Sleeping Beauties

Stephen King & Owen King

Der umfangreiche Roman „Sleeping Beauties“ ist die erste Kooperation zwischen Owen King und seinem Vater. Im Nachwort weisen die Autoren darauf hin, dass der Roman vor allem eine Fantasy ist und nicht unbedingt mit den Horrorstoffen Stephen Kings direkt verglichen werden kann.  Auf der anderen Seite finden sich aber vor allem in der ersten Hälfte des Buches so viele positiv gesprochen Hinweise auf Kings umfangreiches Werk, dass am Ende der Leser doch enttäuscht wird.  Die umfangreiche Extrapolation verlangt eine nachhaltigere Auflösung, auch wenn Stephen King sich in seinen umfangreichen Büchern wie „Under the Dome“ in diesem Punkt nicht immer mit Ruhm bekleckert hat.

Zusätzlich finden sich nicht immer versteckt unzählige Hinweise auf Kings Werk beginnend mit den beiden Fantasy Romanen „Der Talisman“ und „Das schwarze Haus“, die Stephen King ja in einer anderen Kooperation mit Peter Straub verfasst hat. Auch hier fühlt sich der Protagonist, als sei er in eine andere Welt geflippt worden.  Dort verläuft wie in der Serie um den dunklen Turm die Zeit anders. Auch eine Science Fiction/ Horror/ Fantasy Serie.

Aus „The Stand“ könnte die Idee stammen, das die Antagonistin und gleichzeitig Heilsbringerin Evie Black keinerlei Linie auf ihren Handinnenflächen hat.

Die Grundidee  scheint – wie Stephen King in mehreren Interviews gesagt hat – von seinem Sohn Owen zu stammen. Alle Frauen fallen in einen komatösen Schlaf. Nicht umsonst ist der Titel nicht nur ein entsprechender Hinweis, sondern erinnert an die deutsche Märchenfigur Dornröschen, die in den USA als Sleeping Beuty übersetzt worden ist. Wie die Grippe in „The Stand“ breitet sich die „Krankheit“ wie eine Seuche aus. Solange sie weit von den amerikanischen Grenzen entfernt ist, nehmen sie Stephen Kings so uramerikanische Protagonisten in ihren verschlafenen Provinzstädten auch nicht wirklich wahr.   

Es gibt viele Bücher, die sich mit dem Verschwinden des anderen Geschlechts auseinandersetzen. Dabei handelt es sich vor allem um klassische Science Fiction Stoffe durchaus populärer Autoren. So weit wollen die Kings nicht gehen. Ihre Frauen schlafen und werden schnell durch eine Art Kokon eingesponnen.  Eine Art Metamorphose. Grundsätzlich wäre das eine eher bizarre als gefährliche Ausgangssituation. Um die Spannungskurve zu erhöhen, werden die gegen ihren Willen erweckten Frauen zu reißenden Bestien und sind in der Lage, Menschen in ihrer Umgebung zu töten. Auch wenn diese Tatsache relativ bekannt ist, verstoßen vor allem eine Reihe von Nebenfiguren gegen diese Regeln und sterben entsprechend blutig.

Im Laufe der Handlung stellt sich heraus, dass die Frauen während dieser Schlafphase an einen anderen märchenhaften Ort gehen. Diese Teilung der Handlung wirkt teilweise aufgesetzt, da die Kings eine Schwierigkeit zu überwinden haben. Wenn in Stephen Kings bisherigem Werk Grenzen überwunden und in andere Welten gewechselt sind, dann handelt es sich selten um ein Paradies. Sie waren genau wie Kings Innenwelten immer gefährlicher als die im Rahmen seiner Bücher auch schon außer Kontrolle geratene Realität.

Im vorliegenden Buch ist es ein wenig anders.  Es ist zwar eine männerlose Gesellschaft, in welche sie treten, aber die Kings rücken diese Ebene bis auf eine psychopathische und damit die Idylle gefährdende Frau nahe an das mögliche Paradies. Während auf der Männerwelt das Chaos herrscht und Kokons mit Frauen aufgrund von Parolen verbrannt werden, scheinen die Frauen eher ohne das starke Geschlecht auszukommen. Und hier liegt am Ende die  große Schwäche des Buches. Die Autoren müssen deutlich machen, warum die Frauen überhaupt zurückkehren sollen. Natürlich fällt es leicht, auf die emotionale Abhängigkeit zu verweisen und vielleicht auch eine gewisse mütterliche  Liebe inklusiv der sexuellen Komponente, um zu den lebensunfähigen Männern zurückzukehren, aber das wirkt wie am Rande des Klischees gestrickt und vor allem auch wie ein fauler Kompromiss, mit dem die Kings ihr Epos eher abschließen als wirklich überzeugend beenden wollen.     

Wie viele von Stephen Kings Romanen lebt das Buch von seinen Protagonisten.  Sie sind erstaunlich gleichwertig. Dabei spielen weniger die Geschlechter eine Rolle, sondern die individuellen Vergangenheiten der Protagonisten. Auslöser ist Evie Black. Sie einzige Frau, die nicht von der Schlafkrankheit – „Aurora Grippe“ genannt – betroffen ist. Sie kann mit Tieren sprechen, hat außergewöhnliche Kräfte und töet bei ihrem ersten Auftritt zwei örtliche Crackdealer. Halbnackt natürlich. Evie Black ist eine ambivalente Überfigur, die Alpträumen entstiegen sein könnte. Sie ist zynisch und rücksichtslosen den Männern gegenüber. Sie schützt nicht nur die schwachen Frauen, sie verspricht ihnen vielleicht ein wenig zu verführerisch auch das Paradies. Nur ohne Männer.  

Sie könnte aber auch die Verkörperung des alten mystischen Amerikas sein. Sie ist quasi einem Baum entstiegen und trägt auch noch einen biblischen Namen. Aber hier enden auch absichtlich die Vergleiche. Im Gegensatz zu Randall Flagg nehmen sich die Kings im zweiten, eher enttäuschenden Teil des Buches hinsichtlich der Überantagonisten deutlich zurück und lassen die Figuren zu Wort kommen, die positiv seit vielen Jahrzehnten vor allem Stephen Kings Werk geprägt haben. Die „normalen“ Durchschnittsmenschen mit ihren kleinen Geheimnissen und in einem Werk des Amerikaners immer vor riesigen Herausforderungen stehend.

Ein großer Teil des Buches spielt in einem Frauengefängnis. Nicht die erste Stephen King Story, die sich hinter verschlossenen Türen abspielt. Dr. Clinton Norcross ist seit kurzem der leitende Psychiater, seine Frau ist die örtliche Polizisten.  Lila hat Evie Black verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Interessant ist, dass Clinton Norcross im Grunde ein schwacher Mann mit einer schweren Jugend ist. Lila ist eine aufgeweckte Frau, die im Laufe des Plots gegen die Müdigkeit ankämpft. Ein aussichtsloses Unterfangen. Aber King spielt seine ganze Routine aus. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser nicht, was die Frauen erwartet. Daher kann er in mehrfacher Hinsicht auch wegen Lilas Misstrauen gegenüber ihrem Mann das Tempo hochhalten und die Leser mitreißen. Es sind die kleinen emotional begreiflichen Tragödien und Missverständnisse, welche Liebende sich entfremden lassen. Im Laufe des Romans klärt Stephen King nicht nur die Leser auf, aber auf eine sehr moderne Art und Weise zeigt er auf, wie brüchig nicht nur die Welt, sondern eine Beziehung, eine Ehe sein kann.

Natürlich leben die Norcross in einer amerikanischen Kleinstadt,. Die faschistoide Züge trägt. Es sind die dummen Menschen, die unzähligen Redneck Inkarnationen, von der Propaganda der Medien und eines impliziert dummen Präsidenten aufgestachelt, die in ihrem Dominanzgehabe die wenigen rudimentär noch vorhandenen sozialen Strukturen zerstören wollen. So will eine Gruppe um einen der überlebenden Crachdealer Evie aus dem Gefängnis holen. Clinton Norcross muss sie mit wenigen Wärtern verteidigen. Während Clinton nicht nur um ihre Leben, sondern sein Eigenes kämpft, erweist sich Evie eher als eine Art Pandora, die ihr Wissen aus vergangenen Jahrtausenden orakelartig anbringt.

Diese Szenen – auch wenn sie vertraut erscheinen – bleiben dem Leser im Gedächtnis. Der zweite Teil des Buches ist ein positiv gesprochen Frontierroman, in dem das „neue“ Land erkundet wird. Wäre der erste Teil des Buches nicht so verstörend realistisch und soziologisch durchaus kritisch, dann könnte die ruhigere zweite Hälfte besser punkten. Stephen King ist kein Phantast. Die Stärke seiner Bücher ist die Projektion von Angst aus dem Unterbewussten in eine erschreckend gut gezeichnete Realität. Der Leser weiß, dass im Grunde aus einer unschuldigen Situation wie der Begegnung mit einem Bernhardiner oder dem alltäglichen Kampf gegen Alkohol oder nur den Schmerzen nach einem schweren Autounfall eine übernatürliche, eine lebensbedrohliche Situation entstehen kann.  Da liegt die Stärke Stephen Kings.

Während Joe Hill mit ein wenig mehr Fantasy durchaus brutale und unheimliche Stoffe entwickelt und vor allem mit einer eigenen Art erzählt hat, wirkt „Sleeping Beauties“ nicht ganz überzeugend. Die Geschlechterdebatte findet abschließend nicht statt. Auch wenn der Roman lange Zeit feministisch erscheint, erhält das starke und teilweise abstoßend gezeichnete starke Geschlecht von den plötzlich wieder schwach werdenden Frauen eine Art emotionalen Rettungsring mit ihrer Rückkehr zugeworfen. Nachvollziehbar ist diese Vorgehensweise leider nicht.

Es ist aber nicht nur diese Ambivalenz, die stört. Stephen King hat wahrscheinlich mit der Hilfe seines Sohns einen nicht immer positiven Streifzug durch sein Werk unternommen. Anstatt kleine Anspielungen zu übernehmen, hat er mit Evie Black nur als Frau einen ganzen Charakter aus „Storm oft he Century“ entwendet. Immer wieder hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn ihm die Szene oder der Protagonist vertraut vorkommt. Nur an einem anderen Ort und vor allem auch einem anderen Namen.  Vor allem die Antagonisten außerhalb von Evie Black agierten so stereotyp, dass von ihnen im Grunde keine reelle Gefahr ausgehen durfte.

Schade ist, dass bei der Menge guter Figuren sehr viel verloren gegangen ist und am Ende der Leser ein wenig hilflos allem gegenüber dastand. So wirken einzelne Abschnitte faszinierend und spannend. Die Struktur des Epos bedingte aber, dass diese Kapitel auseinander gezogen und dadurch ihr Tempo, ihre Dynamik verloren haben. Auf der anderen Seite ist der Plot nicht abschließend durchdacht, so dass „Sleeping Beauties“ ein eher durchschnittlicher Stephen King Roman ist. Das ist immer noch besser als viele andere Unterhaltungsautoren, aber weder wie die Qualität von „Doctor Sleep“ oder „11/22/63“ erscheint, den wahrscheinlich besten Kingromanen des 21. Jahrhunderts. Und das ist die eigentliche Enttäuschung dieses umfangreichen, anscheinend mit einem Auge fürs Fernsehen geschriebenen Werkes.

  • Taschenbuch: 976 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Erstmals im TB (11. Februar 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453439554
  • ISBN-13: 978-3453439559
  • Originaltitel: Sleeping Beauties
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