Neil Clarkes Vorwort ist eher oberflächlich. Er geht nicht auf neue Ideen oder Projekte ein.
Im Mittelpunkt dieser empfehlenswerten Ausgabe steht Gord Sellars Novelle „Lester Young and the Jupiter Moon´s Blues“ aus dem Jahr 2008. Immer wieder hat Musik in der Science Fiction eine wichtige Rolle gespielt. Aber in diesem originellen und vor allem sehr unterhaltsamen Text nutzt der Autor eine im Grunde altbackene Prämisse – Aliens locken Menschen an Bord ihrer Raumschiffe -, um eine wunderbar zeitlose Geschichte um Illusionen, die Macht der Musik und die Erkenntnis, dass es auf der Erde am Schönsten sein könnte.
Die Geschichte spielt im Jahre 1948. Die Außerirdischen haben die Erde besucht. Sie haben Technologie mitgebracht und ein einmaliges Angebot gemacht. An Bord ihrer Raumschiffe können Künstler, nicht nur Musiker wie auf einer Kreuzfahrt gegen lukrative Bezahlungen die wie Schlote rauchenden Aliens unterhalten. Die Angebote sind begehrt, wie der Tenor Saxophonist Robbie Coolidge feststellen muss. Im All erhalten sie neben ihrer Bezahlung mittels Drogen ein weiteres Geschenk: ein eidetisches Gedächtnis, das es ihnen ermöglicht, jede Platte, jedes Lied quasi zu speichern und wieder abzuspielen.
Die Stärken der Geschichte sind mannigfaltig. Auch wenn Jazz nicht jedermanns Sache ist, versucht der Autor die Seele dieser Musik in eine einfache, eindrucksvolle, nahe an den Hardboiled Detektivgeschichten mit einem dominanten Erzähler anzusiedeln. Die Wurzeln der Geschichte liegen in den vierziger Jahren, ohne das die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs allgegenwärtig manifestiert werden.
Dazu kommen überzeugende Charaktere, die vielschichtig, ambitioniert und vor allem in ihren Handlungen glaubwürdig beschrieben worden sind. Das beginnt bei dem Erzähler, der seine mit einem Kuckuckskind schwangere Freundin zurücklässt, zwischen den Sternen eine Romanze erlebt und schließlich seinem musikalischen Idol begegnet. Das Treffen an einem wirklich exotischen Ort lässt ihn desillusioniert zurück.
Seine Stimmung wird durch die Musik bestimmt. Auf der einen Seite lockt ihn das Geld, das sich als Illusion erweist, auf der anderen Seite erkennt er, wie sehr die Musik mehr und mehr zu einem Gebrauchsgegenstand wird.
Die Aliens wirken auf der einen Seite exotisch und fremdartig. Sie lieben irdische Künste, wobei sie anscheinend auf schrille Töne allergisch reagieren. Sie rauchen ständig und konsumieren Stoffe, welche die Menschen als Drogen empfinden. Ihre Geschenke wie tragbare Telefone oder unzerstörbare Möbel sind effektiv. Ihre Handlungen sind aber eher pragmatisch. Auch wenn der Autor auf einige pseudowissenschaftliche Ideen wie Quantenmechanik – in Kombination mit der Musik – gut recherchiert eingeht, wird die Geschichte von den Menschen bestimmt. Die Aliens wirken wie Katalysatoren, an denen die Protagonisten bis zu ihrem Aufstand - nachdem sie einen weiteren Teil der „Wahrheit“ aufgedeckt haben – reifen.
Im Gegensatz zum optimistischen Titel handelt es sich eher um eine nachdenklich stimmende Novelle, geschrieben von einer in dieser Story einzigartigen Stimme mit einer lange im Gedächtnis bleibenden grundlegend originellen Idee.
Neil Clarke und Gardner Dozois haben gerne auf die beiden populären Anthologien „Old Mars“ und „Old Venus“ zurückgegriffen, um Nachdrucke zu präsentieren. Auch Paul McAuleys „Planet of Fear“ stammt aus „Old Venus“. Viele dieser Geschichten spielen in alternativen Universen. In diesem sind die Russen beim Kalten Krieg zumindest nicht als Verlierer aus dem Rennen gegangen. Sie haben Stationen auf der Venus und untersuchen die Flora und Fauna. Als die Mitglieder – aus der Ukraine – einer Jägerexpedition spurlos verschwunden sind, fürchtet das Zentralkomitee, das die Amerikaner eine neue Waffe ausprobieren.
Paul McAuley hat seine Novelle absichtlich in der Tradition der Kalter Thriller wie Gorky Park oder die frühen Tom Clancy Bücher aufgebaut. Paranoia ist Trumpf. Katya und ihr Gruppenführer sind mit einem Phänomen konfrontiert, das sie sich nicht erklären können. Auf der einen Seite ist ihr Chef von dem Gedanken besessen, das die Amerikaner auf jeden Fall hinter der Angelegenheit stecken. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Männer sind verschwunden. Katya als sehr überzeugende weibliche Figur versucht objektiv den wenigen nachvollziehbaren Spuren zu folgen. Die Ironie liegt in der Tatsache, dass sie bei der Entdeckung des Phänomens richtig ist und trotzdem falsch interpretiert.
Das Tempo ist solide, die Atmosphäre vor allem angesichts der überzeugenden Rückführung in die Zeit des Kalten Krieges extrapoliert auf die Venus überzeugend. Paul McAuley ist ein routinierter Erzähler, der aus der Idee des gigantischen Monsters eine wirklich überzeugende Geschichte zimmert, die zusammen mit der Novelle die fortlaufende Qualität des „Forever“ Magazins nachdrücklich unterstreicht.
Ray Naylers „Winter Timeshare“ ist der kürzeste Beitrag dieser Ausgabe. Regina und Ilkay machen ihren jährlichen Urlaub, dieses Mal in Istanbul. Dabei mieten sie leere Körper. Der Leser weiß nicht, ob diese Avatare real sind oder es sich um einen perfekten Ausflug in eine virtuelle Realität handelt. Die beiden Protagonisten arbeiten meistens in dieser, so dass die Flucht in eine perfektionierte Realität in Form echter Avatare nachvollziehbar wäre. Das Geheimnis wird im Laufe der Geschichte nachhaltig wie zynisch aufgeklärt.
Die Action ist spärlich, aber interessant. Nur agiert vor allem Regina zu oberflächlich, zu wenig emotional, als das ein Momentum weitergetragen werden kann. Es reicht eben nicht, dass sie ansonsten in der virtuellen Realität unangreifbar anscheinend in einem halbseidenen Milieu agiert, um abschließend zu überzeugen. Wenn ihnen alles egal ist, brauchen sie diesen teuren Aufwand nicht zu treiben. So bleiben zu viele angerissene Fragen offen, als das der Leser die Geschichte abschließend fair beurteilen kann. Die Grundidee ist interessant, aber die Kürze lässt es nicht zu, die Figuren zu beurteilen und vor allem die Zusammenhänge zu verstehen.
Zusammengefasst tragen die beiden längeren Texte die neue „Forever“ Ausgabe. Sie sind inhaltlich interessant auf eine bodenständige Art und Weise, überzeugend erzählt, während die Kurzgeschichte über sehr viel Potential verfügt, das in einer Novelle sicherlich besser gehoben worden wäre.