Clarkesworld 165

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke geht in einem der längsten Vorwörter seit vielen Jahren auf die Situation der Verleger in Zeiten von Corona ein. Dabei greift er weniger auf die eigenen Erfahrungen eines Online Magazins zurück, sondern spricht auch mit den Herausgebern von gedruckten Magazinen, die besonders unter dem Lock Down gelitten haben.

 Thematisch passend geht Carrie Sessarego an drei Beispielen auf das Thema „Isolation in Fiction and Reality“ ein. Sie vergleicht Überlebensstrategien mit den fiktiven Erlebnissen der Protagonisten.

 Arley Sorg ist nur mit einem Interview vertreten. Er spricht ausführlich mit John P. Murphy über seinen ersten Roman, aber auch die zahlreichen Kurzgeschichten, die er in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Aus den Niederlanden fügt Roderick Leeuwenhart mit dem Problem dreier Autoren eine neue Facette hinzu. Drei Autoren aus Europa, Japan und schließlich indirekt mit Neil Clarke aus den USA sprechen über die verschiedenen Aspekte ihrer heimatlichen Science Fiction.

 Fünf längere Kurzgeschichten bilden den literarischen Text der 165. „Clarkesworld“ Ausgabe. Es finden sich keine Nachdrucke darunter.

 Der schwächste Text ist „Own Goal“ von Dennard Dayle. Der Protagonist Leon arbeitet für eine Werbeagentur. Es steht zwischen zwei Kolonien ein interplanetarischer Konflikt bevor. Leon soll eine Anzeige für eine neuartige Killerwaffe vorbereiten. Die größte Schwäche der Geschichte ist, dass Leon ein relativ unscheinbarer, vor allem unsympathischer Charakter ist. Der Leser findet keinen Zugang zu ihm.

 Im Hintergrund geht das Säbelrasseln in die nächste Phase. Warum Leon allerdings in dieser Zeit noch Anzeigen für eine Waffe fabrizieren soll, die auf jeden Fall im aufkommenden Krieg gebraucht wird, ist genauso erklärungsbedürftig wie die Idee, dass man in dieser gewaltigen Auseinandersetzung zu den Siegern gehört, wenn man seinen Job behält und quasi auf die Vernichtung durch den Feind wartet.

 Auch wenn sich der Autor hinsichtlich der politischen Formen nicht ganz klar ist und diese ordentlich mischt, baut er literarische Querverweise ein, um dem Text ein wenig mehr Fleisch zu geben.

 Ebenfalls als postapokalyptische Geschichte ist „Optimizing the Path to Enlightment“ von Priya Chand zu verstehen. Von ihren Implantaten quasi gesteuert isolieren sich die Mitglieder der Jain Gesellschaft mehr und mehr voneinander. Anju möchte dieser Entwicklung entgegensteuern, auch wenn die Idee, das die Aufgabe von Allem gleichbedeutend mit einem „Paradies“ vergleichbar ist, eher absurd erscheint und das menschliche Element negiert. Anju ist auf der einen Seite eine Gläubige, die sich selbst vom Fruchtsaft als irdische Sünde fernhält, auf der anderen Seite sucht sie aber auch Abweichler, um ihr bisheriges Leben im Grunde vor sich selbst zu rechtfertigen.

 Die Protagonisten erscheinen dreidimensionaler, aber der Handlungsfluss ist schwerfällig und wirkt leider gegen Ende deutlich bemüht, so dass der Leser sich belehrt und weniger aufgeklärt fühlt. Darunter leidet im nächsten Schritt die emotionale Basis der Story. Es ist schade, dass sehr viel Potential verschenkt wird, obwohl ausgerechnet die Ausgangsprämisse interessant und vielschichtig ist. 

 Bei „M. L. Clarks „Nine World for Loneliness in the Laguage of the Uma´u” handelt es sich um eine weitere im Partnership Universum spielende Geschichte. Awento ist der einzige Überlebende Umaú an Bord einer Raumstation nach einem terroristischem Überfall. Dabei hat er auch seinen Partner verloren. Er sinnt auf Rache, muss aber erst Überleben.

 Auch wenn die Geschichte in einem etablierten Universum spielt, greift der Autor auf andere Figuren und einen anderen Hintergrund zurück. Die rudimentären Hintergrundangaben sind ausreichend, um Neuleser einzustimmen, aber vor allem auch etablierte Fans der Serie nicht zu ermüden.

 Die UmaÚ werden manchmal mit ihrem Fell und vor allem ihrem Verhalten wie intelligente Hauskatzen beschrieben. Im Science Fiction Universum gibt es eine Reihe von Geschichten, welche die gleiche Karte spielen. Dabei machen inklusiv M. L. Clark alle Autoren einen entscheidenden Fehler. Sie beschreiben eine außerirdische Rasse und keine Hauskatzen. Auch die angeblichen ungewöhnlichen, vielleicht überirdischen Fähigkeiten werden eher angerissen als abschließend extrapoliert. Dadurch wirken einzelne Handlungsteile der Geschichte konstruiert und der Leser entfernt sich eher von der Figur als sich ihr notwendigerweise zu nähern, um die ganzen Folgen der terroristischen Anschlags einordnen zu können.

 Einige dieser Schwächen inklusiv einer weiteren sehr stark konstruierten Bedrohung werden allerdings durch die ungewöhnliche Erzählperspektive ausgeglichen. Ohne auf einen Ich- Erzählerbogen zurückzugreifen, kann M. L. Clark seine Figur dreidimensional entwickeln und um angesprochenen eingeschränkten Rahmen handeln lassen. Neben dem Gefühl des Verlusts und darüber hinaus der Isolation ist es für Awento auch schwer, mit den Fremden, den Menschen engere Beziehungen aufzunehmen.

 Auf der emotionalen Ebene überzeugt die Geschichte, während der Handlungsbogen abschließend unter dem potentiellen, aber nicht realisierten Gewicht zusammenbricht.

 Kenji Yanagama feiert mit „How Long the Shadows Cast“ ein eindrucksvolles Debüt, das dem Leser allerdings auch vertraut erscheint. Aus anderen Geschichten. Shun hat vor vielen Jahren seine Frau unter tragischen, erst später erläuterten Umständen verloren. Als er nach einigen Monaten im All in Tokyo auf eine besondere Frau trifft, scheint sich ein neues Leben für ihn zu öffnen.

 Die Liebesgeschichte ist ausgezeichnet beschrieben worden und die dreidimensionalen Figuren überzeugen ausgezeichnet. Shuns Schuldgefühle sind erst spät erkennbar, allerdings wirkt auch die Idee, woher die neue Freundin kommt, auf den ersten Blick absurd. Andere Romane und Kurzgeschichten haben diese Idee sehr viel besser und vor allem nuancierter herausgearbeitet. Aber der Leser lässt sich gerne von dieser kurzweiligen und emotional ansprechenden Geschichte hin und her treiben, wobei der Autor mit dem zu offenen und hinterfragenswerten Ende sich selbst aus der notwendigen Verantwortung stiehlt und auf entsprechende Antworten verzichtet.

 Beginnend mit einem interessanten Cover ist die June Ausgabe von „Clarkesworld“ eine durchgehend überzeugendere Nummer. Die Geschichten sind unterhaltsam und gut geschrieben. Neil Clarke scheint die Geschichten besser editiert und einige sprachliche Mängel geglättet zu haben. Die Themenvielfalt ist überzeugend und vor allem die meisten Texte behandeln auf sehr unterschiedliche Art und Weise die Einsamkeit und Isolation, was in die heutige Zeit sehr gut passt.    

cover

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E Book 112 Seiten