Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten

Thomas Ziegler

Der Apex Verlag hat schon im Jahre 2016 die Kurzgeschichtensammlung „Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten“ neu aufgelegt. Neben den drei Kurzgeschichten und der Titelnovelle hat Herausgeber Christian Dröge den Band im Gegensatz zur Erstveröffentlichung als Paperback im Blitz Verlag die Sammlung  farbig illustriert.

Die Titelnovelle „Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten“ erschien ursprünglich in der von Uwe Anton herausgegebenen Philip K. Dick Anthologie „Willkommen in der Wirklichkeit“ und wurde im drauf folgenden Jahr mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet.

Thomas Zieglers Novelle „Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten“ schließt die Sammlung mit einem einzigartigen Höhepunkt ab. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren bemüht er sich lange Zeit gar nicht, auf Philip K. Dick zu verweisen, sondern nach einem auf dem ersten Blick mechanischen Finale dreht der Autor den Plot noch einmal subversiv und stempelt den begabten, aber emotional unterentwickelten, masochistisch veranlagten Reinkarnaut Valentin endgültig zum Verlierer.

Alle drei große Haupthandlungen spult der viel zu früh verstorbene Kölner in einer rasant wechselnden Reihenfolge ab.

In seiner Zukunft gibt es die Möglichkeit, reinkarniert zu werden. Und zwar so geplant, dass die Erben/ Freunde oder Geschäftsfreunde erahnen können, in welchem Baby der Geist wieder aufersteht. Zusammen mit einer Reihe von Erinnerungen, die aber erst nach und nach an die Oberfläche kommen. Thomas Ziegler beschreibt das eindrucksvoll an dem alten Astor, natürlich immer noch einer der reichsten Männer der Erde.

Die zweite Handlungsebene umfasst Zeitexperimente. Eines ist schief gegangen. Der Hausmeister am Institut für Reinkarnation ist ein Opfer geworden und lebt quasi rückwärts. Auch eine Idee aus einem der früheren Dick Romane.

Der dritte Handlungsbogen betrifft die Möglichkeit, eine Parallelwelt entweder zu erschaffen oder in diese einzutreten, in welcher im Grunde indirekt das dritte Reich mit einem besonderen Hitler wahrscheinlich den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat, weil es – so konträr es erscheint – keine Endlösung der Juden gegeben hat und diese sechs Millionen Menschen in der Militärmaschinerie bis zu ihrem „Tod“ eingesetzte worden sind.

Ein reicher sterbenskranker Industrieller will dieses Ziel mittels Valentin, dem besten Reinkarnauten und damit Begleiter der Sterbenden, erreichen. Vordergründig will er den Holocaust verhindern, was wiederum in einer von Thomas Ziegler provokant beschriebenen Szene, die Palästinenser auf den Plan ruft. Hintergründig geht es um die Übernahme eines verrückten Diktators natürlich in der Wiege.

Die Geschichte besticht durch so viele Ideen, die typisch für Dick sind und von Thomas Ziegler überzeugend extrapoliert worden sind, dass man sich förmlich nicht satt lesen kann. Valentin ist ein klassischer Opfer. Seine deutsche Frau will sich wegen seelischer Grausamkeit von ihm scheiden lassen. Nach deutschem Recht natürlich. Er ist pleite und muss sein von einer K.I. gesteuertes Appartement verlassen, obwohl er für alle Schäden aufgekommen ist. Ein intelligentes Robotertaxi wird umgeleitet und kann ihm nur beipflichten, das die Situation sehr gefährlich ist.

 

Wie perfide und intelligent die Falle über viele Jahre aufgebaut worden ist, erfährt der Leser immer auf Augenhöhe Valentins, der zum Täter und Opfer zu gleich wird. Allerdings schenkt ihm Thomas Ziegler im entscheidenden Moment eine Art Pyrrhussieg, denn von alleine hätte er sich fatalistisch seinem Schicksal ergeben. Auch diese Vorgehensweise findet sich nicht selten in Dicks Werk.

Der Humor schwankt zwischen subtil und provokativ. Thomas Ziegler streift in seiner Zukunftswelt alle in den achtziger und neunziger Jahren relevante Fragen und gibt im Grunde unangenehm direkte Antworten. Selbst dreißig Jahre nach ihrer Entstehung hat die Novelle nichts an Schärfe verloren.

Alle Figuren sind mit einer fatalistischen Liebe zum Details entwickelt worden. Im Mittelpunkt steht ein nicht nur für Dicks Werk typischer Verlierer allerdings mit einer einzigartigen Eigenschaft, die für alle andere zu einer Art Sechser im Lotto werden könnte. Nur für Valentin selbst nicht, der um seine gescheiterte Ehe trauert und sich weigert, zum eigenen Vorteil mit Prinzipien zu brechen.

Geprägt von einem hohen Tempo und einigen irrwitzigen Situationen ist „Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten“ – eine Art geflügeltes Wort für Valentin – eine wunderbare Satire, eine respektvolle Hommage an Philip K. Dick und ein weiterer Beweis für Thomas Zieglers Fähigkeiten, aus einer Reihe von Versatzstücken etwas Originelles und ganz Eigenes zu erschaffen.      

„Marie“ ist die einzige Kurzgeschichte, die Thomas Ziegler exklusiv für die Anthologie geschrieben hat. Stimmungstechnisch passt sie sehr gut zu Teilen der vorangegangenen Story „Tief unten im All“. Der Protagonist soll in den nächsten Tagen alleine mit einem Raumschiff aufbrechen, um im All verschiedene Basen zu kontrollieren. Es ist ein einsamer Job, für den sich die Astronauten freiwillig melden müssen. Er lebt aber in einer  Art virtuellen Synthese mit Marie, einem Computerprogramm oder vielleicht auch nur einer eingebildeten Geliebten. Thomas Ziegler bleibt in diesem Punkt vage. Der Leser kann sich trotz des emotional schwermütigen Tons sehr schwer dem Protagonisten wirklich nähern, so dass „Marie“ vor allem auch wegen dieser Ambivalenz zu den schwächeren Arbeiten der Anthologie gehört.

„Tief unten im Tal“ stammt aus der von H.J. Alpers für den Moewig zusammengestellten Anthologie „Metropolis brennt“. Die Handlung ist zweigeteilt. Auf einem der Jupitermonde kämpfen die Astronauten gegen die Vereinsamung und vor allem die Sehnsucht nach Frauen. In diesem Abschnitt spiegeln sich Ideen aus „Marie“ wieder, wobei die Auflösung des Handlungsbogens fast zynisch zu nennen ist.

Gängiger ist die Haupthandlung. Die Zivilisation ist teilweise zusammengebrochen. Es gibt Menschen, die auf den Müllhalden leben und von Tauschgeschäften mit den Dealern, den Menschen dort draußen leben. Thomas Ziegler trifft den Ton, den James Ballard in seinen  dystopischen Romanen der siebziger und achtziger Jahre angeschlagen hat. Zu den im Mühl aufgefundenen Schätzen gehört neben einem Edelweißheimatroman auch ein Perry Rhodan. Die verwahrlosten Männer und Frauen leben von der Hand in den Mund.  Ob die telepathisch begabte Ratte wirklich ist oder wie Marie möglicherweise nur eine von Drogen, gepanschten Alkohol oder Entkräftung heraufbeschworene Fata Morgana ist, lässt der Autor offen. Es spielt auch für den Fortlauf der Handlung keine Rolle. Am Ende zerbricht diese „Idylle“ abseits der weiterhin konsumierenden und über ihre Verhältnisse lebenden Zivilisation genau wie die restliche Welt, wenn die Barbaren mehr und mehr nach Norden dringen.

Eindringlich, wenn auch ein wenig belehrend geschrieben ist „Tief unten im Tal“ eine allerdings auch für die achtziger und neunziger Jahre so typische wie markante Warnung vor dem Zusammenbruch der Ersten Welt und ihrem rücksichtslosen Konsumstreben.

Aus der im Ullstein Verlag publizierten Anthologie „Lichtjahreweit“ stammt die Auftaktgeschichte „Methusalem“. Die Gesellschaft ist geteilt. Die Alten werden immer mehr. In Köln leben alleine mehr als sechzig Prozent Rentner, es werden kaum noch Kinder geboren. Die Jugendlichen scheinen sich zu radikalisieren.  In Berlin ist ein blutiger Anschlag durchgeführt worden. Die beiden Protagonisten sind Mitte vierzig, verheiratet und leben in einem Mehrfamilienhaus, in das eine Familie mit einem kleinen Kind eingezogen ist. Die Paranoia beginnt mehr und mehr auch die beiden im Grunde sozialneutralen Protagonisten zu erfassen.

Thomas Ziegler präsentiert ein zynisches Ende. Wie in seinen Romanen ist fast alles nicht so, wie es erscheint. Bis dahin konzentriert sich der Autor auf eine Reihe von Stimmungen und lässt vor allem seinen männlichen Protagonisten nicht nur an sich, sondern auch der Gesellschaft zweifeln. Die Sozialkritik ist bissig, aber nicht grundlos beißend. Viele aus der Sicht der neunziger Jahre noch rudimentär vorhandene Strömungen hat Thomas Ziegler weiter entwickelt und präsentiert sie mit einem fast distanzierten Grundton pointiert und effektiv. „Methusalem“ ist die beste der drei kürzeren Arbeiten, auch wenn die ideenreiche qualitativ herausragende Novelle alles erdrückt.

Die Neuauflage – zum ersten Mal als E Book – dieser Anthologie unterstreicht deutlich, welch ein versierter, aber auch kritischer Autor Thomas Ziegler vor allem auch in den kürzeren Texten gewesen  ist. 

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  • Dateigröße : 2686 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe : 289 Seiten
  • Word Wise : Nicht aktiviert
  • ASIN : B01F536TQK
  • Herausgeber : Apex Verlag
  • Sprache: : Deutsch