Der lange Nachmittag der Erde

Brian W. Aldiss

Als "Meisterwerke der Science Fiction" legt der Heyne Verlag mit Brian W. Aldiss "Der lange Nachmittag der Erde" einen Episodenroman aus den frühen sechziger Jahren zum dritten Mal gedruckt auf. Neben der gekürzten Veröffentlichung im Rahmen der allgemeinen Science Fiction Reihe erschien das Buch zum ersten Mal ungekürzt und mit einem ausführlichen Vorwort, sowie einem allgemeiner gehaltenen Nachwort versehen im Rahmen der Heyne SF- Bibliothek ein zweites Mal. Brian W. Aldiss ist mit sechs Veröffentlichungen in dieser Reihe auch der am meisten vertretene Autor. 

Die Neuveröffentlichung basiert auf der Bibliotheksausgabe. 

 Ursprünglich erschien das Buch in Form von fünf Novellen unter dem Titel "Hothouse" in "The Magazine of Fantasy & Science Fiction". Für diese Novellen hat Aldiss hat den HUGO erhalten.  Während der Roman in England unter dem Titel "Hothouse" ungekürzt erschienen ist, veröffentlichte der amerikanische Verlag eine gekürzte Fassung unter dem heutigen Titel "The Long Afternoon of Earth". Schon für die erste Buchveröffentlichung musste Brian W. Aldiss sein Manuskript um knapp zehntausend Wörter kürzen, wobei der Autor vor allem die Geschichte der Menschheit aus der Gegenwart in diese exotisch faszinierende Zukunft zusammengestrichen hat. Erzählt worden ist diese Episode aus der subjektiven Perspektive eines der stark verfremdeten Bewohners der Zukunft. Erkennbar ist das satirische Element gegen Ende des Buches, in dem die zukünftigen Nachkommen gegenwärtige Tendenzen wie exzessiven Kapitalismus oder nicht einzuhaltende Wahlkampfversprechen auf Papageienart nachäffen. Es ist eine wunderbare Szene, welche positiv den ernsten, vielleicht manchmal auch ein wenig zu theatralisch dramatischen Unterton des Buches positiv durchbricht.     

 Wie „Non- Stop“ beschreibt „The Long Afternoon of Earth“ eine fremdartige Umgebung. In beiden Romanen müssen sich die Protagonisten in Form kleinerer Gruppen von einem Punkt zum Nächsten bewegen. Während am Ende des Generationenraumschiffromans eine nachhaltige Überraschung steht und das Ziel mit der mystischen Kommandozentrale feststeht, ist die Odyssee der menschenähnlichen, aber primitiven Wesen in „The Long Afternoon of Earth“ diffiziler.

 Brian W. Aldiss benennt die Katastrophe nicht, die zu einer vollständigen Umkehr von Flora und Fauna geführt hat. Im Grunde wirken seine Beschreibungen von Fischen, die wie Äste mit ihren Schwanzflossen an Bäume geklebt sind oder die an Pygmäen erinnernden Menschen mit teilweise grotesk verzerrten Körpern.

 Interessant ist, das die Menschen auf eine primitive Zivilisationsstufe degeneriert und jegliche Technik verloren habend ständig mit einem gewalttätigen Dschungel konfrontiert werden, in dem ausschließlich Pflanzen teilweise mit mächtigen Zähnen leben. Die Tierwelt ist fast gänzlich ausgestorben.

 Die Katastrophe hat in dieser Art phantastischen Fiebertraum noch einen mittelbaren Effekt gehabt. Die Erde dreht sich nicht mehr, nur noch eine Seite zeigt zur Sonne. Anscheinend umkreist auch der Mond nicht mehr die Erde, denn er steht kontinuierlich über der Dschungelseite. Durch die kontinuierliche Bestrahlung gibt es auch keine Nacht mehr. Auf die weiteren ökologischen Folgen dieser fehlenden Rotation geht Brian W. Aldiss allerdings nicht ein.

 Im Gegensatz zu Ballard mit seinen zynisch realistischen Katastrophenszenarien bleibt der Autor bei dieser Science Fantasy teilweise frustrierend oberflächlich. Vieles wirkt eher wie auf einem fremden Planeten spielend als eine nachvollziehbare Extrapolation der irdischen Flora und Fauna. Dazu könnte auch der Hinweis passen, dass die Reisenden zwischen den Sternen gewandert und vom Mond auf die Erde geklettert sind. Technische Beweise gibt es allerdings im Roman nicht.

 Allerdings haben die Morels wie Symbionten die Fähigkeiten, nicht nur mit ihren Wirten zu verschmelzen, sondern deren Bewusstsein zu kontrollieren. Dabei wirken die Morel eher wie Schwammpilze, die sich überall ausbreiten. Es stellt sich die Frage, wie deren Rasse angesichts der eingeschränkten Nahrungsquellen überleben können.

 Eine Bedrohung entnommen den cineastischen Monster- der- Woche Filmen sind die Termiten, welche so groß wie Menschen sind. Da die Menschen alle inzwischen nur noch Zwerge sind, entwickelt Brian W. Aldiss aus diesem Szenario das obligatorische, aber auch nicht mehr zeitgemäße Bedrohungspotential. Andere eher skurril erscheinende Wesen treten dadurch in den Hintergrund. Aldiss vergisst bei seinen Schöpfungen naturwissenschaftliche Möglichkeiten, aber auch Unmöglichkeiten, zumal sich nicht nur die Atmosphäre, sondern vor allem auch die Schwereverhältnisse auf einer nicht mehr um sich selbst routierenden Erde ändern müssten.

 Betrachtet der Leser das Buch als klassische Quest, dann saugt der Autor seine Zuschauer förmlich ein. In der ersten von fünf Novellen – die Übergänge sind für die Buchausgabe deutlich geglättet worden – stellt Brian W. Aldiss nicht nur diese Welt, sondern vor allem auch seinen Protagonisten Grem vor. Er ist ein Mann- Kind. Er kann schon Kinder zeugen, aber in der kleinen Gruppe gilt er noch nicht als Erwachsener.

 Zusammen mit seiner Freundin, Frau seiner Kinder wird er später aus der kleinen Gruppe ausgeschlossen, nachdem man ihn als Anführer zumindest in der Theorie ausgetauscht hat. Das wirkt sehr pragmatisch beschrieben, da Grem intellektuell den anderen Mitgliedern derartig überlegen skizziert wird, das eine solche Meuterei vor allem auch nichtigen Gründen unrealistisch erscheint.

 Brian W. Aldiss nutzt dieses Szenario, um seinen Protagonisten wie Odyssee auf eine Reise über diese exotische Welt zu schicken und weniger einen klassischen Spannungsaufbau in Form einer Mission zu initiieren, sondern vor allem unzähligen Ideen zu präsentieren. Auch hier erweist sich James Ballard noch als überlegener Szenarist.

 Wie in H.G. Wells „Die Zeitmaschine“ hat die Sonne ihre Energie fast verbraucht. Immer wieder impliziert Brian W. Aldiss für die Leser, aber nicht seine Protagonisten, das der heiße Nachmittag der Erde die Spätphase ist und die Reste der rudimentären Zivilisation in einer außer Kontrolle geratenen Ökologie zum Tode verurteilt sind.

 Die einzelnen Etappen haben eine unterschiedliche Qualität. Vor allem die mittleren Novellen leiden unter Brian W. Aldiss Liebeserklärung an die Umgebung und seine Ignoranz der Handlung gegenüber. In der „Helliconia“ Trilogie wird er diese Art des konträren Erzählens ohne rote Faden auf eine die Geduld der Leser herausfordernde Spitze treiben. Wer ein Feuerwerk von grundlegenden Ideen erwartet, wird eher enttäuscht. Schein ist hier mehr als Sein.

 Auch wenn die Devolution eine wichtige Rolle spielt, überzeugt der Roman vor allem bis fast ausschließlich durch den exotischen ideenreichen, wenn auch unlogisch gestalteten Hintergrund. In einem direkten Vergleich ist „Non- Stop“ die besser strukturierte Reise durch ein unbekanntes, vor allem gefährlichen Terrain, während „Der lange Nachmittag der Erde“ vor allem eine Art Fiebertraum ist. Bizarr, unerklärlich, herausfordernd und verstörend.    

 

Der lange Nachmittag der Erde

Aus dem Englischen von Frank Böhmert
Originaltitel: The Long Afternoon of Earth
Originalverlag: Heyne
Taschenbuch, Broschur, ca. 350 Seiten,
ISBN: 978-3-453-32043-7