Der Schachtürke

Alexander Kaiser

Der Untertitel „St. Peterburgers Eröffnung“ impliziert, dass Alexander Kaiser Steampunkgeschichte „Der Schachtürke“ der erste Band einer ganzen Serie sein könnte. Auch die Struktur mit einer sehr langen die Hintergründe erklärenden Exposition, einem zügigen mittleren Abschnitt und abschließend einem zu hektisch und zu wenig vorbereiteten Finale inklusiv des vorausblickenden Epilogs untermauern diese Theorie.

Alexander Kaiser hat in den letzten Jahren neben seinem Perry Rhodan Fanroman „Der Normon- Konflikt“  auch mehr als zwanzig Beiträge für die Fanfiction Reihe „Rätsel der Galaxien“ geschrieben. Seit 2011 veröffentlicht er im Eigenverlag Romane. Dabei reicht das Spektrum von der Space Opera  über die Fantasy oder den Krimi bis zur „Für den Kaiser“ Reihe.

Zwischen den Zeilen weist der Autor darauf hin, dass Helene Muller als Tochter eines elsässischen Vaters und einer kanadischen Ureinwohnerin, deren indianische Wurzeln sie gerne offen und provozierend im preußischen Deutschland trägt, schon vorher Abenteuer erlebt hat. Offiziell reist sie mit ihrem Mündel und Kurbeldreher Lexter durch die Welt. Sie betreibt ein Fahrgeschäft mit einem Schachtürken, wobei es sich im Gegensatz zu realen historischen Vorbild tatsächlich um eine echte Maschine wahrscheinlich mit einem Computer in seinem Inneren handelt. Die Maschine spielt selbstständig und wird ohne Dampfkraft betrieben. Helene Muller hat den Schachtürken von einem immer wieder erwähnten, aber nicht offiziell in Erscheinung tretenden Erfinder gekauft. Bislang hat der Schachtürke noch nie ein Spiel verloren, allerhöchstens und sehr selten hat man ein Remis ihm abringen können.

Neben den Eintrittspreisen lebt Helene Muller von den Spielgeldern. Zehn Mark pro Spiel, wobei es bei einem Sieg zweihundert Mark an den Sieger gibt.  

Der Geheimrat des Deutschen Reichs Armin Schortewitz verdächtigt die junge Frau offiziell der Spionage für Frankreich. Inoffiziell sind Lextor und Helene Muller im Grunde das erste Auslandsteam des im Entstehen befindlichen Auslandsgeheimdiensts des deutschen Reiches. Ihre Tarnung ermöglicht es ihnen, Aufsehen erregend und gleichzeitig die Aufmerksamkeit ablenkend durch alle Metropolen der Welt zu reisen und Botschaften zu überbringen.

Theoretisch ist diese Ausgangslage interessant und die burschikose wie aufgeschlossene Helene Muller ist vielleicht auch der richtige Charakter für diese Aufgabe. In der Praxis ist es aber umständlich. Ihre Tourneen scheinen wie die Exkursion nach Russland spontan zu planen sein, aber erstens kann sie sich nicht wirklich frei mit dem Schachtürken und ihrem ein wenig für den Comic Relief zuständigen Helfer bewegen. Zweitens gibt es in dieser viktorianischen Zukunftswelt schon andere Kommunikationsmittel, die effektiver sind und drittens wahrscheinlich aus spannungstechnischen Gründen hängt ihr zumindest kurze Zeit die italienische Vergangenheit nach. Unabhängig davon scheint Helene Muller und ihr Schachtürke zumindest im vorliegenden ersten Buch eher ein Mittel zum Zweck zu sein, das auch geopfert werden kann, wenn höhere Ziele im Wege stehen und die Neugierde der Öffentlichkeit befriedigt worden ist.

Im Prolog wird ein Attentat auf den russischen Zaren beschrieben, Russland gilt als Technologiefeindlich. Die Eisenbahn ist nicht mit der europäischen Norm kompatibel, die gigantischen Zeppeline können ihre Waren nur an wenigen Flughänfen anlanden; die Bauern werden weiter als Leibeigene betrachtet und jegliche Fortschritt wird vom Sohn/ Nachfolger des ermordeten Zaren umgehend zurückgedreht. Eine Situation, welche vor allem den technologisch fortschrittlichen und fortschreitenden europäischen Ländern nicht wirklich gefallen kann.

Bis zur Zarenmmission vergeht allerdings noch ein wenig literarischer Raum,. Alexander Kaiser stellt die wichtigsten Protagonisten ausführlich vor. Helene Muller abschließend sogar an Leib und Leben bedroht. Sie wirkt aber auch ambivalent geschildert. Sie fühlt sich in der indianischen Tracht ihrer Mutter inklusive Bowiemesser sehr wohl. Sie raucht gerne Pfeife, was nicht ungefährlich ist. Sie sympathisiert natürlich mit der Suffragettenbewegung, ist zumindest zu Beginn um keine Antwort verlegen. Alexander Kaiser etabliert sie als Protagonistin, um diesen Anschein zweimal im Roman aus dem Nichts heraus fallen zu lassen. Damit demontiert der Autor eine interessante Frauenfigur, die er ausführlich, vielleicht angesichts des Romanumfangs sogar zu ausführlich aufgebaut hat.

Ihr Helfer Lextor bleibt ein Schatten. Er bedient die Kurbel und verliebt sich natürlich in die Tochter einer Reisebegleitung. Mehr hat er aber nicht zu tun.

Der Schachtürke wird dagegen ausführlich beschrieben . Neben dem historischen, aber auf Betrug basierenden Vorbild wird älteren Lesern noch der Film „Schach dem Roboter“ im Gedächtnis bleiben, der von Pidax auf DVD neu aufgelegt worden ist. Helene Muller macht immer wieder vehement deutlich, dass sich kein Zwerg in ihre einzigartige Maschine geschlichen hat. In seiner Bewunderung für die eigene Schöpfung geht Alexander Kaiser an einer Stelle so weit, das erste Duell zwischen Mensch und Maschine sehr ausführlich vor allem im Gesamtverhältnis des Romans zu beschreiben. Wer Schach spielt und liebt, wird die minutiöse Beschreibung der Züge nachvollziehen können und sich an ihrer Eleganz erfreuen. Andere Leser werden diese zu langen Beschreibungen als spannungstechnisch kontraproduktiv empfinden. Diese Sequenz wiederholt Alexander Kaiser im Romanverlauf auch kein zweites Mal.

Die Mission nach Russland auf Einladung eines Geschäftsmann inklusiv entsprechender Bezahlung soll nicht nur der arroganten Oligarchie mit dem Zaren als Bremser jeglichen Fortschritts die Augen öffnen, in einer gemütlichen Kneipe lernt Helene Muller abschließend die Warmherzigkeit des russischen Volks kennen.

Am Ende entpuppt sich der Plan als Teil eines weiteren konspirativen Plans, in den Helene Muller nicht nur nicht eingeweiht worden ist, sondern welcher einschloss, dass sie bei nicht rechtzeitiger Retter förmlich aus dem Nichts und mit entschlossener weibliche Hand ihr Leben verwirken könnte. Die Idee, das der Schachtürke die Ängste des Zaren manifestiert und damit sein Schicksal beschließt, kommt aus dem Nichts heraus. Der Plan wird abseits der laufenden Handlung zwar ausführlich vorbereitet, scheitert aber im Grunde wieder an einem klassischen James Bond Manko. Der Verantwortliche muss alles erklären, anstatt gleich zu handeln. Dann wäre er erfolgreich gewesen und jegliche Rettung käme zu spät.

Die Szene wirkt hektisch und der Plan basiert auf einer Reihe von Zufälligkeiten. Er kann aber auch nur in einem nicht aufgeklärten Land funktionieren, da der Schurke darauf bauen muss, dass Helene Muller den Schlüssel zu allem bei sich trägt, damit alles perfekt und nicht improvisiert erscheint. Auch die Gegenaktion basiert zum Teil auf der mütterlichen Liebe zum Zaren und weniger seinen Handlungen, welche die ärmliche Bevölkerung mehr drangsaliert als ihnen Hilfe zu geben. Aber es ist ein literarisch optisch schöner cineastischer Höhepunkt, der im Kino besser wirkt als im Roman.

„Der Schachtürke“ ist ein solider Roman. Er besticht durch einen gut recherchierten Steampunkhintergrund und eine vor allem bei den Hauptfiguren prägnante Charakterisierung. Der Plot selbst wirkt zu wenig ausbalanciert präsentiert. Der auch im Titel prägnante Eröffnung zieht sich sehr lange hin, ohne zu langweilen, aber den Leser auch nicht wirklich zu packen. Anstatt einzelne Abschnitte mittels Dialogen voranzutreiben, verfängt sich Alexander Kaiser in nicht immer effektiven wie relevanten Beschreibungen, wo die ausführliche Beschreibung des ersten Schachspiels ja nach Interesse der Leser positiv oder negativ zu gewichten ist.

Am Ende überschlagen sich die Ereignisse zu stark und vor allem nimmt Alexander Kaiser mit der bis dahin mindestens kompetenten Helene Muller seine beste Figur aus dem Spiel. Ihren Leichtsinn in der Gasse kann man noch verstehen, aber das sie aus eigener Perspektive oder im Auge ihres Chefs zu einem derartigen fast naiven Bauernopfer wird, erscheint unangemessen und bis teilweise enttäuschend.

Einen Auftaktroman möglicherweise einer ganzen Serie zu schreiben ist immer delikat. Es darf nicht zu wenig präsentiert werden, zu viel erdrückt den Handlungslauf. Die Balance ist neben dem teilweise zu gleichmäßigen, zu wenig sich dem Inhalt anpassenden Stil das größte Manko des Romans, während bei den Protagonisten Helene Muller ein Unikat in dieser gut gestalteten Steampunkwelt ist, das vom Autoren abschließend nur oberflächlich geputzt worden ist.       

 

Redaktion/Herausgeber
Peter Emmerich
CoverUmschlaggestaltung: Beate Rocholz
TextsatzJörg Schukys
LeseprobePDF-Datei (ca. 1,4 MB)

E-Book

4,95€ im Kindle-Shop, erschienen am 30. November 2020
ePub auf Anfrage
Printversion12,95€ bei Amazon, erschienen am 30. November 2020
ISBNISBN: 979-8574340943
Imprint: Emmerich books & media
Verlagsausgabe: OHNE ISBN
Größe/Umfang20,3 x 12,7 x 1,47 cm / 228 Seiten