Thrills Untapped

Michael R. Piits

Im Grunde ist das Thema in mehrfacher Hinsicht verführerisch. „Neglected Horror, Science Fiction and Fantasy Films“ aus den Jahren 1928 bis 1936. Auf den zweiten Blick handelt es sich um eines dieser reichhaltig bebilderten Bücher, das als Sprungbrett nicht nur für weitere Recherche, sondern soweit möglich das Kennenlernen der Filme genommen werden kann, aber weder als zuverlässiges Nachschlagewerk noch als kritisches Essay seinen Zweck erfüllt.

Einige der Probleme hat sich Michael R. Pitts leider selbst geschaffen.  In seinem Vorwort geht der Autor zuerst auf seine Suchkriterien ein. Wichtig ist, dass es sich um einen vertonten Film handelt. Nicht unbedingt einen Tonfall, sondern es müssen Sprache und Musik aufgezeichnet und hinzugefügt worden sein. Dadurch erweitert sich das Spektrum seiner Auswahl um mehrere Jahre in die Vergangenheit, denn sowohl die manchmal nur teilweise nachvertonten Stummfilme wie auch teilweise nur grundsätzlich vertonte Filme fallen plötzlich auch in diesen Spektrum. Dadurch weicht der Autor vom Produktionsdatum – in den damaligen Zeiten auch nicht immer ein zuverlässiger Gradmesser – ab und konzentriert sich anscheinend auf ein cineastisches Aufführungsdatum vor allem in den USA.

Positiv ist, dass Michael R. Pitt nicht nur auf die USA fixiert ist. So finden sich Exkurse zu russischen Raumschiffstreifen mit lustigen Namen wie „Stalin“, aber auch die drei zeitgleich in unterschiedlichen Sprachen produzierten Versionen von „FP 1 antwortet nicht“ für den französischen, den englischen und natürlich deutschen Markt werden gegenüber gestellt. Allerdings als separate Einträge, so dass der Autor ein wenig befremdlich auf die englische Fassung zuerst eingeht und dann die Erweiterungen für die deutsche Version anhängt. Passender wäre es, mit den bekannten deutschen Fassung und Hans Albers zu beginnen, bevor er auf die beiden Fremdversionen eingeht und die entsprechenden Unterschiede herausarbeitet. In diesem Fall ist sich Michael R. Pitts auch nicht sicher, was er wirklich vergleichen möchte. In einem Satz schreibt er davon, dass keine wichtigen Dialoge der längeren deutschen Fassung hinzugefügt, in Wirklichkeit aber bei den fremdsprachlichen Fassung nicht gestrichen worden sind. Einen Absatz später spricht er davon, dass vor allem technische Erläuterungen in Hans Albers Version hinzugefügt worden sind, um das monumentale Vorhaben besser zu verdeutlichen. Wenn nicht als Vortrag oder Dialog kann sich der Leser nicht wirklich vorstellen, wie dieses monumentale Bauwerk sonst vorgestellt wird.

Noch schwieriger wird es, wenn verschiedene internationale Fassungen nicht hintereinander vorgestellt werden, sondern alphabetisch. So findet sich die französische Fassung von „Gold“ unter „L´Gold“. Oder bei „Der Tunnel“ wird erst die englische Fassung vorgestellt, bevor auf die deutsche Fassung von „Der Tunnel“ eingegangen wird.  Positiv ist, dass der Autor auf inhaltliche Wiederholungen verzichtet, aber manche der Vergleiche bemüht wirken.

Zwei weitere Punkte fallen negativ auf. Der Autor verpflichtet sich im Grunde zu Beginn, nach vergessenen oder besser vernachlässigten Filmen dieser Zeit zu suchen. Mit der Vertonung – so fallen auch einige von Fritz Langs in den zwanziger Jahren entstandene Filme plötzlich in dieser neue Kategorie – erweitert er das Spektrum, aber ambivalent ignoriert er die eigenen Genrevorgaben. So fällt plötzlich ein Streifen auch in diese Kategorie, wenn nur mit den Ideen des „Haunted House“ vor einem Krimiplot gespielt wird. So finden sich neben zwei oder drei Charlie Chan Adaptionen auch mehrere Sherlock Holmes Filme ohne übernatürliche Ideen/ Ansätze in dieser Zusammenstellung wieder. Selbst die Verfilmungen von S.S. Dine Geschichten wurden eingebaut.

Aber es geht noch weiter. Während „Das blaue Licht“ von Leni Riefenstahl vielleicht noch akzeptabel ist, passen das Pabst Epos „Die Büchse der Pandora“ genauso erwähnt wird wie die verschiedenen Fassungen von „S.O.S. Eisberg“, in denen fatalistisch der Kampf Mensch gegen die unwirtliche Natur beschrieben wird. Dabei handelt es sich um keine grundsätzlich schlechten Filme, sie sind aber nicht phantastisch. Selbst das Chaney/ Browning Epos „West of Zanzibar“ gehört trotz des markanten Team ebenfalls nicht in den Genrebereich.  Auch einige der rezensierten Serials erscheinen als Füllmaterial ein wenig bemüht.  Höhepunkt ist dieser Richtung ist Carl Dreyers „Joan D´Arc“ Verfilmung.

Genauso sind nicht alle phantastischen Filme wirklich in Vergessenheit geraten. Auch hier treffen A Produktionen von inzwischen auch legendären oder berüchtigten Ruf auf die unbekannten Streifen der kleinen Studios. Nicht immer ist die Entstehungszeit auch eine Entschuldigung für Patina oder gar Vernachlässigung. Mit der Zusammenstellung der Filme unterminiert der Autor ausgerechnet das eigene Vorwort. 

Das zweite, vielleicht größere Manko ist die Ambivalenz des Buches. An einigen Stellen gibt Michael R. Pitt zu, dass er nicht nur die angeblich schon verschollenen Filme nicht gesehen hat, sondern auch andere Filme. Das ist bei einer Datenzusammenstellung auch nicht notwendig, aber wenn vergessene Streifen vorgestellt werden, dann relativiert es die Lektüre deutlich. So konzentriert sich der Autor in dieser statischen Reihenfolge auf folgende Abläufe. Zuerst die technischen Daten, dann nicht immer aber öfter kurze Einleitungen hinsichtlich der literarischen Quellen, wichtiger Beteiligter oder den Produktionsbedingungen. Es folgt eine umfangreiche Zusammenfassung des Inhalts. Die Vorstellungen enden mit verschiedenen Zitaten aus diversen Publikationen, wobei zum Beispiel Variety auch konträre Rezensionen verschiedener Mitarbeiter publiziert hat. Nur selten greift Michael R. Pitt selbst ein und ergänzt die Datensammlung um persönliche Eindrücke. Hier wiederholt sich der Autor aber zu sehr. So macht er den Fehler, einen Film als mindestens kompetent und gut inszeniert zu bezeichnen, von dem es nach eigenen Angaben nur noch Bruchstücke zu sehen gibt. Und einen Film nach Fragmenten zu beurteilen, erscheint höflich gesprochen sehr mutig.

Wenn die Kritiken sich nicht einig sind, dann versucht Michael R. Pitts die Flucht in die Zahlenwelt. Produktionskosten gegen Boxoffice. Ein sehr fadenscheiniges Argument.

Die fehlende Positionierung des Autoren entwertet teilweise die inhaltlich umfangreichen Vorstellungen der Filme. Aber neben dem sehr guten und vielfältigen Bildmaterial hat „Thrills Untapped“ trotz der sehr kritischen Betrachtung auch einen Mehrwert. Im Gegensatz zu den zahllosen Suchanzeigen im  Internet oder reinen Datenbanken ist das Buch eher zum Blättern, zum Schmöckern und zum Hängenbleiben geeignet. Ohne eine intensive wie kritische Beschäftigung mit den Filmen lässt sich ein erster Eindruck gewinnen, auf den entweder die Suche nach dem Rohmaterial erfolgt oder Wehmut, dass bislang niemand in einem Archiv entsprechenden Stoff gefunden hat.

Bewundernswert ist trotzdem die Mühe, die sich der Autor mit der nicht immer opportunen Zusammenstellung des Materials und der minutiösen Suche nach seltenen Fotos gemacht hat. Die Inhaltsangaben bestehen meistens zwar aus ergänzten Sekundärmaterial, wirken aber auch nicht grundsätzlich auch den entsprechenden Foren oder von Wikipedia kopiert. Hinzu kommen die angesprochenen ergänzenden Daten.

Ob diese Recherchetätigkeit den Kaufpreis angesichts der leider unkritischen Auseinandersetzung mit dem ausgewählten Stoff wie auch die eher umfangreiche als liebevolle Zusammenstellung  der Filme rechtfertig, muss jeder selbst entscheiden. Wer gerne über alte Filme nicht in der Tiefe, aber in einer sehr ambivalenten Breite lesen möchte, wird in diesem Buch einen würdevollen, aber nicht würdigen Nachfolger der Pionierarbeit eines William Everson finden.

Wer sich intensiver und vor allem auch umfangreicher mit dem Stoff der B- Filme beschäftigen möchte, der wird hier nur leider wenig Neues finden und muss zu anderen, detaillierteren Studien greifen. 

Alleine die zahllosen Fotos rechtfertigen nicht unbedingt den Preis, versüßen es aber deutlich. Als Einsteigerlektüre in die Materie ist das Buch trotz der vielen Schwächen aber trotzdem mit merklichen Einschränkungen zu empfehlen.

Bildergebnis für untapped thrills

  • Paperback: 348 Seiten
  • Verlag: McFarland (20. Dezember 2018)
  • Sprache: English
  • ISBN-10: 1476673519
  • ISBN-13: 978-1476673516
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