Der Zeitsprung

Robert A. Heinlein

Der Heyne Verlag legt mit „Der Zeitsprung“  einen der ersten politisch umstrittenen Romane Romane aus der Heinleinära wieder auf, in welcher er sich von einem populären wie erfolgreichen Jugendbuchautoren zu einem kritischen, für viele auch reaktionären Unruhegeist im Genre entwickelte. Das Buch ist vor vielen Jahren unter dem passenderen Titel  „Farnham´s Oase“ ungekürzt im Bastei Verlag publiziert worden. Robert A. Heinlein hat seinen Roman im Original „Farnham´s Freehold“ genannt und nicht umsonst endet das Buch in typischer Frontiermanier unter dem im Winde wehenden Sternenbanner. In den USA 1965 publiziert brachte es der Heyne Verlag schon zwei Jahre später unter dem ebenfalls irreführenden Titel „Die Reise in die Zukunft“ das erste Mal in seinem Science Fiction Programm.

Aus heutiger Sicht interessant ist, dass Robert A. Heinlein nur bedingt auf die für ihn überraschende Reaktion auf „Mann in einer fremden Welt“ reagiert hat. Mit dem 1961 veröffentlichten Roman sprach er plötzlich die junge Generation, die sich noch bildende Hippie Kultur an, obwohl ihm diese Menschen vom Wesen her fremd gewesen sind. Viele sahen in dem auf den ersten Blick sehr konservativen, zwischen den Zeilen brutalen Roman „Farnham´s Freehold“ seine Antwort. Das stimmt nur bedingt, das Buch ist im Grunde eine Fingerübung für sein nächstes und für viele auch letztes Meisterwerk „The Moon is a Harsh Mistress“, in dem es um die Befreiung einer kleinen Kolonie von Menschen auf dem Mond geht. Diesen Aufstand versuchen die wenigen überlebenden Amerikaner auch am Ende des vorliegenden Buches, sie scheitern aber. Interessant ist, dass Scheitern nicht gleich „tot“ ist, sondern eine auf den ersten Blick kongeniale, kritisch gesehen aber auch verzweifelt nach einem Happy End suchende Lösung gefunden worden ist. Zwischen „Mann in einer fremden Welt“ und „Der Zeitsprung“ stehen aber mit „Straße des Ruhms“ und dem unterschätzten „Bürgerin des Mars“  zwei konträre Bücher, in denen nichts von einer Reaktion auf die eher ungewünschte Popularität seines Buches zu erkennen ist.

Viel mehr spiegelt „Der Zeitsprung“ Robert A. Heinleins Unzufriedenheit mit dem amerikanischen politischen System auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges genauso wieder wie dessen Überzeugung, dass ein Mann zuerst für seine Familie handeln muss und deren Überleben über allem zu stehen hat.

Auch wenn der Roman in drei sehr unterschiedliche Abschnitte zerfällt und der Leser spätestens mit dem Auftreten der „Fremden“ den Eindruck hat, als habe sich Robert A. Heinlein verlaufen, ist der Auftakt des Buches ausgesprochen stark, provokativ und interessant.

Farnham ist ein Unternehmer, ein Macher. Wie er später berichtet, hat er sich alles selbst aufgebaut. Das erste Haus mit geliehenem Geld gekauft, renoviert und verkauft. Der Beginn seiner Maklerkarriere. Vorher hat er lange Zeit bei der Marine auch im Zweiten Weltkrieg gedient. Wie Robert A. Heinlein, dessen Farnham wahrscheinlich am ehesten dem Autoren entspricht. Neben der militärischen Vergangenheit, wobei Heinlein aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert worden ist, ist es die Idee eines Mannes, der alles schaffen kann. An seiner Seite steht allerdings eine schwache. Auch Heinleins erste Frau litt schließlich unter ihrer Alkoholsucht. Später lernte er eine jüngere Frau kennen, die mit ihrer Dynamik ihn beflügelte. Auch bei Farnham handelt es sich um einen Mann, der anfänglich fürsorglich sich um seine Alkoholkranke Frau bis zu einem bestimmten Grad kümmert, sie dann aber nach der „Auflösung der Ehe“ nicht unbedingt vor dem Gesetz in andere Hände übergibt, um mit seiner jüngeren, von ihm schwangeren Geliebten die eigene Zukunft zu formen.

Wie viele Amerikaner inklusiv Robert A. Heinlein hat Farmham in seinem Garten einen Bunker gebaut. Jeden Moment erwartet er den Angriff der Russen. Er hat auch einen Knopf im Ohr, um auf kritische Nachrichten zu reagieren. Als aus dem Nichts heraus der Angriff der Russen erfolgt, flüchtet er mit seiner Frau Grace, seinem Sohn Duke, der Tochter Karen, dem Hausdiener Joseph und der auf den ersten Blick zufällig anwesenden, aber in Farmhams Leben eine wichtige Rolle spielenden Barbara Wells in den Bunker. Auch die Hauskatze Doc ist dabei.

Die ersten Szenen mit den Einschlägen, die erdrückende Atmosphäre und vor allem die globale Vernichtung beschreibt Robert A. Heinlein ausschließlich aus der subjektiven Perspektive innerhalb des Bunkers auf der einen Seite intensiv und überzeugend, auf der anderen Seite in einem sich durch den ganzen Roman ziehenden belehrenden Ton, mit dem Farnham immer wieder seine intellektuelle Überlegenheit im Grunde auf allen Gebieten demonstriert.

Der Zeitsprung durch eine besondere Explosion oder übernatürliches Glück katapultiert entweder den ganzen Bunker oder nur die Menschen in eine ferne Zukunft. Sie haben sich örtlich nicht bewegt. Nur finden sie keine Zerstörungen mehr, sondern unberührte wunderschöne Natur. Der zweite große Handlungsabschnitt ist eine Robinsonade mit dem alltäglichen Kampf gegen die kleinen Schwierigkeiten. Grace verbraucht den letzten Alkoholvorrat und findet ihren Mann trotzdem abscheulich. Die beiden Frauen sind von unterschiedlichen Männern schwanger. Genau wie die Katze. Anscheinend fand die Empfängnis zumindest bei der Tochter Karen vor dem Atomangriff statt.  Farnham freut sich über die potentielle Auffrischung des Genpools, da ansonsten ja nur Duke oder er selbst für Barbara sowie der Farbige für die eigene Tochter „zur Verfügung ständen“. In rassistischer Hinsicht ist dieser Gedanke einer Fortführung der amerikanischen Farnharm Familie sehr kritisch zu sehen. Farnham ist ein erzkonservativer Amerikaner, aber kein Rassist. Es sind immer wieder die anderen Familienmitglieder, die über dem fleißigen Hausdiener Joseph alle Vorurteile gegenüber dem schwarzen Mann ausbreiten. Von einer fiktiven Faulheit bis zum Drang, hilflose weiße Frauen zu vergewaltigen. Obwohl Farnham Joseph niemals als einen ihm ebenbürtigen Mann sieht, ist er für ihn auch kein moderner Sklave. Heinlein arbeitet diesen Punkt nicht abschließend genug heraus, um überzeugen zu können.   

Die Zukunft wird in Farhams Oase wie auch bei der Begegnung mit den Zukunftsmenschen vom Herrscherinstinkt bestimmt. Farnham ist entschlossen, bedingt rücksichtslos, ein Alleswisser und mindestens ein Fastalleskönner, auch wenn er in einem Punkt kläglich doppelt scheitert. Aus der doppelten Tragödie erwächst schließlich eine Art persönliche Oppositon, angetrieben von seiner Alkoholkranken Frau ausgerechnet in dem Moment, in dem sich Farnham entschließt, die versteckte Destille aufzubauen.

Parallel wird der Bunker durch den Tyrannen Pense entdeckt, einen Großgrundbesitzer einer bevölkerungstechnisch ausgedünnten Erde. Während Farnham die Seinen bestimmt, aber zielfördernd zur Arbeit angetrieben hat, ist Pense ein kanibalischer Tyrann in einer Gesellschaft, die archaisch und technisch modern zugleich auf Sklaverei aufgebaut ist. Zwei Punkte sprechen aber für Farnham und die Seinen. Sie bringen ihm das Brdigespiel bei und Grace findet seinen Gefallen in einer klassischen Machogesellschaft auch mit vor allem weiblichen Bettwärmern. Sexuelle Freizügigkeit inklusiv des älteren, omnipotenten Mannes mit einer jungen Geliebten hat Robert A. Heinlein im ersten Abschnitt des Buches eher implizierend angesprochen, mit Pense erweitert er diese Idee auf eine Gesellschaft, die an die Harem- und Herrscherstrukturen der aus den Märchen von „1001“ Nacht bekannten Welt erinnern. Farnham soll die alte Sprache übersetzen.

Auch wenn der Plot lange Zeit auf bekannten Wege verläuft, verblüfft der Amerikaner mit einer letzten, aus dem Nichts kommenden Wendung in dem Augenblick, in dem Farnham im Grunde in die Ecke getrieben worden ist. Heinlein versucht seine Ideen zu relativieren, in dem er eine zweite Zeitachse etabliert und Farnham im Grunde aufgrund seiner Erfahrungen mit der richtigen Frau an seiner Seite in Frontiermentalität nicht nur die eigene Familie schützen, sondern das korrupte Amerika in seiner zurückgebliebenen primitiven Form wieder aufbauen kann. Bis es dazu kommt, verblüfft der ein wenig schmierig charakterisierte Pense in doppelter Hinsicht. Auch Kannibalen können intelligent sein. Als paranoider Herrscher kann er es nicht erlauben, dass seine Untergebenen mehr oder anderes Wissen als er selbst haben. Weiterhin ist ihm klar gewesen, dass er Farnhams Freiheitsdrang nicht einschränken kann. So wäre es in der Theorie zu einem schwerwiegenden Missverständnis gekommen. Weitere Argumente liefert er nicht. Dadurch wirkt die finale Konfrontation vor allem angesichts der Brutalität gegenüber Untermenschen (= Sklaven) fast surrealistisch.   

Es ist durch die Hautfarbe der neuen in der fernen Zukunft aber auch primitiv lebenden Herrenrasse eine Umkehrung der amerikanischen Sklavenhaltung, die Farnham niemals gut geheißen hat. Farnham hat seinen farbigen Hausdiener hart, aber fair behandelt.  Auch wenn Religion nicht angesprochen wird, sind eher historische muslemische Züge zu erkennen. Ein Streifzug durch die Geschichte zeigt die Verzerrung verschiedener Religionsaspekte. Aber über Exkursionen in die Bereiche Politik und Rasse schießt de Autor schon vorher hinaus.     

So hat Heinlein durch Farnham schon deutlich gemacht, dass beim alltäglichen Überlebenskampf nach der Zerstörung der Zivilisation alleine der Wunsch der nur noch ertragenen, aber nicht mehr geliebten Gattin ausreicht, um geschieden zu werden. Bei der neuen Geliebten ist Farnham anfänglich ein wenig begriffsstutzig und möchte einen Moment der Jugend das Feld überlassen, bevor er es relativiert und selbst in Anspruch nimmt, was ihm eigentlich nach einigen nebenbei hingeworfenen Bemerkungen schon „gehören“ müsste.  Ohne die sozialen Ansprüche an ihn und in einem gesetzlichen Niemandsland sowohl im Bunker, in der Wildnis der Zukunft und selbst in der Konfrontation mit dem moralisch ihm unterlegenen Tyrannen Pense blüht Farnham noch mehr auf als in den wenigen Szenen, die in einer für den Leser griffigen Normalität spielen.   

Es ist erstaunlich, wie beharrlich Heinleins Ode an das wahre Amerika, an den Überamerikaner, der allzeit bereit und paranoid dominant zugleich ist, sich hält. Es ist die dritte Ausgabe des Buches, der Text wurde noch einmal überarbeitet. Es ist weiterhin die ungekürzte Ausgabe, in denen der Patriot Heinlein erzkonservativ sein erstaunlich konservatives – hinsichtlich Politik und Wehrhaftigkeit – wie progressives – Auflösen des Familienverbundes, sexuelle Freizügigkeit – dank Farnhams Monologe präsentiert und extrapoliert. Grundsätzlich ist es kein gutes Buch, die drei großen Abschnitte inklusiv der zweiten Chance wirken nur bedingt miteinander verbunden und das Tempo ist nach einem guten Auftakt eher schleppend. Es ist aber ein für Heinlein typisches Buch, über dessen provozierenden Grundton der Leser streiten und vor allem diskutieren kann. In dieser Hinsicht hat der Amerikaner wieder der aus seiner Sicht verweichlichten Masse gezeigt, was mit Menschen passiert, die unvorbereitet sind. Sie sterben.

Der Titel „Der Zeitsprung“ ist unglücklich gewählt und legt den Fokus auf eine Idee, die Heinlein als MacGuffin genommen hat, um in der Zukunft seine Sicht einer politisch funktionierenden Ordnung im Kleinen wie im Großen zu beschreiben.    

 

Der Zeitsprung

Originaltitel: Farnham's Freehold
Originalverlag: Heyne
Taschenbuch, Broschur, 432 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-31627-0