Schneevogel

Jörg Weigand

Nach „Der Traum des Astronauten“ ist „Schneevogel“ die zweite Sammlung von Jörg Weigands in zahlreichen Anthologien publizierten Kurzgeschichten.

 In vielen Geschichten Jörg Weigands geht es um Vertrauen, um Menschlichkeit auch dem Fremden gegenüber. So beschreibt "Begegnung im Licht" den ersten Kontakt mit in das Sonnensystem eingeflogenen Außerirdischen, wobei der Mensch seine Ängste und Vorurteile noch bekämpft, während die Fremden handeln.

 In den Tiefen des Alls treffen zwei havarierte Astronauten in "Sonnensegel" auf ein besonderes Raumfahrzeug einer wahrscheinlich schon längst untergegangenen außerirdischen Zivilisation. Sie verfallen kurzzeitig dem Zauber und drohen den Kontakt zu ihrem eigenen Schiff zu verlieren. Sprachlich anspruchsvoll bestehend aus eindrucksvollen, komprimierten Bildern erweckt Jörg Weigand den „Sense of Wonder“, der weniger aus dem logischen Hinterfragen besteht, sondern nur aufzeigt, das viel mehr dort draußen ist.

 Jörg Weigand blickt in „Pepes Welt“ quasi auf diese Zeit "zurück".  Ein alter blinder Mann erzählt von den Jahren, als es noch kein totalitäres System gegeben hat und Pepe als Astronaut zum Mars geflogen ist. Die Obrigkeit versucht ihn mundtot zu machen. Das Ergebnis ist vorhersehbar.

 Ein weiterer Aspekt einiger Texte ist die Kolonisierung fremder Welten. In "Im Land der Federbäume" fließt der schon in "Begegnung im Licht" angesprochene Vertrauensvorschuss mit ein. Die Menschen roden auf einem zu kolonisierenden Planeten die gigantischen Federbäume, um den aufkommenden Winter zu überstehen. Dabei kommt es verstärkt zu Unfällen. Im Gegenzug zeigt die nächste Story "Ein Stück Heimat und die Folgen", welche katastrophalen Folgen eines Moment der Schwäche aufzeigt. "Kosmische Geburt" fügt sich in dieses Sujet der Koloniosierung erdähnlicher, aber auch herausfordender Welten auf eine gänzlich andere Art und Weise ein. Ein Verstehen zwischen einer kosmischen Superintelligenz und den Menschen gibt es im technischen Sinne nicht und trotzdem ist der Mensch intuitiv dank seiner Technik in der Lage, dem "überlegenen" Wesen in einem entscheidenden Moment zu helfen. 

 Jörg Weigands Story „Die Nacht der Lichtblitze“ könnte auch ohne phantastische Elemente alleine basierend  auf Mythen funktionieren. In einer Hinsicht fügt sich der Text gut in den Komplex der Reisegeschichte ein, wobei der unbekannte Reisende  aus dem Blickwinkel einer jungen Frau  beschrieben und nicht selbst berichtend ein Stammesmitglied von einer im Grunde tödlichen Krankheit – die Würmer sind ekelig genug – mit sehr viel Energie und Wissen heilt. Der Heilungsprozess nimmt den breitesten Raum der gut geschriebenen Story ein, wobei wie angesprochen insbesondere die Auftaktsequenz impliziert, dass sie auf einer fremden Welt spielt und deswegen auch in den Bereich der First Contact Story platziert werden kann.

 "Vater der Vernunft" besteht aus Anmerkungen und einem übersetzten Bericht über das Schicksal einer kleinen Gruppe von Außerirdischen, die einer Seuche zum Opfer fallen. Dabei handelt der kurzzeitige Anführer zuerst richtig und dann im Grunde falsch, in dem er eine Immunisierungsidee umzusetzen sucht. Unwillkürlich stellt sich der Leser die Frage, ob es eine Verbindung zu "Ein Stück Heimat und die Folgen" gibt, denn der menschliche Beobachter könnte diese Art von Seuche eingeschleppt haben. Durch die Berichtsform und das dunkle Ende wird eine Distanz zwischen dem Leser und den Protagonisten aufgebaut, die aber vielleicht auch notwendig ist, um das ganze Szenario zu erfassen, wobei die übersetzten Teile dann wieder in der klassischen Erzählstruktur und weniger als normale Überlieferung verfasst worden sind.  

 "Die Legende von Sadali" ist eine Variation märchenhafter Aspekte mit dem Musiker, der schließlich einen Gott besiegen kann und dadurch seine Gastgeber von einer Art Götzen befreit. Die Geschichte könnte genauso auf der Erde in tiefster Vergangenheit spielen wie auf einem fremden Planeten. Die Protagonisten sind eher pragmatisch gezeichnet, aber generell strebt der Plot nicht so sehr auf die Pointe zu, die einige der anderen Arbeiten dieser Sammlung positiv wie negativ auszeichnet. Es ist aber nicht der einzige Text, der sich mit fast heidnischen Verehrungen auseinandersetzt. "Objekt der Verehrung" lebt von seiner Pointe. Bis dahin wird ein im Grunde cleverer, sich nicht mehr den Dogmen unterwerfender junger Mann belehrt, das das Erbe des großen "R" zu wahren ist. Rückblickend gewinnt die Story an Tiefe, denn auf dem Weg zur Pointe hat Jörg Weigand eine Reihe von kleineren Hinweisen ausgestreutm, die sich allerdings erst mit der Beschreibung eines der beiden Artefakte zu erkennen geben. Auch wenn der eigentliche Plot bis auf die Pointe wenig überrascht, bleibt die Geschichte dem Leser trotzdem eben wegen der letzten Absätze im Gedächtnis. Auch "Die Traummaschine oder Gedanken in den letzten Sekunden vor dem Tode"   könnte ein wenig in diese Richtung gehen. Der Gedanke in der letzten Sekunde des Lebens eines der größten Erfinder wird aufgezeichnet und ist als Tondokument vorhanden. Als es staunenden Reportern vorgeführt wird, ist es eine Praktikantin, welche den Sinn hinter den anscheinend sinnfreien Sätzen erkennt. Wieder konzentriert sich Jörg Weigand auf die Pointe, wobei der Autor auf dem Weg dahin eine Reihe von Ideen verstreut, welche eine umfangreichere Betrachtung mehr als verdient hätten. Eine der kürzesten Begierdegeschichten ist "Objekt derr Verehrung", die alleine von der Bitte der Außerirdischen lebt. Die einleitende Graphik gibt einen kleinen, entscheidenden Hinweis. Der Umfang reicht nicht aus, um in die Tiefe zu gehen.    

 Nicht selten ist die Begegnungen mit dem Unbekannten auch ein Schlüssel für entweder eine Reihe von Missverständnissen oder der nur temporäre Aufbruch zu neuen Ufern. In der Titelgeschichte „Schneevogel“ – sie kommt ohne phantastische Elemente aus – ist ein Mann von einem gigantischen Vogel in den Bergen auf eine besondere Art und Weise vor dem Erfrieren und Verhungern gerettet worden, welche eine tödliche Bedrohung für ihn darstellt. In „Ein Fall für den Tierschutz“ und im Grunde auch in „Dagobert- mein bester Freund“ sind es zum einen Vorurteile gegenüber den Roboterhunden nach einer für alle Vierbeiner tödlichen Seuche, welche nur durch eine mutige Tat aufgeklärt werden können, bzw. in der ersten Geschichte die Implikation, dass Hunde mehr Verständnis und weniger Vorurteile dem Fremden gegenüber haben als ein Haufen eindimensional gezeichneter intellektuell durchschnittlicher Dorfbewohner.

 Alle drei Storys steuern direkt auf die Pointe zu und leben quasi von ihr. Aber Jörg Weigand agiert ein wenig ambivalenter, in dem er die Hintergründe deutlicher ausgestaltet. So könnte „Dagobert- mein bester Freund“ auch in dem Komplex der Geschichten stehen, in denen eine Seuche entweder Menschen oder die einheimische exotische Flora/ Fauna einer fremden Welt oder wie im vorliegenden Fall alle Hunde dahingerafft hat. Bis auf „Ein Stück Heimat und die Folgen“ bleiben die Hintergründe vage. Auf der anderen Seite bildet zum Beispiel „Ein Fall für den Tierschutz“ auch einen direkten Gegenentwurf zur ersten Auftaktstory „Begegnung im Licht“, in welcher der Astronaut die eigenen Urängste nicht überwinden kann, aber vom Handeln des Anderen überzeugt wird.

 „Löwenzahn“ und im Grunde auch die Abschlussstory „Wie tausend Sternensplitter“ gehören auch thematisch zusammen. Während in „Löwenzahn“ die Menschen auch durch Krankheiten in einer inzwischen fast klinisch reinen, durch Reinigungsroboter dominierten Welt leben treffen im zweiten Text die Menschen auf dem Mars auf eine letzte Überlebende. In beiden Texten stirbt die Hoffnung zuletzt und vor allem die Eigeninitiative Einzelner gibt Hoffnung.

 Jörg Weigand ist ein Pointenautor, der selten unnötiges Beiwerk hinzufügt. Darum wirken einige seiner Geschichten aus distanziert und vor allem die notwendige Charakterisierung geht bis auf wenige Gesten verloren, aber die extreme Fokussierung auf das in mehrfacher Hinsicht auch Wesentliche hebt auf der anderen Position seine ein wenig erweiterten Miniaturen aus der Masse heraus. 

  Das handliche Hardcoverbuch ist schön gestaltet. Jede der Geschichten wird durch eine teilweise zweiseitige Graphik eingeleitet, die gut zu den einzelnen Storys passen. Ein Verzeichnis der Erstveröffentlichungen würde eine überzeugende Präsentation besser abrunden. Zusammengefasst ist „Schneevogel“ neben „Der Traum des Astronauten“ (Bastei Verlag) die zweite Sammlung mit Jörg Weigand phantastischen, überwiegend Science Fiction Geschichten. Auch wenn die Texte aus heutiger Sicht ein wenig sehr nach achtziger Jahre aussehen, unterhalten sie trotzdem nicht nur kurzweilig, sondern sind überzeugende Exemplare, das ansprechende Ideen auch sehr kompakt und trotzdem zufrieden stellend erzählt werden können.

Hardcover

206 Seiten

1988 erschienen