Der blaue Stern

Fletcher Pratt

Mit „Der Blaue Stern“ legt der Apex Verlag eines der zwei Hauptwerke des amerikanischen Fantasy- und Geschichtsbuchautoren Fletcher Pratt. Heute ist Pratt vor allem durch die Kooperation mit L. Sprague de Camp bekannt. Weder Pratts erster Soloromane „Die Einhornquelle“ wie auch die Harold Shea Geschichten zusammen mit L.S. de Camp bereiten den Leser auf diese urbane möglicherweise in einer Parallelwelt spielenden Geschichte vor. Interessant ist, dass der durchaus umfangreiche Roman 1952 in der Anthology „Witches Three“ erschienen ist.

 Die beiden anderen längeren Arbeiten sind Fritz Leibers „Conjure Wife“, der ungekürzt bei der Edition Phantasie neu veröffentlicht worden ist und James Blish „There Shall be no Darkness“. Beides Klassiker dieses besonderen Genres, in deren Mittelpunkt reale Hexerei gestanden hat.

 Erst 17 Jahre später erschien der Roman mit einer ausführlichen Einleitung von Lin Carter alleine als Taschenbuch. Die erste deutsche Ausgabe im Heyne Verlag basiert auf dieser Vorlage.

Der Rahmen besteht aus einer philosophischen Diskussion, wie sich parallele Welten durch kleinere oder größere Änderungen der Geschichte verändern könnte. Das Prinzip basiert eher auf dem Flügelschlag eines Schmetterlings, das große Änderungen auslösen könnte. Auf der anderen Seite gehen die drei gesetzten Männer aber auch auf einer wissenschaftlichen Basis an das Thema heran, in dem grundlegenden Erfindungen wie dem Rad nicht widersprochen wird. Erst der Exkurs zu den weniger harten Wissenschaften eröffnet die eigentliche, in den abschließend nicht befriedigenden Rahmen eingebaute Handlung.

In dieser fiktiven Welt hat das Vorhandensein von parapsychischen Kräften die Entwicklung der Wissenschaft verändert. Hexerei ist zu einer anerkannten „Fähigkeit“ geworden, während die normale Forschung stagnierte. Dadurch verharrte die Kultur auf dem Niveau des 18. Jahrhunderts.

Nur ein Mitglied der Familie zur Zeit darf diese Fähigkeiten aktiv ausüben.  Von einer Mutter kann die Fähigkeit an die Tochter weitergegeben werden, wenn diese ihre Jungfräulichkeit verliert. Eine Art Handwerkszeug und im Laufe des Buches eher eine Art MacGuffin ist „Der blaue Stern“. Dabei handelt es sich um einen Juwel, der die Fähigkeit in sich trägt, dem jeweiligen Besitzer eine begrenzte telepathische Fähigkeit zu verleihen.  Fletcher Pratt hat aber dieser nicht unbedingt neuen Idee eine spezielle Note mitgegeben.  Leute ohne die Fähigkeit der Hexerei können aber den blauen Stern nur so lange nutzen, wie sie zum Beispiel emotional mit ihrer Freundin/ Frau oder geschlechtlich andersherum emotional verbunden sind. In den Details bleibt der Autor allerdings auch ein wenig vage.      

 Das Königreich, in welchem Pratt seine Geschichte spielen lässt, erinnert an Österreich- Ungarn eben im 18. Bzw. frühen 19. Jahrhundert. Die Regierung hat Hexerei offiziell verbannt, sie findet weiterhin nur im Untergrund statt. Durch die fehlende Kontrolle gibt es aber subversive Elemente, welche die übernatürlichen Kräfte natürlich vor allem für den eigenen Vorteil ausnutzen. Wie schnell die Grenze überschritten werden kann, erfährt Lalette Asterhax. In Gegenwart eines Regierungsbeamten macht sie aus Versehen mit der Hand auf dem Tisch ein Hexenzeichen und muss fliehen, als dieser versuchte, sie fast zu vergewaltigen. Eine klassische Notwehrsituation.  Rodvard Bergelin ist dieser kleine Regierungsbeamter, der ihr wie eine Art Untergrundnetzwerk helfen möchte.

Anfänglich soll Rodvard ihr aber nicht nur helfen, sondern sie verführen, nachdem er im ersten Versuch nicht an den blauen Stern gekommen ist. Lalette ist die Trägerin eines sehr seltenen blauen Sterns, eines Hexensteins. Man hofft, wie oben beschrieben, dadurch die Gedanken von subversiven Elementen lesen zu können.

Mit Fletcher Pratts teilweise sehr getragenen Schreibstil und seinem Hang, den laufenden Plot für weitere nicht immer zielführende Erklärungen oder gar aus heutiger Sicht statisch erscheinende Dialoge dehnt er den ansonsten stringenten Handlungsbogen aus. Lalette muss fliehen, Rodvard scheint ihr vordergründig zu helfen und beginnt sich natürlich in das junge Mädchen zu verlieben.

 Die Flucht führt sie unter sehr unterschiedlichen, teilweise originellen Gefahren weit über die Landesgrenzen hinaus. Zu den Stärken des Buches gehört die Charakterisierung. Pratt zeigt sich als sehr routinierter Autor, der Klischees im Grunde zu individuellen Stärken umwandelt. Auch wenn für sich genommen einzelne Aktionen und viel mehr deren Reaktionen vertraut erscheinen, bilden sie ein faszinierendes Mosaik.

Rodvard ist anfänglich ein reiner Opportunist, der seine wahren Absichten vielleicht vor Lalette, aber nicht dem durch andere Handlungsebenen besser informierten Leser verstecken kann. Seine Fürsorglichkeit ist oberflächlich. Wie es sich gehört, muss er harte lebensgefährliche Prüfungen überstehen, um zu erkennen, dass nicht eine Baronin, sondern Lalette die Frau fürs Leben ist.

Lalette kann insbesondere in der ersten Hälfte des Buches nur reagieren. Das macht es schwer, ihren Charakter einzuschätzen. Erst am Ende wird sie dominanter, wobei ihre Scheu vorm Einsatz der eigenen Kräfte nicht immer nachvollziehbar ist.  

Neben den beiden Protagonisten ist  der sehr detaillierte Hintergrund überzeugend. Teilweise fast in die Details verliebt präsentiert Pratt im Grunde einen historischen Roman, der sich im Gegensatz zum philosophisch gehaltenen Rahmen in erstaunlich wenigen Momenten von der vertrauten Gegenwart der Leser unterscheidet.

 Die magischen Momente sind effektiv gesetzt. Der Leser kann anfänglich nicht einordnen, ob der blaue Stern vielleicht nur eine abergläubische Inkarnation ist oder wirklich diese Kräfte hat.  Die Angst, seine Hexenkräfte zu zeigen, erinnert nicht nur an die entsprechenden Jagden in Salem, vielmehr wirkt die Geschichte insbesondere zu Beginn wie eine Parabel auf die Kommunistenhetze in den fünfziger Jahren der USA. Pratt ist aber clever genug, es bei einer paranoiden Atmosphäre der Verfolgung zu belassen; die Charaktere sich aufgrund ihrer Intelligenz und Improvisationsgaben aus schwierigen Situationen retten zu lassen, anstatt immer wieder auf das sprichwörtliche weiße Kaninchen aus dem Hexerhut zu vertrauen.

  Auf der anderen Seite wird Pratt seiner Mission auch nicht gerecht. Er will eine Welt zeigen, in welcher auf der einen Seite Hexerei die Wissenschaften abgelöst bzw. ersetzt hat. Auf der anderen Seite ist Hexerei verboten und wurde in den Untergrund gedrängt.  So ambitioniert die Beschreibungen auch in den Details sind, so ambivalent erscheint diese Welt. Staatliche Institutionen dürfen anscheinend noch Hexer beschäftigen, aber Pratt setzt nicht auf diese Karte. Der blaue Stern ist eine Art Eintrittsschlüssel in eine weitere, andere Ebene der Hexerei, aber der Autor legt dieser Idee mit den eingangs angesprochenen Einschränkungen auch wieder Ketten an.

Hinzu kommt, dass die Beiden ja Bauern in einem gigantischen Schachspiel sein könnten, das sich durch die Rahmenhandlung als eine Art dreidimensionale fiktive Möglichkeitswelt herausstellt.

„Der blaue Stern“ hat eine Reihe von Stärken wie die angesprochene Charakterisierung, der historische Hintergrund und die Ausgangsidee, aber auch aus heutiger Sicht sehr vielen Schwächen wie der gestelzte Stil, die teilweise ermüdenden Erklärungen und schließlich auch die Verweigerung eines abschließenden Endes. Unabhängig davon hat Pratt aber einen herausfordernd zu lesenden, aber auch intellektuell stimulierenden Klassiker des modernen Fantasygenres geschaffen, der deutlich besser und eher in Ehren gealtert ist als „Die Einhornquelle“.  

 

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OT: The Blue Star

Apex Fantasy-Klassiker - Band 7

(Apex-Verlag - 2019)

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Horst Pukallus

ISBN: 978-3-7485-7732-4

Paperback - 432 Seiten

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