H.D. Klein eröffnet die Ausgabe mit seiner Kurzgeschichte „Das Haus“. Eine Firma bietet an, dreidimensionale Abbildungen der zukünftigen Wohnhäuser mittels eines Computers auf einer Art Rohentwurf zu erstellen, damit die Häuslebauer individuell, allerdings auch mit entsprechenden Zusatzkosten planen können. Das Ende ist vorhersehbar, zumal der Autor einen entsprechenden Hinweis indirekt platziert hat. Die Grundidee ist angesichts der gegenwärtigen dreidimensionalen Computertechnik irgendwie antiquiert, die pragmatische Auflösung wirkt ein wenig an den Haaren herbeigezogen.
„Staatsbegräbnis“ von Thomas Arne Winter könnte wahrscheinlich als Novelle besser funktionieren. Es gibt mehrere Handlungsebenen. Auf der einen Ebene wird demonstriert, wie der Staat inzwischen sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Gehirne seiner Bürger bohrt, auf der zweiten Handlungsebene wird ein Lebenswendepunkt im Leben des geliebten Staatsführers und Diktators angesprochen und aus der Zukunft allerdings mit Folgen beobachtet. Es ist kein Zufall, wie die Zeichnung von Uli Bendick demonstriert, wer hier Pate gestanden hat. Die Implikationen sind interessanter als der Handlungsverlauf und wahrscheinlich wäre es sinnvoller, die Geschichte nicht an dieser Stelle enden zu lassen, sondern die aufgeworfenen Gedanken weiter zu extrapolieren. In der vorliegenden Form erscheinen die einzelnen Versatzstücke dem Leser aus anderen Texten vertraut, aber sie wirken nicht abschließend harmonisch zusammengefügt.
Christopher Eckers „Vom Krug auf dem Hügel in Tennessee“ wirkt rückblickend vertraut. Der Leser fragt sich, warum er die offensichtliche Pointe nicht früher erkannt hat. Auf der anderen Seite handelt es sich dabei auch um eine der Stärken dieser Geschichte, weil das Leben auf dem überbevölkerten Planeten mit gigantischen Schlafsälen und keiner Privatsphäre so grausam nihilistisch erdrückend ist, dass der Leser vielleicht auch diesen Ausweg akzeptieren kann und will und möchte. Dabei stellt er sich auf die Seite des Protagonisten, der seine Familie schon vorweg geschickt hat. Auf einen anderen Planeten, auf eine zweite Erde. Eine Kontaktaufnahme ist nicht möglich. Er macht sich rechtzeitig auf den Weg, um seine Sprungzeit nicht zu verpassen. Es sind die vielen kleinen dunklen Ideen, welche den mittleren Abschnitt der Geschichte so positiv auszeichnen, während sich der Leser zu Beginn noch ein wenig orientieren muss.
Jacqueline Montemurris „Koloss aus dem Orbit“ ist eine Fortsetzung ihrer schon vor sieben Ausgaben veröffentlichten Kurzgeschichte „Koloss im Orbit“. Der Leser braucht sich nicht an alle Fakten erinnern, nebenbei klärt ihn die Protagonistin auf. Das Ende der Geschichte ist auch offen, es scheint einen weiteren Teil zu geben. Hier liegen auch die Stärken und Schwächen dieser Story. Schon im ersten Teil hat die Autorin so viele Ideen in die Handlung gepackt, das sie eher für eine Novelle ausreichen. In der Fortsetzung hat der Leser zusammen mit den Protagonisten gar nicht die Möglichkeit, dieses höllische Paradies; diese perfektionierte Utopie mit ihren dunklen Schattenseiten kennen zu lernen. Gleiches gilt für den gigantischen Schiffsfriedhof vor der Küste der Insel. Die Protagonisten sind wahrscheinlich während des Absturzes des Kolosses zweihundertfünfzig Jahre in die Zukunft geschleudert worden. In eine fremde Welt. Die vielen Ideen können in einer Kurzgeschichte gar nicht ausgearbeitet werden. Auch wenn es nach zwei im „Exodus“ Magazin veröffentlichten Teilen zynisch erscheint, sollte die Autorin auf weitere Abschnitte verzichten, den Text von Beginn an erweitern, in dem sie ihren Ideen Raum gibt und daraus im Grunde einen spannenden Roman machen. So endet die Story mit einer notwendigen Pointe, aber auch für den Leser unbefriedigend, weil er wieder wahrscheinlich eher Jahre als Monate auf den nächsten Teil warten muss.
Victor Boden illustriert seine eigene Geschichte „Die zweite Generation“. Es ist die längste Arbeit dieser „Exodus“ Ausgabe. Eine Handvoll Überlebender wacht auf einer fremden Welt ohne Erinnerungen auf. Sie versuchen sich zu orientieren, wobei auf der einen Seite langsam Bruchstücke von Erinnerungen wiederkehren, auf der anderen Seite die Welt aber derartig exotisch und fremdartig ist, dass eine Kontaktaufnahme mit der wirklich seltsamen einheimischen „Bevölkerung“ nicht möglich scheint. Auch wenn der Plot auf den ersten Blick vertraut erscheint, baut der Autor ausreichend gute Ideen ein, um kurzweilig zu unterhalten. Die Protagonisten sind dreidimensional mit vielen Ecken und Kanten als eine Art widerwillige Zweckgemeinschaft beschrieben worden, so dass ihr Schicksal der Leser vielleicht nicht unbedingt berührt, aber zumindest anspricht.
Die farbigen Graphiken runden die gelungene Präsentation ab, wobei der Text wie eben viele Arbeiten nicht nur dieser „Exodus“ Ausgabe unter der Hektik am Ende leidet. Eine Novelle, vielleicht ein kurzer Roman wäre sinnvoller, um die einzelnen Handlungsstränge besser auszubalancieren und vor allem die einzelnen Geschehnisse nicht derartig gerafft, sondern ausführlicher und damit auch detaillierter zu beschreiben.
C. M. Dyrnbergs „Bären“ ist auf eine unheimliche Art und Weise die beste Geschichte dieser „Exodus“ Ausgabe. Der Leser wird von der Ausgangslage her ein wenig an Wellings Roman „Die Wächterin“ erinnert. Eine Familie arbeitet isoliert auf einem fremden Welt, betreibt quasi eine Relaisstation. Auf dem Planeten leben an Bären erinnernde Wesen, welche die Station regelmäßig besuchen und sich an der Außenhülle in die Luft sprengen. Es gibt keine Erklärungen, keine echte Kontaktaufnahme. Die mit fast stoischer Regelmäßigkeit ablaufenden Ereignisse schockieren nicht nur die Familie auf dem Planeten, sie scheinen im Laufe der Handlung die Auftraggeber zumindest in der Sekunde auf den Plan zu rufen, als die Welt wegen neuer Handelswege interessanter wird. Das Ende ist offen, aber sowohl die surrealistisch Ausgangslage wie auch die Entwicklung der Protagonisten vor allem auch in Kombination mit Hubert Schweizers immer noch so einzigartigen Graphiken macht die Geschichte zu einem seltsam faszinierenden Höhepunkt dieser Ausgabe.
Die Dyson Sphäre ist eine Art mathematische Spielerei, welche Christopher Priest vor allem in seinem mehrfach aufgelegten Roman „Der steile Horizont“ auf eine besondere Spitze getrieben hat. Ulf Fildebrandt versucht sich in „Die Sphäre der Milliarden Wege“ ebenfalls an dieser Idee. Die Ausgangslage ist eher brüchig. Da sie reicht erben möchte, beseitigt die rücksichtslose Frau ihren einzigen familiären Widersacher, in dem sie ihn auf einer Welt mit einer Dysonsphäre zurücklässt. Ob ein Verschwundener, aber nicht toter Mann ausreicht, um das Erbe unmittelbar anzutreten, ist schon fragwürdig. Der Protagonist beginnt sich nicht zuletzt dank der Hilfe eines „Wanderers“ zu orientieren und strebt schließlich irgendwie voller Hoffnung und Furcht einem Weg entgegen, der ihn möglicherweise, aber nicht sicher zu einem der wenigen Raumhäfen auf dem Planeten führen könnte. Schade ist, dass die Geschichte mit dem eigentlichen Beginn der Reise abbricht. Die exotische Welt mit ihren im Grunde unzähligen Möglichkeiten wird nur angerissen, so dass dem Leser wie dem Protagonisten nur die hoffnungsvolle Phantasie bleibt.
Zwei Miniaturen finden sich in dieser Ausgabe. Herbert W. Frankes „Warum sind Computer so weltfremd?“ beleuchtet den Unterschied zwischen Fakten und Erwartungen an Hand eines geerbten Computers. Wie bei H.D. Kleins Geschichte wirkt die implizierte Technik irgendwie antiquiert, auch wenn die Pointe zumindest überzeugender ist. Erik Simons Groteske „Dich rasier ich nicht“ ist ein literarisches Fixierspiel, das sich trotz der Kürze aufgrund der pointierten Dialoge sehr gut lesen lässt. Es finden sich einige lyrische Arbeiten, bei denen vor allem Erik Simons pointierte wie doppeldeutige Texte herausragen. Die besonderen Kleinanzeigen am Ende der Ausgabe sollte Beachtung geschenkt werden.
Die Galerie gehört wie die Cover Jan Hoffmann. Jan Hoffmann präsentiert auch einen kurzweiligen, aber nicht gänzlich befriedigenden Comic. Statt einer langen Einleitung findet sich ein kleines Interview am Anfang der Bilderreihe, in denen sie Vielschichtigkeit dieses noch die Handarbeit bevorzugenden Künstler zu sehen ist. Einige der Arbeiten sind leider bislang nicht veröffentlicht worden. Insbesondere das Cover zu einem der besten Romane Robert Silverbergs hätte es verdient, auf einer überfälligen Neuauflage zu prangen.
Daneben finden sich wieder Zeichnungen unterschiedlicher Künstler von Victor Boden nicht nur für die eigene Geschichte oder dem schon angesprochenen Hubert Schweizer , Lothar Bauer oder Thomas Franke.
Nach zwei schwächeren Ausgaben überzeugt „Exodus“ 39 nicht nur durch die Vielfalt der Themen, sondern bei der Mehrzahl der Texte auch dank der Herangehensweise. Potential, die einzelnen Storys weiter auszubauen und Novellen oder gar Romane zu schaffen, ist bei einigen Texten vorhanden, so dass man sich nicht nur bei Jacqueline Montemurris zweitem Teil eine Romanversion wünscht. Graphisch ist „Exodus“ 39 wie alle Vorgängerausgaben über jeden Zweifel erhaben und macht visuell weiterhin sehr viel Spaß.