Im Krieg

Adrian Tchaikovsky

Adrian Tchaikovkys neuer Roman „Dogs of War“ nimmt sich aus einer moralisch provozierenden, aber überlegen argumentierten Position der Bürde, aber auch der Verpflichtung der Menschheit gegenüber den Kreaturen an, die sie extra für die Kriegsführung erschaffen hat. Experimente mit Tieren haben eine lange Tradition, einige verweisen auf den langen Schatten, den H. G. Wells schon mit seinem provokanten Werk „The Island of Dr. Moreau“ geworfen hat.

 Der junge britische Autor dreht die Ideen seines geistigen Ururgroßvaters um. Während Doktor Moreau aus Tieren Menschen ähnliche Kreaturen geschaffen und Gott gespielt hat, sucht man in der Zukunft nach einer ähnlich effektiven, aber umgekehrten Lösung. Schon der Name seines Protagonisten Murray könnte ein Wortspiel auf Moreau sein und damit noch eleganter die Brücke zwischen Wells und der bitteren Zukunft schlagen.

 Der Protagonist Murray hat eine perfekte kommerzielle Lösung für seine Forschungen vor allem im Bereich der Biogenetik gefunden. Das Ergebnis seiner Forschungen ist Rex. Eine bewaffneter und Kugelsicherer Hund, der auf der anderen Seite der beste Freund des „guten“ Menschen sein soll. Zusammen mit seiner multifunktionellen Angriffseinheit – Dragon, Honey und Bees im Original genannt – soll er einen schmutzigen Krieg hinter den feindlichen Linien im Südosten Mexikos führen.

 Rex hat seine Missionen bislang unreflektiert und erfolgreich ausgeführt. Für ihn spielte es keine Rolle, ob er Männer, Frauen oder Kinder tötet. Wichtig ist ihm nur gewesen, dass er Murray Gefallen und dessen Befehle ausgeführt hat. Er konnte sich nicht gegen die Befehle wehren. Im Gegensatz zu Moreau, der seinen Kreaturen zum Opfer gefallen ist, wird Murray als psychopathischer Kriegsverbrecher verhaftet und verurteilt. Es stellt sich aber die Frage, was Rex genau ist. Eine destruktive Waffe oder doch ein denkendes, künstlich emotional verstärktes Wesen.

 Gerichtsdramen gehören zur hohen Kunst der literarischen Schule. Was in Filmen wie „Wer die Nachtigal stört“, „Eine Frage der Ehre“ oder „Zeugin der Anklage“ so ausgezeichnet nicht zuletzt dank der überdurchschnittlichen Schauspieler funktioniert, welche die auf den Punkt geschliffenen Dialoge perfekt wiedergeben, muss Adrian Tschaikovsky vor allem die Beklagten erst einmal individualisieren und anschließend auch personalisieren. Dabei ist der Autor allerdings auch auf das von ihm geschaffene Umfeld angewiesen. So sieht sein Pflichtverteidiger in Rex eine tödliche Bestie. Keram John Aslan ist der Pflichtverteidiger der ganzen Gruppe.

 Dabei steht er vor einem grundsätzlichen Problem. Welche Rechte haben in diesem Fall künstlich intelligente Wesen im Gegensatz zu frei geborenen Tieren, die ja als Sache dienen. Greift der Begriff noch oder muss vielleicht die Justiz sogar eine Art Zwischeninstanz zwischen Menschen und Cyborgtier etablieren ?

 Es ist sicherlich kein Zufall, dass Tchaikovsky mit seinem Hintergrund eines Zoologie- und Psychologiestudiums, sowie seiner freien Tätigkeit als Rechtsberater die verschiedenen Argumente beider Seiten klar, unvoreingenommen und vor allem für den nicht unbedingt neutralen Leser nachvollziehbar darlegen kann. Diese klare und verständliche Gerichtssprache zieht den Leser mehr und mehr in seinen Bahn. Immer wieder besteht die Versuchung, allerdings voreilig selbst eine Art Laienurteil zu fällen und damit den spannenden, stringenten und ausgesprochen emotionalen Handlungsfaden passend abzukürzen.

 Im Grunde geht Tchaikovsky den notwendigen Schritt weiter, den H.G. Wells seinen damaligen Lesern vorenthalten hat. Die Kreaturen starben im eigenen Chaos, das sie nach dem Tod ihres Schöpfers angerichtet haben. Sie rückentwickelten sich zu den Tieren, die sie einmal gewesen sind. Das Gesetz des Dschungels herrschte wieder auf der Insel und mit dem Abschied des Erzählers konnte der Mantel des Schweigens über Moreaus unchristliche Schöpfungen gedeckt werden. Der Autor geht auch noch einen Schritt weiter als Doktor Frankenstein, der ja Leben aus dem Tod schaffen wollte. Auch diese Kreatur zog sich in die Einsamkeit der Eiswüste zurück, um dort an den eigenen Unzulänglichkeiten und der Isolation zu sterben.

 Tchaikovsky beginnt in einer weiteren Wendung der Handlung außerhalb des Gerichtssaals die Frage aufzuwerfen, ob die Menschen überhaupt bereit wären, mit aus ihrer Perspektive minderwertigen „Tieren“ zu leben, die durch oder dank der Biogenetik ihnen in allen Punkten überlegen sind ?

 Rex schiebt diese Verantwortung ab. Sein Wunsch ist es, ein guter Hund zu sein und den Befehlen seines Herren oder stellvertretend seinem intellektuellen Partner Honey zu folgen. Es ist schmerzlich, Rex naiven kindlichen anrührenden Gedankengängen zu folgen und anschließend seine Taten zu verfolgen, die er unschuldig wie ein Kind und tödlich wie eine Killermaschine begeht. Anfänglich scheut Rex, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Dieser Schritt aus der Position des Befehlsempfängers nicht unbedingt gleich zum Kommandanten, aber zu einem selbstständig denkenden Wesen gehört aber nicht nur zur intellektuellen Entwicklung eines jeden Menschen und damit auch einer biogenetisch verbesserten Kreatur, sondern stellt vor allem für die Juristen auch der erste Schritt vom Tiere und damit Sache zum „Menschen“ dar.

 Die emotionale Tiefe wird weder kitschig noch pathetisch dargestellt. Tchaikovsky macht deutlich, das er nicht darauf wert legt, Rex als niedlichen Hund zu beschreiben, dem ausschließlich böses angetan worden ist. Auf der anderen Seite ist Rex als Dreh- und Angelpunkt der Handlung aber auch nicht eine klassische Killermaschine. Obwohl Murray genau diese Absicht gehabt hat.

 Der Autor gibt sich keiner Illusion hin. Alleine eine fortschreitende Technik wird die Menschen als Ganzes nicht auf die nächste Stufe heben. Jeder Fortschritt kann gleichzeitig sozial auch ein Rückschritt sein, der neue Konflikte auslöst. Daher verzichtet der Autor auch auf alle Thesen umfassende Antworten. Die Stärke des Buches liegt in der Tatsache, dass Adrian Tchaikovsky aber den Mut hat, diese Fragen überhaupt zu stellen. Damit hebt er sich aus der Masse der gegenwärtigen Science Fiction Literatur hervor. Und diese Fragen lassen sich leicht auf die Gegenwart übertragen, in dem Rex und seine „Freunde“ durch Minderheiten ersetzt werden.  Es ist trotz der biogenetischen Fortschritte ein Buch, das sich kritisch mit dem intellektuellen Stand des Menschen, selbst brillanter wie rücksichtsloser Forscher in der Tradition Moreaus auseinandersetzt.

 Vor allem weil es der Autor seinen Lesern absichtlich nicht einfach macht. Auch wenn das Grundthema brutal erscheint, verzichtet er nicht auf warmherzigen Humor. Rex ist und bleibt ein Hund mit seinen Stärken, aber auch Schwächen. Sein zweiter „Anführer“ Honey möchte als superintelligenter ehemaliger Bär am liebsten ein Collegeprofessor sein. Ein Bild, das überhaupt nicht in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit passt.

Abgerundet wird die Gruppe durch Maria Hellene, die eine intelligente Androiden ist. Sie muss sich meistens als „Mensch“ verstecken und damit ihre Überlegenheit negieren, um gegen die Massen überleben zu können. Sie bildet die andere Seite der Münze. Sie entspricht auch mehr dem klassischen Science Fiction Bild, wobei sich Tchaikovsky auch hier einen Hinweis auf Fritz Langs Metropolis anscheinend nicht verkneifen konnte.

 „Im Krieg“ befriedigt beide Seiten eines Lesers. Es ist eine geradlinige und vor allem spannende Geschichte, deren wissenschaftliche Seite konsequent, aber auch verständlich aufgebaut worden ist. Es ist kein Military Science Fiction Roman und trotz einiger martialischer Ankündigen macht es der Autor auch gleich zu Beginn seiner Geschichte nachhaltig klar, dass es ihm um etwas „menschliches“ geht. Auf der anderen Seite geht Tchaikovsky auf eine interessante Art und Weise auf all die Fragen ein, die sich Mensch schon in der Gegenwart stellen muss, mit denen er aber in naher Zukunft angesichts der rasanten Entwicklung vor allem auch in den Bereichen der künstlichen Intelligenz konfrontiert wird.

 Während seiner „Children of Time“ Serie in einer ferner Zukunft mit einem exotischen fremden Volk bestehend aus Ameisen und Spinnen viele gegenwärtigen Themen angerissen hat, entfaltet er seine manchmal zu reale Phantasie, um den Menschen in naher Zukunft den Spiegel vors Gesicht zu halten. Neben den dreidimensionalen und zugänglichen Charakteren sind es vor allem die Gerichtsszenen, in denen die Argumente aufeinanderprallen, die Menschen sich aber selbst die Frage stellen, ob sie überhaupt noch menschlich sind. Und das ist eine der kraftvollsten wie provokantesten Thesen im ganzen Roman.

 

Im Krieg: Roman

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (12. August 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453320247
  • ISBN-13: 978-3453320246
  • Originaltitel: Dogs of War