Der intergalaktische Hypermarkt

Somtow Sucharitkul

1981 veröffentlichte Somtow Sucharitkul mit "Mallworld" einen aus Kurzgeschichten zusammengesetzten Episodenroman. Im Original "Mallworld" genannt erschien das Buch unter dem Titel "Der intergalaktische Hypermarkt" im Rahmen der Goldman Science Fiction Reihe. Es ist dei bislang einzige deutschsprachige Veröffentlichung.

Fünfunddreißig Jahre später hat S.P. Somtow für die amerikanische Neuausgabe eine Art ultimative Ausgabe zusammengestellt, die für englischlesende Interessenten natürlich empfehlenswerter ist. Es sind alle Kurzgeschichten zusammengefasst. In der Starblaze Edition fehlte wie in der deutschen Ausgabe eine Geschichte. Zusätzlich sind aber auch alle fiktiven Anzeigen nachgedruckt worden, die sowohl in der amerikanischen TOR Edition wie der deutschen Veröffentlichung ignoriert worden sind. Dazu ein neues Vorwort und die verschiedenen Titelbilder. 

 Der Episodenroman setzt sich aus zwei sehr konträren Ideen zusammen. Den Rahmen und die Sehnsucht der Menschen bildet die Isolation des Sonnensystems durch eine in der Theorie mächtige außerirdische Rasse. In jeder der zusammengefassten Kurzgeschichten werden die Fremden erwähnt oder sie spielen eine Rolle. Die Blase um das Sonnensystem soll die Menschen vor dem da draußen genauso schützen wie die Fremden vor der Menschheit, wobei der Autor die Frage ignoriert, ob der Homo Sapiens technisch überhaupt in der Lage ist, die Grenzen des Sonnensystems zu verlassen. Dieser Themenstrang wird leider nicht abgeschlossen.

 Bislang ist „Mallworld“ auch nicht Teil einer Serie geworden, so dass der Leser nicht beurteilen kann, in welche Richtung sich abschließend der Plot entwickeln könnte.

 Das stärkere Element und ein satirisches Angriff auf das absolute wie absolutistische Konsumverhalten ist die „Mallworld“. Es handelt sich nicht um einen Planeten, sondern eine gigantische immerhin dreißig Kilometer lange Shopping Mall, die in der Nähe des Jupiters im Orbit kreist. Da die drei äußeren Planeten vom Rest des Sonnensystems durch die Barriere abgeschnitten worden sind, handelt es sich gleichzeitig um das Ende des erreichbaren Universums. In einer der letzten Geschichten wird Somtow Sucharitkul einmal auf die gigantischen ungenutzten Flächen dieser ultimativen Einkaufszone eingehen, in der es wirklich alles von Lebensmitteln über Waffen bis zu käuflichen Sex jeglicher Art bis auf Bücher gibt. Nur eines findet man in einem der Antiquitätenladen in den unteren Ebenen dieser Welt.

 Somtow Sucharitkul hat den Episodenroman geschickt aufgebaut. Alle Texte sind in der Ich- Erzählerebene erzählt worden. Die jeweiligen sehr unterschiedlichen Protagonisten stellen sich zu Beginn der jeweiligen Story dem Leser vor. Mit dem naiven Mädchen aus dem konservativ christlichen Bible Belt – hier denkt man automatisch an den Asteroidengürtel – lernt der Leser wichtige Aspekte der „Mallworld“ buchstäblich auf Augenhöhe und jenseits der verzerrten Legenden kennen. Aber Sucharitkul erweitert seine Schöpfung in jedem Kapitel quasi um eine neue Ebene. Der Plot ist vernachlässigbar. Das junge Mädchen wandert durch die gigantischen Gänge, versucht das wenige Geld zusammenzuhalten und weit weg von ihrer dominanten Familie zu überleben.

 Erst in der zweiten Geschichte lernt der Leser mit Julian barJulian ein Mitglied einer der reichsten Familien des Sonnensystems kennen. Ihm gehört die Mallword, wobei der Autor an keiner Stelle nachhaltig beweisen kann, wie sie diese gigantische Konstruktion erschaffen konnten. Die barJulian sind der zweite Aspekt, der direkt oder indirekt in den meisten Geschichten auftaucht. Im Grunde handelt es sich um eine spiegelverkehrte Variation der ersten Story. Zuerst spricht Julian barJulian mit den Lesern. Wieder wird ein Stück der „Mallworld“ aufgedeckt. Interessant ist es, dass er von einem jungen heimatlosen Mädchen – aber nicht der Protagonistin aus der Auftaktgeschichte – fasziniert ist und ihr zu folgen beginnt. Die barJulian werden später unter anderem auch in Person eines von seinen Ängsten getriebenen Künstlers auftreten, der nicht nur über eine Vielzahl von gekauften Kindern verfügt, sondern dank seines Doppelgängers auf einem Paralleluniversum motiviert wird, an seiner Eisstatue weiterzuarbeiten.   

 Auf zwischenmenschlicher emotionaler Ebene sind es die beiden besten Geschichten dieser Sammlung. Die späteren Texte erscheinen auf den ersten Blick deutlich bizarrer. Nicht selten verzichtet Sucharitkul auf eine kontinuierliche wie konsequente Handlung und er verfängt sich in Momenten und Situationen.

 Als S.P. Somtow hat Sucharitkul vor allem über Werwölfe, in einem Buch aber auch über einen Vampir geschrieben. Die hier vertretende Episode hat keine Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Roman, aber das Phänomen inklusiv der Ausbreitung einer entsprechenden Seuche wird spannend aus der subjektiven Perspektive eines Reporters und seiner Reporterkamera beschrieben. 

 Douglas Adams Humor erreicht eine Story, welche als „Das Restaurant am Ende der Mallworld“ beschrieben werden könnte. Wieder handelt es sich um ein junges Mädchen, das von ihren einflussreichen Verwandten in Restaurant in der Mallworld abgeschoben worden ist. Dort soll sie sich hocharbeiten. In einem elitären Restaurant wird nur außerirdische Küche serviert und eines der Fremden entflieht kurz vor der Zubereitung. Auf der einen Seite handelt es sich um eine absurde, fast surrealistisch erscheinende Episode, die auf der anderen >Seite aber auch mit dunklen Zwischentönen abgemildert wird.  

 Zu den Stärken des ganzen Romans gehört die Wiederaufnahme von roten Fäden. So werden die Kinder nicht geboren, sondern auf Bestellung gemacht. Die Produktion ist teuer, so dass bei Nichtzahlung der Raten ein Inkassobeauftragter losgeschickt wird. Es ist eine weitere Episode aus dem Leben der barJulian und ihren zahlreichen Verwandten. Nur will in diesem Fall seine Pflegeeltern loswerden.

 Anscheinend hat Sucharitkul Freude an zynischen Parodien gefunden. Neben dem Coupland als Sexfreizeitpark – eine Hommage an die Themenparks – findet sich in dieser Volk eine Gruppe von Motorrad Walküren, welche die genervte Eintreiberin in einer bizarren Szene durch die leeren Gänge der Mallworld jagen. In der letzten Geschichte ist es schließlich ein gigantischer weißer Hai, der im „unterirdischen“ Bereich der Mallworld sein Unwesen treibt. Es ist vielleicht in technischer Hinsicht die am wenigsten logische Story der ganzen Sammlung, denn alleine die gigantischen den Hohlkörper füllenden Wassermassen müssen ja irgendwo entstehen und die Idee eines gigantischen Hais, der aus dem Nichts heraus auf Menschenjagd geht, wirkt zu überzogen.

Es ist aber unabhängig vom offenen Ende ein interessanter, augenzwinkernder Schlusspunkt eines erstaunlich guten Episodenromans.  Trotz des fast grotesken Szenarios und einiger humorvoller, aber niemals rein um ihrer Selbstwillen komischer Episoden legt der Autor  immer wieder den Finger in soziale Wunden. Er zeigt den extremen Kontrast zwischen Armut bis zu moderner Sklaverei und dem Reichtum der oberen Hundert auf.

Dabei erdrückt natürlich der Glamour der Mallworld fast schon viele kritische Themen sowohl der achtziger Jahre als auch der Gegenwart.  Die satirischen Elemente hinsichtlich des allumfassenden Konsums gehen angesichts der vielen kleinen bizarren Ideen, des exotischen Hintergrunds und der Vielzahl von Protagonisten förmlich unter. Auf der anderen Seite wirkt das Konsumverhalten in den achtziger Jahren inklusiv der damals die Welt erobernden und heute fast vergessenen Malls weit draußen vor der Städten oder in diesem Fall jenseits der Jupiterumlaufbahn wie Fingerübungen in einer Gegenwart mit 24 Stunden Service im Internet. So sehr konnte Sucharitkul seinen Bleistift gar nicht spitzen, um die Exzesse der Gegenwart erfassen. Daher wirkt „Der intergalaktische Hypermarkt“ eher wie eine weniger lustigere, aber hintergründigere humorvolle Science Fiction Geschichte, wie in den achtziger Jahren auch dank Douglas Adams Erfolg so populär gewesen sind.  

     

gebrauchtes Buch – Sucharitkul, Somtow – Der intergalaktische Hypermarkt

  • Broschiert: 217 Seiten
  • Verlag: München: Wilhelm Goldmann, 1982 (1982)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442234425
  • ISBN-13: 978-3442234424