Der Seelenplan

Octavia Butler

Chronologisch ist der 1977 in den USA veröffentlichte Roman „Mind of my Mind“ der zweite Band der Serie. Es handelt sich auch um Octavia Butlers zweite Buchveröffentlichung. Ein Jahr zuvor erschien mit „Als der Seelenmeister starb“ der chronologisch letzte Band der Serie. Wie in den USA veröffentlichte der Bastei Verlag die beiden Bücher in der Erscheinungsreihenfolge.

Aus dem chronologisch ersten Buch „Wilde Saat“ übernimmt Octavia Butler mit Doro einen markanten Charakter. Aber der Mensch, der töten muss, um unsterblich zu sein, ist im vorliegenden Buch zwar eine dominante Figur, aber betrachtet der Leser den vorliegenden Roman für sich und nicht in Kombination mit Doros Lebens- und Liebesgeschichte aus „Wilde Saat“ wirken einige seiner Handlungen eher konsequent als seinem im ersten Buch der Serie minutiös pervers ausgearbeiteten Generationenplan. Vor allem, weil Doro dank Mary mit einem ebenfalls ambitionierten Plan konfrontiert wird, der auf eine gänzlich andere Art und Weise seine Dörfer imitiert, auf eine phantastische Art und Weise aber auch extrapoliert. Daher wirken seine Reaktionen auf Marys Plan eher aufgesetzt und unterstreichen sein eitles Wesen, aber nicht seine immer wieder in „Wilde Saat“ betonte Fähigkeit, über Jahrhunderte nicht nur planen zu können, sondern auch planen zu müssen.

„Wilde Saat“ deckt einen Zeitraum von mehr als einhundertfünfzig Jahren ab und zeigt auf, wie Doro konsequent seine im Grunde „Zuchtdörfer“ – Octavia Butler geht mit diesem Begriff sehr konsequent um – in der neuen Welt angesiedelt hat. „Der Seelenplan“ spielt nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt einen Hinweis auf Dachau und die Qualen, welche den Juden dort angetan worden ist. Ansonsten legt sich Octavia Butler nicht fest, aber viele kleinere Hinweise implizieren die Möglichkeiten, das der Roman in der Gegenwart- also Mitte der siebziger Jahre – angesiedelt worden ist.

Doro leitet das Geschehen ein. Im mittleren Abschnitt verschwindet er im Gegensatz zu „Wilde Saat“ gänzlich von der Bildfläche, um während des Finals eine aus seiner Sicht unmittelbare Katastrophe zu verhindern. Dadurch fehlt „Der Seelenplan“ ein wenig die Balance, welch ihr Meisterwerk „Wilde Saat“ mit Doro auf der einen Seite als Inkarnation des im Grunde räuberischen Vampirs und seine lange Liebe Anyanwu als Heilerin, aber auch sehr entschlossene und modern denkende Frau auszeichnete.

Im Mittelpunkt von „Der Seelenplan“ steht der Konflikt zwischen Doro und Mary.  Bei Mary teilt Octavia Butler die Erzählebenen zusätzlich auf. Wichtige Passagen werden insbesondere zu Beginn des Romans aus der intimen Ich- Perspektive mit einem durchaus frechen Unterton erzählt.  Dadurch rückt Mary insbesondere zu Beginn mehr in den Fokus und Octavia Butler kann nicht unbedingt das Schicksal, aber die Lebensbedingungen der impliziert farbigen Bevölkerung in den sechziger und siebziger Jahren an einigen drastischen Beispielen beschreiben.

Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der späteren im Original „Patternist“ genannten Gesellschaft. Aus ganz anderen Motiven gründete Doro immer wieder Siedlungen, um von diesen mit unterschiedlichen übernatürlichen Fähigkeiten ausgestatten Menschen in mehrfacher Hinsicht zu profitieren.

Mary ist eine seiner vielen Töchter.  Ihre Mutter ist eine Weiße. Da der Roman einige Jahre vor „Wilde Saat“ entstanden ist, wirken Doros Andeutungen hinsichtlich seiner bisherigen Kinder eher vage. Auch der Versuch, eine erste übernatürliche Gesellschaft mit Anyunwu zu gründen wird nicht erwähnt.

Doro verpflanzt Mary in eine Pflegefamilie. Er sieht ihn ihr ein großartiges telepathisches Talent. Aber sie hat ihren eigenen Willen.

Octavia Butler arbeitet aber den Konflikt in diesem Fall zwischen „Vater“ und Tochter nur bedingt heraus.  Doro möchte zwar, dass Mary quasi dank ihrer Fähigkeiten Doros Familie miteinander verbindet, aber er will auch nicht die feste Verbindung, die Mary hinter seinem Rücken anstrebt.

Mary sammelt nicht nur diese latenten Mutanten, sie beginnt sie geistig zu einer Familie, zu dem angesprochenen Muster zu verbinden. Auch wenn sie sich ein wenig unter ihre Kontrolle bewegen, schenkt sie ihnen als Gemeinschaftsgeist im Werden auch Freiheiten, die sie individuell in ihren jeweiligen Wohnorten nicht haben.

Rassismus spielt in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle.  Butler zeigt aber drastisch die armseligen Verhältnisse, unter denen einige von Doros ignorierten Kindern aufwachsen. Doro sieht aber die Risiken einer neuen im Grunde Generation von Menschen, die er nicht mehr als Zuchtvieh, aber auch Ersatzkörper missbrauchen kann. Das Thema Unsterblichkeit zu Lasten unzähliger Toter wird in „Wilde Saat“ deutlich mehr betont, dafür zeigt die Autorin auch die emotionale Distanz zwischen dem Körperdieb Doro und zum Beispiel Mary oder ihrer Mutter Rina auf, die zwar besondere Fähigkeiten haben, aber eben nicht in körperlicher Form unsterblich werden können.  

Wie alle ihre Romane verfügt der Roman über ausgesprochen dreidimensionale, aber deswegen nicht unbedingt sympathische Protagonisten.  Den Roman eröffnet Rina, Marys Mutter. Sie ist eine Alkoholikerin und Prostituierte. Sie dient Doro als Matrix für sein Zuchtprogramm. Auch wenn sie über ein Haus und Geld verfügt, zieht es sie in die Slums.

Karl wird Marys Ehemann. Er ist ebenfalls eines von Doros Kindern. Karl ist reich und mit einer weißen Frau verheiratet.  Aber Doro hofft, dass sich ihre Fähigkeiten besser vereinigen und eine neue noch stärkere Generation hervorbringen. Karl ist ein schwacher Mann, der auch beruflich von Doro abhängig ist und sich nur bedingt durchsetzen kann.

Mary ist eine für Octavia Butler so typische Protagonistin. Sie ist eine intelligente junge farbige frau, die früh gelernt hat, gegen die Freier ihrer Mutter sich zur Wehr zu setzen. Die Einsamkeit verleiht ihr Stärke. Vielleicht ist deswegen auch der Wunsch verständlich, eine eigene „Familie“ zu erschaffen, auch wenn sie damit Doros Warnungen ignoriert. Das erste Muster besteht aus sechs Telepathen. Octavia Butler bleibt aber bei der Erschaffung dieser Gemeinschaft als ersten Schritt im Grunde zu einer neuen „Lebensgemeinschaft“ ausgesprochen vage. Die Telepathie wird als erdrückend, aber auch befreiend empfunden. Doros Kinder müssen im Alter zwischen sechszehn und ungefähr zwanzig Jahren die Verwandlung durchlaufen, mit ihrer damals späteren Pubertät das Erwachen ihrer ambivalenten paranormalen Fähigkeiten durchstehen, ohne das Doros Lebensgeschichte sowohl in „Wilde Saat“ als auch „Der Seelenplan“ Informationen zur Wurzel seiner Übernatürlichkeit enthält.

Im Gegensatz zu einigen anderen Autoren wie Robert Silverberg (Es stirbt in mir), Katherne Macleane(Der Esper und die Stadt), James Blish (Der PSI- Mann) oder Mark Phillips (DieLady mit dem sechsten Sinn) kann sich der Leser kein abschließendes Bild von der Tiefe der telepathischen Fähigkeiten machen, auf die sich die Autorin in „Der Seelenplan“ konzentriert. Hinzu kommt eine Hommage an Theodore Sturgeons „More Than Human“, in welcher der Amerikaner auch den „Homo Gestalt“ als ein Wesen durchaus in verschiedenen Körpern entwickelt hat.  So weit geht Octavia Butler im von der Entstehung her „zweiten“ Band der Serie noch nicht, aber dem Leser wird durch die unaufdringliche, aber auch bestimmte Art der Autorin klar, dass er hier die Wurzeln einer neuen Superzivilisation auch aus der Barbarei der Sklaverei verfolgen kann.

 In „Wilde Saat“ sind die Fähigkeiten Doros Kinder vielschichtiger und damit nicht nur faszinierender, sondern auch sehr viel gefährlicher.   

Über Doros Vergangenheit erfährt der Leser nicht viel. Als Vater einer ganzen Musterfamilie, als Unsterblicher und schließlich auch als potentieller Mörder dieser Mutanten bleibt er relativ vage gezeichnet, Liest man die Bücher in der chronologischen Reihenfolge, sind alle relevanten Informationen über den mehr als viertausend Nubier aus „Wilde Saat“ bekannt. Da Octavia Butler diesen Handlungsbogen am Ende von „Der Seelenplan“ beendet, wirkt Doro wie ein Enigma, nicht gänzlich herausgearbeitet und viel Potential vor den Lesern verbergend.     

Obwohl im Grunde nach außen wenig passiert und sich Octavia Butler in diesem Buch auf eine Reihe positiver wie negativer zwischenmenschlicher Beziehungen konzentriert und die Etablierung der Muster noch sehr vage sind, fasziniert der Roman durch eine intensive Atmosphäre, sowie den im Grunde unmöglichen Versuch, etwas zu visualisieren, was ausschließlich im Geiste stattfindet.

Hinzu kommt, dass sie sich auf eine besondere Art vor allem auch aus deutscher Sicht brisanter Themen wie der Tötung unwerten Lebens, der Versklavung von Menschen zu ihrem „Besten“, Inzest und Zuchtprogrammen annimmt und basierend auf den Erfahrungen ihrer farbigen Herkunft keine Lösungen anbietet oder paradiesische Landschaften beschreibt, sondern diese Punkte  minutiös, entschlossen und vor allem sehr modern denkend aus unterschiedlicher Perspektiven debattieren lässt.

Auch wenn „Der Seelenplan“ noch die literarische Routine fehlt, die vor allem „Wilde Saat“ auszeichnet und einzelne Szenen noch ein wenig roh sowie unfertig erscheinen,.

 

Der Seelenplan.