Der Apex Verlag legt mit Raymund Z. Galluns „Passport to Jupiter“ den ersten Band seiner locker miteinander verbundenen „Halbgötter“ Serie neu auf. Am Ende fließen die Ereignisse dieses stringent geschriebenen Abenteuers in Galluns bekannteste Arbeit „People Minus X“ über. Es wäre schön, wenn dieser Roman auch neu aufgelegt werden würde.
Gallun gilt vor allem als einer der typischen, für manche auch klassischen Vertreter der Pulpära und weniger des Golden Age. Überdimensionale Ereignisse, eindimensionale Protagonisten, ein hohes Tempo und teilweise hektisch wechselnde Schauplätze für einer gewissen Affinität für brachiale Endlösungen zeichnen sein Werk auf den ersten Blick aus. Aber wie E.E. Smith mit seinen “Lensmen” ist der Autor seiner Zeit und vor allem auch seinen Kollegen einen Schritt voraus und entwirft Visionen wie die virtuelle Realität im vorliegenden Roman, die erste später beginnend mit Dick oder den Cyberpunks im Grunde ins Genre zurückkehren sollten.
Genetische Manipulation und technologischer Fortschritt – in beiden Punkten bleibt der Autor allerdings ein wenig ambivalent – haben das Leben der Menschen deutlich verlängert. Umweltschäden auf der Erde sind beseitigt worden und die Bevölkerungszahl ist relativ stabil. Im Grunde eine Paradies und das bedeutet vor allem für die Menschen Langeweile.
Viele Menschen nutzen das Sensipsych. Es ermöglicht aus erster Hand Abenteuer zu erleben. Bei den Beschreibungen dieser virtuellen Realitäten bleibt Gallun noch ein wenig vage. Es ist für den Leser auch schwer, zwischen den „Realität“ und der Phantasie zu unterscheiden, zumal die „Zuschauer“ an den Abenteuern der Familie Hartwell ja teilnehmen. Die Hartwell sind eine Familie von Abenteurern, die jede Woche quasi eine andere Ecke des Sonnensystems erkunden. Dabei spielt das Abenteuer eine führende Rolle, während die reine Erforschung, die Erkundung keinen Einfluss auf die Abenteuer hat. Daher lassen sich die Abenteuer der Hartwells eher wie eine Art Soap Opera ansehen, die jede Woche eine Fortsetzung präsentieren muss und dabei meistens spekulativer, aufregender und damit auch dramatischer sein sollte.
Parallel zu der Flucht in diese Traumwelten degeneriert laut Gallun die Menschheit. Der Autor geht an keiner Stelle darauf ein, wie die Menschen im Grunde parallel zu den Sensipsychs diese Entwicklungsstufe erreicht haben. Viel mehr geht es Gallun um eine plakative Grundhaltung.
Frieden, Wohlstand und dadurch auch Langeweile können nur durch Krieg und Gewalt gekontert werden. Getreu dem damaligen Motto, das weiterhin der Krieg der Vater des Fortschritts ist.
Anson Nord ist ein Vertreter dieser „neuen“ Gruppe. Gallun entwickelt ihn aber nicht als eine Art Antihelden oder gar Schurken. Viel mehr scheint er ein gewöhnlicher Mann zu sein, der lieber Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen eine theoretischen Ideologie opfert als dem Verfall weiter zuzusehen. Dabei untermauert Gallun dessen Ansicht zu wenig. Im Gegensatz zu Isaac Asimov und seiner Foundation Serie oder Heinleins Zukunftschroniken reißt der Autor einzelne Aspekte aus dem Zusammenhang und versucht ihnen ein möglichst provokantes „Gesicht“ zu geben, ohne das argumentativ die einzelnen Standpunkte auch wirklich nachhaltig genug ausgetauscht werden.
Daher wirkt Anson Nord auch eher ein Konsument, denn ein Bannerstürmer. In einem überraschenden Moment des Buches zeigt Gallun auf eine sehr interessante Art und Weise die Folgen des Umsturzes. Das weltweit ausstrahlende Mediencenter wird von den Rebellen bombadiert und zerstört, die Übertragungen unterbrochen und die Menschen aus der virtuellen Realität gerissen. Das sind keine neuen Aspekte und Gallun ist ein fähiger Autor, um eine Reihe von aufeinander aufbauenden Actionszenen kurzweilig und packend zu schreiben.
Aber die Hartwells gibt es wirklich. Sie erleben aus der Distanz die Veränderung auf der Erde und sind quasi von einer Heimkehr abgeschnitten. Ihre letzte Expedition hat sie in die Atmosphäre des Jupiters geführt. Daher auch der Originaltitel des Romans. Zeitgleich mit dem Umsturz sind die verschwunden. Im Grunde wurden die Menschen ihres Contents beraubt. Hier verschenkt Gallun eine interessante Facette des Romans. Wäre diese Revolution auch gekommen, wenn die Sender keine neuen Geschichten über die Hartwells hätten zeigen können? Unabhängig von dieser möglichen Vermischung verschiedener Aspekte nimmt die Suche nach der Familie als Vorläufer von „Lost in Space“ einen breiten Raum in der zweiten Hälfte des Buches ein.
Alan Nord macht sich auf, die Hartwell tatsächlich zu suchen. Auf den Monden des Jupiters werden die Ruinen einer untergegangenen Zivilisation gefunden. Das Interesse ist, das Gallun dem Leser glaubhaft machen muss, das ein wirklich durchschnittlicher, langweiliger Typ wie Allan Nord den Mut hat, nicht nur eine Revolution mit anzuzetteln, sondern vor allem in die Tiefen des Alls reist, um nach dem weltberühmten Hartwells wirklich alleine zu suchen. Gallun legt ihm zwar einige Steine in den Weg und indirekt findet Nord auch den Schlüssel für ein glücklicheres Fortbestehen der Menschen auch jenseits der Gewalt oder der surrealistischen Traumwelten, aber selbst mit aus heutiger Sicht noch nicht so umfassenden technischen Verständnis aus der Entstehungszeit des Buches macht es sich der Autor ein wenig zu einfach.
So überzeugt „Tödliche Träume“ vor allem auf der Hintergrundebene. Es sind unwahrscheinlich viele moderne Ideen angerissen worden. Neben der angesprochenen genetischen Perfektion, die in Wiedergeburten als junge Menschen gipfeln, streift Gallun auch die Idee der Nanotechnologie; die Auswanderung und Kolonisierung des Mars durch neugeborene Alte, welche sich dort eine andere Welt erschaffen wollen und schließlich die Erkundung des Sonnensystems allerdings auf eine eher verspielte Art und Weise. In den Fortsetzungen wird Gallun eher auf den möglichen Einfluss einer kleinen Primus Inter Pares Gruppe eingehen, während selbst normale Menschen wie eben Nord dem Leser gegenüber wie Übermenschen erscheinen müssen. Übermenschen, die aber verzweifelt normal sein wollen. Viele Ideen werden eher gestreift und sind sehr wenig herausgearbeitet, aber alleine die Ansätze lassen „Tödliche Träume“ unabhängig von einigen kleineren Klischees gegen Ende und vor allem die kleineren Logikfehler bei der Vorbereitung von Alan Nords Expedition quasi aus der Westentasche heraus ignorierend zu einem auch heute noch interessanten Lesevergnügen machen.
Vor allem ist sich Gallun vielleicht auf eine ein wenig distanzierte Art und Weise nicht zu schade, die Herausforderungen und Folgen der Handlungen seiner Protagonisten erstaunlich genau zu skizzieren und dem Leser deutlich zu machen, dass jede Aktion auch eine vielleicht nicht geplante Reaktion beinhaltet. In den fünfziger und sechziger Jahren sind eine Reihe von Galluns Romanen und Kurzgeschichten erschienen. Das letzte Mal hat der Pabel Verlag einzelne Novellen in seinen „Utopia“ Classics nachgedruckt, so dass es wieder Zeit ist, sich dem Autoren aus einer objektiven Perspektive zu nähern und seine Stärken, aber auch manchmal vor allem stilistische wie auftauchtechnische Schwächen im richtigen Kontext kennenzulernen.
- Verlag: Apex Verlag
- Seitenzahl: 149
- Erscheinungstermin: 24.01.2019
- Deutsch
- ISBN-13: 9783743875203
- Artikelnr.: 53236850