Wall of Storms

Ken Liu

“Wall of Storms” ist der zweite Teil der „Dandelion Dynasty“ . Ganz bewusst vermeidet Ken Liu den Begriff einer Trilogie und angesichts des sich weiter öffnenden Szenarios wird die modernisierte Variante chinesischer Sagen wahrscheinlich wie „Games of Throns“ noch viele Fortsetzungen erfahren. 

Der erste Band „The Grace of Kings“ war in vielfacher Hinsicht ein Überraschungserfolg. Ken Liu ist ein überdurchschnittlich begabter Kurzgeschichtenautor und Übersetzer, der mit seinem Romandebüt gezeigt hat, dass er auch Länge kann. Aber nur, wenn der Hintergrund des Szenarios anscheinend ihm seit Kindertagen vertrautet ist.

Der zweite Band wirkt ambitionierter, aber auch für die Leser schwieriger zu greifen. Setzte der Autor im Auftaktband schon über eine fast überschaubare Anzahl von handelnden Personen vor einem exotischen Hintergrund, so überbietet er sich in der Fortsetzung. Da helfen auch die anfänglich vier oder fünf Seiten mit kurzen Beschreibungen der Akteure und einer Art Ahnentafel nicht viel. Da auch der Handlungsbogen an keiner Stelle wirklich chronologisch geschrieben worden ist, fällt es dem nicht immer aufmerksamen Leser in einigen Kapiteln erst sehr spät auf, dass er dieser Figur schon unter anderem Namen begegnet ist.

Klar und deutlich wird nach dem ersten Drittel des Buches ohne einen roten Handlungsfaden, dass Ken Liu vor allem die nächste Generation seiner Dynastie und darüber hinaus plant. Das müssen nicht unbedingt Nachfahren des amtierenden Königs sein, dessen Auftakt der Leser ja in „The Grace of Kings“ verfolgen konnte, sondern auch zukünftige Mitglieder seines Hofstabes oder seiner Armee. Jeder dieser Figuren erhält ihren eigenen Hintergrund. Wie eingangs erwähnt fällt es manchem Leser erst sehr spät, fast zu spät auf, dass er lange vorher die gegenwärtigen Ereignisse gelesen, aber den Weg bis zu diesem Punkt der spezifischen Figur noch nicht durchlebt. An einigen Stellen wünscht man sich, dass Ken Liu die Chronologie ein wenig nachhaltiger eingehalten hätte, um die Auswirkungen der Situationen besser oder intensiver mittels des Hintergrunds der betroffenen Protagonisten zu erleben.       

Weiterhin spielt die Handlung nicht mehr nur oder um die Inseln von Dana, sondern durch die Invasoren aus dem Norden blickt der Leser auch über den bisherigen Horizont hinaus.

Ken Liu verzichtet auf einen klassischen Rückblick. Die Handlung beginnt sechs Jahre nach dem Ende von „The Grace of Kings“. Allerdings erwartet der Autor, das die Leser noch viele Feinheiten im Kopf behalten haben, denen einen Rückblick gibt es als Einführung nicht. König Ragin versucht nicht nur den von ihm quasi erzwungenen Frieden zu erhalten und den Menschen im klassenunterschiedlichen Rahmen Wohlstand zu schenken, sondern er muss die Bürokratie als eine Art lebdingen Papiertiger unter Kontrolle bringen; die elitären Kasten müssen ohne sie gleich gänzlich zu verprellen zurückgeschrumpft werden und die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern soll eingeführt werden. Wahrscheinlich das schwierigste Projekt. In dieser Hinsicht ignoriert Ken Liu die Vorgaben der Saga und modernisiert seine Welt vor allem auch der zwischenmenschlich politischen Ebene. Vor allem weil Ken Liu eine offensichtliche Schwäche seines erstes Buches damit ausmerzt. Während er sich in „The Grace of Kings“ vor allem auf die Männer konzentrierte, erschafft der Autor in der Fortsetzung dreidimensionale starke wie verletzliche, aber vor allem auch intelligente  dreidimensionale Frauenfiguren, die mehrfach ihren „Mann“ stehen und stehen müssen.

 Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung der Autor den Bogen mit den nächsten Fortsetzungen spannt.

In Bezug auf die Nachfolge hat Ragin fast ein obligatorisches Problem. Er hat zwei Söhne, allerdings von unterschiedlichen Frauen. Seine Nachfolge könnte gleichzeitig den Erfolg seiner Versuche bestimmen, aus Schulden und Gefälligkeiten, aus Loyalität oder Gehorsam einen derartig starken monarchistischen Staat zu stricken, der auch Angriffe von außen standhalten könnte.

Im mittleren Abschnitt des Buches führt Ken Liu mit den Lyucu eben dieser Angreifer ein. Ein Kriegervolk von jenseits der Mauer aus Stürmen, welche bislang eine Erkundung dieses unwirtlichen Teils seiner Welt schwierig gemacht haben. Dabei gibt Ken Liu aber den Lyucu auch ein Motiv mit auf den Weg. Es sind nicht nur eindimensionalen brutalen Plünderer in der Wikingertradition; sondern ein Volk, das seiner harschen Umgebung zu entkommen sucht. Pekyu Tenyo Roatan führt die Invasoren ein. Roatan hatte schon Kontakt mit Dara und kennt deren Schwachstellen, so dass neben der Überraschung und der waffentechnischen Überlegenheit effektiv und intelligent durchgeführt wird.

Ragins fragile Herrschaft und damit der bisher erlangte Fortschritt droht unter dieser Wucht zu zerbrechen. Allerdings könnten sich seine entschlossenen beiden Söhne trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten als Retter in der Not erweisen.

Die größte Stärke des Buches ist das Verweilen bei den menschlich gezeichneten Charakteren egal welcher Herkunft. Während sich die Grundhandlung nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Königreichen, aber auch den Invasoren in diesem Fall nicht von jenseits einer gigantischen Steinmauer, sondern der Natur an der vor allem in Asien markanten und bekannten Saga orientiert, macht Ken Liu nichts zuletzt dank seines dominanten Protagonisten deutlich, dass Krieg immer die Unschuldigen trifft. Auch wenn die Anführer, die Herrscher oder König von einem erfolgreichen Feldzug profitieren könnten, sind es immer die Bauern, die Fußsoldaten und schließlich auch die Frauen, die leiden und alles verlieren. Es wäre vermessen, Ken Lius Romane als eine Art proletarischen Gegenentwurf zu „The Game of Thrones“ anzusehen. Zu unterschiedlich sind die Hintergründe, zu sehr liegt der Fokus auf einem monumentalen Epos als einer kontinuierlichen Auseinandersetzung um die Macht. Daher wirken die Ränkespiele in und um den Hof wie eine Kinderparty. Ken Liu umschifft hier eine Reihe von Klischees und versucht auch diesem Thema eine originelle Seite abzugewinnen. Das gelingt aber nicht bedingt, nicht selten wirken einzelne Szenen zu lange ausgedehnt und bürgen für sich selbst genommen zu wenig nachhaltiges Potential.

Nach einer auch an der Geduld der Leser zerrenden Achterbahnfahrt hat sich der Autor allerdings entschlossen, kein greifbares Ende zu präsentieren, sondern verstärkt auf die Fortsetzungen hinzuarbeiten. Das soll nicht unbedingt die lange Reise entwerten, aber „The Grace of Kings“ endete mit dem Beginn einer neuen Ära und damit deutlich zufriedenstellender als die zu offene Fortsetzung.

Was den Roman aber unabhängig von seiner emotionalen Tiefe und seinem kontinuierlich sich erweiternden Kosmos zu einer intensiven, schwierigen, herausfordernden, aber auch befriedigenden Lektüre macht, ist Ken Lius Drang, seinen Figuren Gerechtigkeit zu Teil werden zu lassen.

Das hebt diese ersten beiden Bücher unabhängig vom für den Westen exotisch erscheinenden Hintergrund aus der Masse vergleichbarer Fantasy Epen positiv heraus. Es ist unumgänglich, die Serie mit dem ersten Buch anzufangen. Auf den ersten Blick scheint die erste Hälfte der Fortsetzung vor allem eine Festigung der etablierten Welt zu sein, aber Ken Liu führt die unterschiedlichen roten Fäden während des langen Finals gut zusammen, hat seine Welt überzeugend im Griff und die Balance zwischen den anfänglich langen, ruhigen Szenen und den blutigen Schlachten stimmt auch.

Ein guter zweiter Teil, in dem der Hintergrund bleibt wie er etabliert worden ist, alles „Bewegliche“ aber eine positiv fortwährenden Veränderung unterworfen wird. Und das macht den Reiz des Buches aus.   

 

  • Taschenbuch: 856 Seiten
  • Verlag: Head of Zeus Ltd.; Auflage: 01 (1. Juni 2017)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 9781784973278
  • ISBN-13: 978-1784973278
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