Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad

Thomas Tippner

Thomas Tippners „Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad“ umfasst zwei kurze Novellen aus der Feder des 1980 in Reinbek geborenen Autoren. Tippner hat vor allem für verschiedene Hörspielverlage sehr unterschiedliche Serien von „Captain Future“ über „Alpha Base“ bis „Sherlock Holmes & Co“ verfasst. Inzwischen adaptiert er auch klassische Stoffe wie „Die Schatzinsel“ oder „Die Abenteuer des Tom Sawyers“ als Hörspiele. Für den Kelterverlag hat er die Kanongeschichte in Heftromanform adaptiert. Allerdings folgte Tippner den Hörspielbearbeitungen und nicht den Originalen, wo sich irgendwie wieder ein Kreis schließt.

Der Titel der ersten Geschichte ist irritierend. „Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad“ beginnt zwar während Doktor Watsons Kriegsdienst und seiner Rettung durch den Säbel schwingenden späteren Freund. Rückblickend bezieht sich Thomas Tippner bei der Überschrift nicht auf die normale Bedeutung des Wortes, sondern moralisch gesehen den sozialen Stand.

Watson ist mit seinem Freund immer in Kontakt geblieben. Dieser betreibt einen kleinen Hof. Einen Termin, Watson in London zu besuchen, nimmt der Kamerad nicht wahr. Die Briefe werden seltener, schließlich nicht mehr beantwortet und der letzte Brief kommt ungeöffnet zurück. Watson macht sich auf den Weg und findet heraus, dass sein Freund anscheinend spurlos verschwunden ist. Nur seine Schwester und ein alter Landsknecht betreiben den Hof.

Verzweifelt wendet sich Watson an Sherlock Holmes.

Thomas Tippner geht geschickt vor. Den größten Teil der Novelle nimmt Watsons Beschreibung des Besuchs auf dem Hof ein. Sherlock Holmes leidet seinen guten Freund quasi an.

Der erste Teil der Geschichte beginnend mit den brutalen Kämpfen in Indien/ Afghanistan ist der beste Teil der Story. Insbesondere bei den seltsamen Ereignissen auf und um den Hof wird der Leser ein wenig an „The Sign of the Four“ erinnert. Der Plot könnte sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln.  

Seltsame Gestalten, geheimnisvolle Zeichen, ein inkonsequentes Handeln der Schwester und ihres Knechts. Dazu eine stimmige Atmosphäre und ein naiver Doktor Watson, der die besondere Kameradschaft zwischen den Kriegsteilnehmern immer wieder betont.

Das letzte Drittel der Geschichte enttäuscht. Sherlock Holmes fährt mit seinem Freund zum Hof und kann den „Fall“ innerhalb weniger Stunden klären. Auch bietet er eine unkonventionelle, aber sehr pragmatische Lösung zumindest für den nicht juristischen Teil an. Die Spannungskurve flacht deutlich ab und der Leser bleibt ein wenig enttäuscht zurück.  Angesichts der guten Extrapolation scheint dem Autoren am Ende die Phantasie auszugehen und im Gegensatz zu Arthur Conan Doyles teilweise exotischen Ideen schließt er den Text konventionell ab.

Die zweite Geschichte ist sehr viel interessanter. Auch wenn Thomas Tippner „Sherlock Holmes auf der Suche nach der Liebe“ mit einem Zitat über Irene Adler einleitet, stimmt der Titel nicht. Sherlock Holmes ist nicht auf der Suche nach der Liebe, er verfolgt die Spur der falschen Liebe.

Ein Geschäftsmann macht sich Sorgen um seinen Partner. Anscheinend hat er vor seinem Verschwinden in die Kasse gegriffen. Alleine Liebesbriefe an eine Frau weisen den Weg. Sherlock Holmes benötigt für diesen Fall die Hilfe von Doktor Watsons emotionaler Seite. Die Reaktion von Watsons Frau ist genauso passend wie Sherlock Holmes pragmatische Erklärung der vor seiner Tür in der Bakerstreet abgestellten Koffer.

Im Laufe des Falls geht Sherlock Holmes auch noch einmal auf Watsons Spielsucht ein.  Im Gegensatz zur ersten Geschichte dominiert der Detektiv von Beginn an das Geschehen. Unterbrochen werden die Ermittlungen von zahlreichen Auszügen der Briefe, welche der Verschwundene erhalten und geschrieben hat.

Auch das Finale ist sehr viel zufriedenstellender als in der ersten Geschichte. Auf der einen Seite die Tragik und das bedauernswerte Schicksal des jungen Mannes, der ein wenig naiv den Weg konsequent zu Ende gehen wollte. Auf der anderen Seite positiv ein im Grund zeitloser Fall, der im viktorianischen England genauso funktioniert wie in der Gegenwart.

Im Gegensatz zum emotionalen und ein wenig verständnislosen Watson ist es ausgerechnet Sherlock Holmes, der für die Handlanger der Täter, aber auch deren Opfer eine Lanze bricht. Die Ermittlungen sind auch deutlich schwieriger, da die Hintermänner eben nicht jeden Mann blind neueinstellen und Sherlock Holmes klassische Infiltrationsmethode funktioniert nicht.

Die langen Briefzitate hemmen vielleicht ein wenig den Lesefluss, sind aber auch klassische Beispiele für die geschickten Methoden, mit welchen die Täter Mitleid erregen und einsame Männer eben auf der Suche nach der ganz großen oder wenigstens einer Liebe immer wieder locken. Rückblickend sind sie notwendig.

Zusammengefasst präsentiert Thomas Tippner zwei solide Sherlock Holmes Geschichten, in denen dessen Deduktionsfähigkeiten eher im zweiten Abschnitt denn in der ersten Story benötigt werden. Die Dialoge sind pointiert und an passenden Stellen mit gut gemeinten leichtem Spott in Doktor Watsons Richtung angereichert. Vielleicht hätte die Zeichnung des teilweise bemitleidenswerten Doktor Watson an einigen Stellen wie bei seiner erneuten Konfrontation mit der Spielsucht oder kurz vor dem Rausschmiss aus dem eigenen Haus ein wenig emotionaler und nachhaltiger sein können, aber auf der charakterlichen Ebene inklusiv einiger interessanter Nebenfiguren überzeugen die beiden Texte.

Wie erwähnt ist der zweite Fall moderner, vielschichtiger und interessanter zu gleich, während die erste Ermittlung zu vieles liegen lässt und schließlich fast beiläufig „aufgelöst“ wird.   Lesenswert allerdings unter verschiedenen Voraussetzungen sind beide Texte.

Blitz Verlag

www.blitz-verlag.de 

Taschenbuch, 152 Seiten

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