Als Hardcover mit einem einfachen, aber auch eindrucksvollen Titelbild veröffentlicht Michael Haitels Verlag p.machinery Tom Turtschis ersten Roman „Gotteszone“.
“Gotteszone“ ist einer dieser Romane, der aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und beurteilt werden kann. Auf der einen Seite handelt es sich um ein geradliniges Science Fiction Abenteuer, das sich allerdings an einigen bekannten Versatzstücke entlang hangelt. Erst gegen Ende – im dritten Abschnitt des Buches – schwimmt sich der Autor von dieser effektiv benutzten Handlungsteilen frei und entwickelt kurzzeitig eine oder besser gesagt im Grunde zwei sehr unterschiedliche Ideenstränge.
Gordian Prime ist ein besiedelter Planet,., Ungefähr eintausenddreihundert Menschen leben dort. Auf dem Planeten werden auch die Nexen gezüchtet. Bei diesen außerirdischen “Tieren“ handelt es sich um die Produzenten eines wichtigen Stoffes. Der größte Abnehmer des Stoffes ist ein Konzern, der nach dem Zusammenbruch des Kontakts mit der Siedlung und dem Ausbleiben der Lieferungen einen alten Frachter- die Golombek – inklusive Crew chartert und zum Planeten schickt.
Im Laufe des Plotverlaufs stellt sich der erfahrene Kommandant auch die Frage, warum ein derartiger Konzern ausgerechnet auf ihren abgehalfterten Haufen zurückgreift. An einer anderen Stelle erfährt der Leser, dass der Konzern einen Mann mit Insiderwissen mitgeschickt hat und sich keine Raumstreitkräfte loseisen ließen. Diese Erklärungen erscheinen pragmatisch wie oberflächlich. Angesichts einer möglichen Katastrophe im All mit mehr als eintausend Toten erscheint das mangelnde Interesse der Behörden vor allem auch angesichts der Wichtigkeit der Güter konstruiert. Die nachträglichen Erklärungsversuche schießen auch ein wenig ins Leere, denn in Anbetracht der Möglichkeiten eines Konzerns wäre es in diesem Fall wichtiger und effektiver gewesen, nicht nur ein Raumschiff zu chartern oder einen der Transporter zu nutzen, um ein Einsatzteam zum Planeten zu bringen und sich überwiegend ein eigenes Bild zu verschaffen. Das einiges im Argen liegen könnte, ist den Verantwortlichen durch die Anwesenheit einer bestimmten Person zumindest bewusst. In diesem Punkt kann der Autor argumentieren wie er will, er liefert keine überzeugende Erklärung.
Es spielt ja auch keine Rolle. Er will ein unwissendes Team auf einen abgeschiedenen Planeten bringen, bei dem sie im Laufe des Plots hinter die Geheimnisse der Kommunikationsstille der Siedler kommen wollen.
Auf dem Planeten finden sie im Orbit zerstörte oder sabotierte Raumgleiter. Die Kolonie selbst ist Menschenleer. Im Laufe ihrer Untersuchungen finden sie schließlich einen Toten und zwei alte apathische Menschen.
Schritt für Schritt in relativ kurzen, manchmal ein wenig zu kurzen Kapiteln immer ordnungsgemäß mit Ort und Zeit überschrieben führt Tom Turtschi sehr übersichtlich den Leser an die Geheimnisse heran. Das wirkt nicht unbedingt negativ ausgesprochen alles sehr glatt. Die Crew kann sich kein abschließendes Bild machen, auf der anderen Seite besteht die Implikation, dass der Konzernmann noch deutlich mehr weiß als er offenbaren möchte.
Die große Schwierigkeit einer jeden solchen Geschichte ist es, Antworten auf das entwickelte Szenario zu liefern. Bis weit in die zweite Hälfte des Buches baut der Autor eine mögliche Theorie auf die Nächste. Pointierte, manchmal ein wenig gekünstelte Dialoge bilden dabei die Treibmasse der Handlung.
Über den Planeten erfährt der Leser nur das Notwendigste. Anscheinend ist der Hintergrund den vom Autor angesprochenen Kürzungen und Straffungen zum Opfer gefallen. Es müssen ja keine langen exzessiven Beschreibungen sein, aber bei „Die Wächterin“ - im gleichen Verlag erschienen – funktionieren das Innenleben allerdings einer Protagonistin und ihre vielleicht auch imaginäre Wechselwirkung mit ihrer Umgebung/ ihrer Welt deutlich besser.
Der Plot dreht sich ein wenig, als die Medizinerin Pitou bei den beiden aufgefundenen alten Siedlern eine Art Hyperreligiosität feststellt. Gleichzeitig wird auch ein Pamphlet eines dem Konzernmitarbeiter bekannten ehemaligen Kollegen gefunden.
Auf seiner Homepage geht Tom Turtschi mit einigen weiteren Fakten auf den Leser zu. Dabei wirkt er deutlich ambitionierter als er eben in seinem Werk umsetzen konnte. Es ist der Versuch, mit dem angesprochenen Themengeflecht eine rasante Geschichte zu erzählen. Durch die angesprochenen verschiedenen Perspektiven sucht der Autor multiperspektivisch das von ihm selbst entwickelte Rätsel zu lösen. Von der Wahrheit ist der Roman durch einen fehlenden übergeordneten und damit hoffentlich ehrlichen Erzähler ja weit entfernt. Die einzelnen Thesen sollen sich zu einer einzigen, aber auch vielschichtigen Antwort zusammenbauen. Das ist ohne Frage eine Herausforderung, die über die literarischen Fähigkeiten des Autoren ein wenig hinausgeht. Denn er hat zwar keinen klassischen „Helden“ – auch dieser Begriff kann ambivalent interpretiert werden – aber einen entschlossen Handelnden, der schließlich den Schurken zu Strecke bringen soll. Und hier zeigt sich, dass Tom Turtschi eben manchmal doch auf die Versatzstücke zurückgreifen muss.
In der Person des religiösen Eiferers mit eigenem Manifest und noch mehr Wahnvorstellungen holt ihn die literarische Realität wieder ein.
Ober Gott oder Religiosität ein Gehirnzustand ist, der entweder auf einem Virus basiert oder alleine deren Ideen die Geister infizieren wäre ein roter Faden, an dem sich der Plot gegen Ende orientieren könnte. Auf der einen Seite hat Tom Turtschi interessanter mögliche Antworten bereit, die das Ende einer Kette unglücklicher wie ungeprüfter „Entscheidungen“ bilden, auf der anderen Seite erscheint das Vorgehen seines „Schurken“ schon vor der Kolonisierung des Planeten wie eine Fingerübung für den finalen, hier beschriebenen Aufstand gegen das konzernreguliert Establishment.
Zumindest bietet der Autor eine mögliche Erklärung hinsichtlich des religiösen Wahns an, wobei die Erklärungen was zu profan angesichts des etablierten Szenarios erscheinen. Auch hier hätte man sich ein wenig mehr Hintergrund gewünscht. Spannungstechnisch zieht der Autor zwar auf der einen Seite das Tempo an, bringt den Konflikt aber dann relativ schnell und glatt zu Ende. Auch hier verfällt er auf die Stereotype, die er laut eigenen Angaben umgehen wollte.
Am Ende muss aber angemerkt werden, dass die Reise ins Licht, in die im Titel angesprochene „Gotteszone“ nicht stattfindet. Oder wenn sie wirklich tragisch vor Augen der Überlebenden stattgefunden hat, dann handelt es sich eher um die Verführung durch einen personifizierten „Teufel“, einem futuristischen Sektenführer, dessen Wahn oder Wahnsinn auf die anderen Menschen widerspruchslos übergesprungen ist. Beispiele hat die menschliche Geschichte zu oft präsentiert.
Für einen Erstling fehlt Tom Turtschi vielleicht noch die Erfahrung, den Strugatzkis in ihren philosophisch verklausulierten Parabeln zu folgen und ein Szenario zu entwickeln, das eher an „Picknick am Wegesrand“ denn eine über weite Strecken klassisch orientierte Space Opera erinnert. Die Fremden sind weder gut oder böse. Im Grunde finden die Fremden auch nicht richtig statt, da sich der Autor hier nicht positioniert. Es reicht nicht, die Außerirdischen neutral bis zu geschlechtsneutral zu skizzieren. Auch definieren ihre Handlungen nicht unbedingt ihren Charaktere. Gute First Contact Geschichten sind schwieriger zu schreiben als es viele Autoren glauben wollen und Turtschi beschreibt immer wieder seine Ansätze, seine Ideen, ohne das er wirklich nachhaltig wie überzeugend die Pferdestärken auf den Boden des fremden Planeten bringen kann. Der macht sich aber auch angreifbar, in dem er lange Zeit auf jegliche Positionierung verzichtet. Das kann ein experimenteller Versuch sein, aber auch ein Zeichen von schriftstellerischer Schwäche, in dem man das nicht Umsetzbare einfach ignoriert oder negiert.
Da hilft auch nicht der Epilog, in dem über den zu verfassenden Bericht gesprochen wird. Hier öffnen sich zwei Möglichkeiten. Die Eine entspricht der Handlung, die Andere könnte tatsächlich eine Art Erleuchtung sein. Aber hier muss der Wille zum Nachdenken, zum Überdenken der überwiegend nur implizierten, aber niemals zu Ende entwickelten Möglichkeiten abseits der tatsächlich beschriebenen Handlung im Leser nicht nur vorhanden sein, er muss den Impuls aufnehmen wollen oder können, um diese Ideen zu extrapolieren. In diesen Punkten bleibt der Roman bei einem Versuch.
„Gotteszone“ ist trotz der Kritikpunkte kein langweiliger oder schlechter Roman. Dazu ist der Autor zu clever. Er setzt die angesprochenen Versatzstücke nicht nur des Science Fiction Genres, sondern im Grunde jeder Unterhaltungsliteratur – ein Geheimnis am Ende einer schwierigen Reise – geschickt ein, um einen intellektuellen Elfenbeinturm aufbauen zu wollen. Er liefert nur bedingt Antworten auf die angesprochenen Fragen, was nicht unbedingt bei einem Unterhaltungsroman notwendig ist, aber irgendwo schließt er das Buch auf dem am meisten bodenständigen Nenner ab, ohne die von ihm selbst aufgebaute Erwartungshaltung im Leser annähernd zu befriedigen.
Die Zeichnung der Protagonisten ist eher pragmatisch. Nicht selten definieren sie sich überwiegend über ihre Funktionalitäten und weniger über ihren Charakter. An einigen Stellen galoppiert der Künstler statt der Autor voran, in dem normale Dialoge ein wenig überkünstelt werden und anstatt gleichmäßig strukturiert weiter zu erzählen oder entsprechend zu beschreiben die Ästhetik über die Dramatik gestellt wird.
Durch die kurzen Kapitel lässt sich „Gotteszone“ gut und relativ zügig lesen. Es ist auch eine wie angesprochen kurzweilige Unterhaltung, deren intellektuelle Tiefe aber aufgesetzt erscheint und in der vorliegenden Fassung bemüht, aber nicht nachdrücklich genug entwickelt erscheint. Für einen Erstling ohne Frage abseits der angesprochenen Versatzstücke ambitioniert und erstaunlich flüssig geschrieben, aber negativ macht Tom Turtschi an wichtigen Stellen den Gedankenfehler, Fragen nicht einmal richtig und nachhaltig genug aufzuwerfen, bevor er auf mögliche Antworten schon großzügig verzichtet.
- Gebundene Ausgabe: 312 Seiten
- Verlag: p.machinery (4. Juli 2019)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3957651689
- ISBN-13: 978-3957651686