The Magazine of Fantasy & Science Fiction November/ December 2018

C.C. Finlay
Neben dem Hinweis auf die zahlreichen verstorbenen nicht selten ehemaligen Mitarbeiter an „The Magazine of Fantasy& Science Fiction“ zeichnet die letzte Ausgabe des Jahres 2018 ein Hang zur Phantastik, weg von der reinen Science Fiction aus. Auch die einzelnen Kolumnen ordnen sich diesem Trend unter, in dem nicht nur Charles de Lint mit seinen Buchrezensionen, sondern auch David Skal mit seinem Blick auf zwei sehr unterschiedliche Filme ein erweitertes Spektrum anbieten. Dazu passt, das auch in der abschließenden Sparte mit Kuriositäten ein sekundärliterarisches Werk besprochen wird.

Bei den wenigen längeren Texten, aber zahlreichen teilweise sehr kurzen Storys dominieren die Fantasy und Weird Storys. So beschreibt Jeffrey Ford in seiner „Thanksgiving“ Geschichte den ominösen Gast, der immer dabei ist, den aber niemand kennt. Am Ende dieser süßsauren Geschichte steht die Erkenntnis, dass ein anfänglich unbekannter, inzwischen vertrauter Gast mehr wert als die Suche nach der Wahrheit.  Auch Abra Staffin- Wiebes „Overwintering Habits Of The North American Mermaid”  passt zu einer November/ Dezember Ausgabe, wobei der Titel den Inhalt schon augenzwinkernd gut zusammenfasst.  

 Klassische Fantasy bietet nicht nur „The Lady of Butterflies“ von Y. M. Pang. Eine junge Frau erscheint unter mysteriösen Umständen am königlichen Hofe. Rikara ist die Leibwächterin des Herrschers und soll die junge Frau namens Morieth auf der einen Seite unterrichten, auf der anderen Seite ihre Vergangenheit durchleuchten. Als der Herrscher beginnt, für Morieth Gefühle zu empfinden, droht das Gleichgewicht zu kippen. Rikara muss sich zwischen ihrer bislang bedingungslosen Loyalität gegenüber dem Herrscher und dieser geheimnisvollen Frau entscheiden. Auch wenn der Text sehr stimmungsvoll ist, bewegt sich Pang zu Beginn in bekannten Bahnen und kann nur während des Finales eine allerdings auch vom Titel bestimmte interessante Idee präsentieren. Vielleicht wäre diese Liebesgeschichte als Novelle oder gar Roman überzeugender als in der vorliegenden komprimierten Form.  

Robert Reed erzählt eine weitere Geschichte um seinen Protagonisten Raven Dream. Er hilft Mara und Greggie, als ihr Flugzeug abstürzte und rettete sie vor One- Less. Raven wird zu seinem Onkel geschickt, der ihm eine engere Verbindung zur Natur beibringen soll. Robert Reed versucht seinen Hintergrund dadurch zu verfremden, in dem der Erzähler Raven vor allem fremdartige Begriffe für Dinge benutzt, welche dem Leser eigentlich vertraut sein sollten. Wenn diese Verfremdung durchschaut worden ist, verläuft der Plot in eher ruhigen Bahnen, auch wenn Robert Reed kein überzeugender Spannungsaufbau gelingt.

Zwei Geschichten in dieser Ausgabe handeln von Inseln. Bo Balders „The Island and Its Boy“ ist dabei die Abschlußstory der ganzen Ausgabe. Vor allem der Hintergrund überzeugt. Imus Volk lebt in dieser Fantasywelt auf einer kleinen insel, welche den Pol umkreist. Eine kleine Insel taucht am Horizont auf. Imu beschließt, auf der kleinen Insel zu bleiben. Bo Balder packt basierend auf dem Volk der Eskimos einige Coming of Age Elemente in die stringente Handlung. Es geht darum, Tradition zu wahren und trotzdem zu neuen Ufers aufzubrechen. Die Charaktere sind gut abgerundet und ihre Handlungen klar nachvollziehbar.  Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass selbst ein Eskimo als Gemeinschaftswesen auf den Gedanken kommt, ein neues Volk auf einer anderen Insel nur mit einer einzigen Frau zu beginnen.

Die Science Fiction Geschichten könnten nicht unterschiedlicher sein. „Extreme“ von Sean McMullen zeigt einen Adrenalinjunkie, dessen genetischer Marker angeblich ihn zwingt, immer wieder neue Extreme aufzusuchen. Für sein letztes Abenteuer wird er von einer Frau namens Husky angesprochen. Er übernimmt ohne Kenntnisse der Folgen den Job. Das Ende ist zynisch und soll aufzeigen, dass die Reichen andere Vorstellungen haben als die meisten Menschen. Leider hat Sean McMullen den Text auf einzelne interessante Szenen komprimiert und den Hintergrund der extremen Kultur zu wenig überzeugend weiterentwickelt. Die Ansätze sind aber ohne Frage da.

Von Hanus Seiner stammt „The Iconoclasma“ . Die Terbius wird von einer unbekannten Macht angegriffen. Alle Luftschleusen werden aufgesprengt und zahlreiche Besatzungsmitglieder sterben im All. Die Überlebenden versuchen den Angreifer zu identifizieren. Auf der zweiten Handlungsebene versucht Sandra eine Art „Waffe“ zu entwickeln, mit welcher die Iconoclasma bekämpft werden können.

Anstatt den Plot aus sich selbst heraus zu entwickeln, scheint Hanus Seiner seiner Geschichte nicht zu vertrauen und fügt sehr viele teilweise ausgesprochen nebensächliche Informationen hinzu. Dadurch wirkt der Text schwerfälliger als er im Grunde sein muss und leider wegen der wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten sein darf.  Keiner der Protagonisten geht einen einfachen Weg, was auch zu Lasten der Glaubwürdigkeit geht.

Die Übersetzung ist solide, auch wenn der begabten Autorin irgendwie an einigen Stellen das Gefühl für Dynamik fehlt und sie lieber eine Art belehrenden Kunstroman geschrieben hätte.  Auch das Ende mit den sich zurückziehenden Menschen, die auf die nächste Chance warten, wirkt zu pazifistisch, um glaubwürdig zu sein. Die Ausgangsidee ist vielleicht nicht einmal schlecht, sie wird aber umständlich und leider eher den Gesetzen der alten osteuropäischen Science Fiction folgend präsentiert. 

Geoff Ryman präsentiert mit "The Constant Narrowing" die einzige echte Horrorgeschichte dieser Ausgabe. Die Prämisse ist altbacken. Alle Frauen sind aus einem wenig erklärten Grund verschwunden. Die Männer bleiben mit ihren natürlich aufgestauten sexuellen Energien und Frustrationen zurück. Der Protagonist ist zu Beginn der Geschichte Opfer eines sexuellen Jägers oder bessere Vergewaltigers, die möglichst viele Abschüße sammelt. Er versucht seinem Jäger zu entkommen und erinnert sich gleichzeitig an eine Welt mit Frauen, die so viel lebenswerter gewesen ist. Verwirrend ist, das nach und nach weitere in diesem Fall männliche Gruppen verschwinden, ohne das es wirklich jemanden stört. Dadurch wirken die surrealistischen Thesen zu Beginn der Story unglaubwürdig. Vor allem ist es schwer, sich wirklich in diese Figuren einzuleben, die Geoff Ryman anscheinend mit fast sadistischer Freude so verzerrt dargestellt hat.
 
In den Bereich der Weid Fiction fällt Nina Kiriki Hoffmans "Other People´s Dream". In dieser Welt können Träume wie Handwerkskunst erschaffen werden. Man muss ausgebildet werden. Im Mittelpunkt steht die Auszubildene eines Traummeisters. Erst als die Vergangenheit die junge Schülerin einholt, erkennt sie, welche Fähigkeiten sie erlernt. Wie bei vielen ihrer Geschichten gibt sich Nina Kiriki Hoffman ausgesprochen viel Mühe, den Hintergrund ausführlich und doch pointiert zu erschaffen. Sie beschreibt die intensive Verbindung zwischen Träumen und "Realitäten" und zeigt, das viele Menschen einfach nur schöne Träume kaufen möchte und auf Exzentrik keinen Wert legen. Das Potential für weitere Texte ist in diesem Universum ist vorhanden, zumal die Autorin die Phantasie seiner Leser nicht einschränkt, sondern sorgfältig differenziert ihre Welten entwickelt.
 
Mit einem Märchen basierend auf italienischen Legenden wird der Fantasypart der Ausgabe abgeschlossen. Ein Prinz versucht die Tochter eines Barons zu verführen, die buchstäblich unter der Decke schwebt. Der Prinz will sie heilen, allerdings hat diese Odyssee einen bittersüßen Beigeschmack. Nick Dichario verblüfft in "The Baron and his Floating Daughter" mit der Tatsache, dass er in der zweiten Hälfte der Geschichte den märchenhaften Verlauf auf den Kopf stellt und deutlich macht, dass Prinzessin auch ohne auch ihren Traumprinzen leben kann. Es sind die vielen kleinen Ideen präsentiert mit einer humorvollen Note, welche den Text aus der Masse ähnlicher moderner Märchen herausheben.
 
Die dritte reine Science Fiction Geschichte "When We Flew Together Through the Ice" von J.R. Dawson ist vielleicht die am meisten überzeugende Story. Eine Mutter flieht mit ihren beiden Kindern in die Tiefen des Alls, um zwischen den Sternen eher zu überleben als zu leben. Die Töchter wollen sich von der dmominanten Mutter lossagen und ein eigenes Leben beginnen. Die Mutter hat die Töchter aber jeweils mit einer individuellen K.I. versorgt. Perry Rhodan Leser könnten von einer Art Extrasinn sprechen. Das stellt ihre Entscheidungen in Frage. Handeln sie aus freiem Willen oder ist es Teil eines Plans, den die paranoide Mutter ihnen nicht offenbart hat? Gute Charaktere, schnelle Actionszenenund ein solider Hintergrund lassen J.R. Dawsons Arbeit überdurchschnittlich erscheinen, auch wenn der Leser hinsichtlich der Logik nicht unbedingt unter die Oberfläche schauen sollte.
 
Die letzte Ausgabe des Jahres 2018 ist für "The Magazine of  Fantasy and Science Fiction" eher durchschnittlich. Einige gute unterhaltsame Texte, aber auch sehr viel Durchschnitt. Alleine die thematische Bandbreite ist zufriedenstellend und zeigt, das C.C. Finlay dem Titel des Magazins immer Ehre zu machen sucht.
 
 


Taschenbuch, 256 Seiten

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