser unabhängig von der fehlenden fiktiven Dokumentationsarbeit eher an Rainer Erlers „Die Delegation“ denn die Verschwörungsthriller eines Dan Browns erinnern. Axel Kruse beginnt in der relativen Gegenwart mit einem Prolog, den im Jahre 2013 ausgerechnet in Essen- Kettwig spielt. Das Vorwort von Oliver Spanier weist auch auf die besondere Bedeutung des Ortes für Axel Kruse hin. Im Epilog wird der Prolog abgeschlossen. Dazwischen findet sich eine über Jahrzehnte andauernde Suche nach einer wahrscheinlich relativen „Wahrheit“.

 Bevor näher auf die zahlreichen vorhandenen Stärken des Buches eingegangen werden soll und kann, sollte man sich mit der einzigen, aber auch kontinuierlichen Schwächen Axel Kruses auseinandersetzen. Der Autor konzentriert sich derartig auf seine Plots und deren Stringenz, das man sich manchmal ein wenig mehr Fleisch wünscht. Eine Wendung in der Handlung mehr; ein unabhängig vom zugrundeliegenden Plot falscher Weg oder eine Nebenfigur, die sich als Verräter oder einfach nur als falsch erweist. In dieser Hinsicht geht im vorliegenden Band zu vieles zu glatt. Damit soll auf keinen Fall ausgedrückt werden, das „LVDOWIGVS von Lüttelnau“ nicht wirklich kurzweilig unterhält, aber manchmal möchte man vielleicht einen Moment länger in diesem Universum verweilen.

Der Plot konzentriert sich aus Sicht des Lesers auf den Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern. Christian Hartwig ist Professor geworden. Seine Abschlussarbeit hat er über den dreißigjährigen Krieg und die fehlende Plünderung von Rothenburg durch die erobernden Truppen geschrieben. Seine damalige Freundin und spätere Frau Monika hat ihm eine obskure seltene Buchausgabe Lvdowigvs von Lüttelnau geschenkt, in welcher dieser nicht nur von seinen drei seltsamen Diener n schreibt, sondern von der eher ins Reich der Legenden gehörenden Wette, welche die Stadt vor der Plünderung bewahrte.

Das Thema lässt Christian von Hartwig nicht wirklich los. Über mehr als zwanzig Jahre besucht er unter anderem die Archive im Vatikan, um mehr über diesen Chronisten zu erfahren. Er stiehlt anscheinend den letzten Brief, den Lüttelnau vor seinem Tode verfasst hat. Dort berichtet er vom Schicksal der verkrüppelten Diener und bittet anscheinend auch um Milde. Nur passt dieser Brief nicht zu den Aufzeichnungen, welche an anderen Quellen ihm zugänglich gemacht worden sind. Für Christian Hartwig stellt sich die Frage, ob Rothenburg nicht wegen der Wette, sondern der drei seltsamen Gestalten verschont worden ist und ob es sich vielleicht sogar um Außerirdische handelte, die während des dreißigjährigen Krieges ausgerechnet in Rothenburg gestrandet sind.

Christian Hartwigs Gegenspieler ist Brina, ein Mann der Kirche mit allerdings auch einer Walter PPK in der Manteltasche. Brina scheint im Gegensatz zu seinem direkten Vorgesetzten eher entschlossen zu sein, die Geheimnisse der Kirche zu bewahren. Brina ist eine charismatische Persönlichkeit, hinter dessen fast nervender Freundlichkeit eine Entschlossenheit verbirgt, die nicht unbedingt überrascht, aber fasziniert.

Bei Brina manifestiert sich die Stärke und die Schwäche des Buches am Besten. Axel Kruse versucht die abschließenden Motive der Kirche darzustellen. Die Ironie ist, dass Christian Hartwig zwar nahe dran gewesen ist, aber angesichts des Wissensvorsprungs Brina keine reelle Chance gehabt hat, das Rätsel beweisbar zu lösen. Daher wirkt die Jagd nach dem einen Schriftstück eher wie eine Auseinandersetzung zwischen Hase und Igel. Zwar wird der Kreis gegen Ende des Buches noch einmal erweitert, aber den Hinweisen wird nicht abschließend gefolgt. Denn die gestohlene Beichte geht auf den abschließenden gefundenen Gegenstand noch gar nicht ein. Der Katalysator der Suche ist das mögliche Vorhandensein eines alten Tunnels, um den sich wiederum Legenden ranken. Und dort könnte in der Theorie genau das Beweisstück liegen, das Christian Hartwig unter der einen Eiche vermutet hat und das ihm beinahe seine Reputation gekostet hätte.

Auch dieser Dreh- und Angelpunkt der Handlung wird abschließend eher ignoriert als von Brina effektiv ausgenutzt. Immerhin hat sich Christian Hartwig einmal schon kräftig blamiert und steht während des ganzen Plots ohne stichhaltige Beweise da.

Daher wirkt die Aussage am Ende des Prologs auch eher wie eine zynische Gefälligkeit, denn Hartwig kann wahrscheinlich bis zum Jüngsten Gericht weitermachen, er wird nichts Konkretes in den Händen halten. Da bringt es auch nichts, wenn der eine Vorgesetzte aus eher ambivalenten Gründen zurückgetreten ist. Angeblich hat er dem Druck nicht standhalten können.

Dann muss schon deutlich mehr in den kirchlichen Archiven liegen. In diesem Punkt wird der Leser ein wenig frustriert an zahlreiche „The X- Files“ Folgen erinnert, in denen nicht nur Mulder und Scully aus Mangeln an Beweisen mit leeren Händen dagestanden haben, sondern vor allem in denen es bei Andeutungen geblieben ist. Nur die Phantasie der Leser zu kitzeln ist auf der einen Seite schön, auf der anderen Seite lässt es diese aber auch hungrig zurück.

Vielleicht wäre „LVDOWIGVS von Lüttelnau“ ein noch unterhaltsamerer Thriller gewesen, wenn Brina aus persönlich wie sadistischen Gründen Christian Hartwig immer wieder am Leben gelassen hätte. Der Vergleich mit dem Hamster auf dem Laufrad hätte hier besser umgesetzt werden können.

Der Leser muss Brina allerdings auch für seine Beharrlichkeit bewundern. Seine Männer tragen schließlich Hartwigs zweiter Frau bzw. Freundin sogar den Einkauf in die Wohnung, damit man die Routine der wirklich echten Langzeitüberwachung durchbricht und eine Art von Erfolg feiert.

Das die geballte Kraft und die forschenden Geister des Vatikans aber über einen derartig langen Zeitraum nicht ebenfalls auf die einzelnen Hintergründe gekommen wären, erscheint unwahrscheinlich. Immerhin haben sie lange genug die nicht unbedingt wichtigste Seite des Dokuments wieder in ihren Händen, während Christian Hartwig eher improvisieren muss.

 Die beiden Frauenfiguren sind eher pragmatisch beschrieben worden. Die erste Freundin und spätere Frau mit ihren eher schwierigen wie erzkonservativen Eltern und als Gegenentwurf die junge Angestellte im Stadtarchiv von Rothenburg, die auf ältere Männer steht und schließlich Hartwig nicht nur bei einer gefährlichen Mission begleitet, sondern eine Art Resonanzkörper für seine plötzlich wieder aufflammenden Spekulationen darstellt. Axel Kruse begnügt sich mit Oberflächlichkeiten, wobei Steph alias Stephanie eine ausbaufähige Figur hätte verkörpern können.

 Das Geheimnis dieser im übertragenen Sinne Bundeslade ist ohne Frage interessant und Axel Kruse überzeugt mit seiner Balance aus vagen Andeutungen und konkreten Informationen immer aus historischer Sicht. Wie Christian Hartwig wird auch die Phantasie der Leser ohne Frage angeregt. Am Ende bleiben viele Fragen offen, wobei das Zitat Papst Franziskus zeigt, dass anscheinend die Kirche sich Axel Kruses in der Kurzgeschichte entwickelten Spekulation anpasst.

 Zusammenfasst präsentiert der Autor mit „LVDOWGIVS von Lüttlenau“ in Hinblick auf seine Langformen einen ungewöhnlichen Roman. Aber auch schon in „Glühsterne“ hat der Autor bewiesen, das er aktuelle und kritische Themen in Science Fiction Abenteuergeschichten integrieren kann. Vielleicht wie angesprochen ist die Geschichte positiv wie negativ ein wenig zu glatt; die einzelnen Szenen reihen sich zu nahtlos aneinander und Brina hätte auch gegen den Willen seiner Vorgesetzten das Thema schon lange risikolos beenden können. Ob man alleine von kirchlicher Verantwortung dem Leben gegenüber sprechen kann, muss der Leser selbst beantworten. Zumindest weicht der Autor einem klassischen Finale aus, in dem er im Augenblick der größten Spannung eine Seite zurücktreten und dem Anderen das Feld überlassen lässt. Das passt gar nicht zu den Paranoiathrillern der Gegenwart. In einer anderen Hinsicht wirkt es aber auch überzeugend, da realistisch gesprochen der sehr erfolgreiche „Kampf“ eines Einzelnen gegen eine mächtige Organisation wie weniger die Kirche, sondern der Vatikan die Grenzen der Glaubwürdigkeit mindestens gedehnt, wenn nicht sogar gesprengt hätte. Axel Kruse hat zusätzlich positiv seinem Buch eine gewisse „Wahrheit“ verliehen, in dem er immer wieder Fakten aus der Gegenwart einbezogen, aber ein wenig verzerrt interpretiert hat. Eine weitere Stärke des kurzweilig zu lesenden Thrillers, der unabhängig von den kleineren, angesprochenen Schwächen in markanter Axel Kruse Manier kompakt geschrieben, spannend konzipiert und von einem hohen Tempo gekennzeichnet ist.

  • Taschenbuch: 118 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel (29. Januar 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651530
  • ISBN-13: 978-3957651532
  • LVDOWIGVS von Lüttelnau
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