1986- Unternehmen Stunde Null

Gerhard R. Steinhäuser

Der Apex Verlag legt einen der beiden Romane Gerhard Rudolf Steinhäusers neu auf. "Unternehmen Stunde Null 1986" wurde ursprünglich 1973 geschrieben. Das Buch erschien das erste Mal im Desch Verlag, dann  als Fischer Taschenbücher mit einem für die "Fischer Orbit" Reihe so markanten Titelbild Eddie Jones, aber nicht mehr innerhalb der Reihe. Im Rahmen der positiven Utopien veröffentlichte der Goldmann Verlag den Roman 1984 noch einmal, bevor der Apex Verlag eine Veröffentlichung für das 21. Jahrhundert auch als E-Book mit einer durchgesehenen Neuauflage in Angriff nahm.

Der 1920 in Brünn geborene und im September 1989 gestorbene Steinhäuser hat viele Jahre nach seinem Studium der Vorgeschichte und Naturwissenschaft als Redakteur der Tiroler Tageszeitung und später freier Journalist gearbeitet. Es folgten neben den beiden angesprochenen Science Fiction Romanen eine Reihe von sekundärliterarischen Arbeiten zur Prä- Astronaurtik und Ufologie in der Tradition Erik von Dänikens.

Es gibt viele Post Doomsday Geschichten. Neben den Gewaltexzessen konzentrieren sich einige wenige Storys direkt oder indirekt auf den Neubeginn, das Entstehen einer neuen besseren menschlichen Zivilisation basierend auf den Erfahrungen und Lehren aus der Katastrophe. David Brin hat das mit „The Postman“ symbolisiert, wobei er die Struktur des klassischen Western mit einem stoischen Überhelden als roten Faden angenommen hat. George R  Stewarts „Leben ohne Ende“ kommt „Unternehmen Stunde Null“ in einer anderen Hinsicht entgegen. Bei Stewart eine kleine Gruppe, bei Steinhäuser als Herzstück die eigene Familie. In beiden Romanen geht es um einen längeren Zeitraum. Bei Steinhäuser fast zwanzig Jahre. 

Während die meisten Post Doomsday Geschichten aus entweder der dritten oder der ersten Person aber immer als nihilistische Fiktionen erzählt werden, versucht Gerhard Steinhäuser wie Erich von Däniken und später auch Walter Ernsting sich selbst in den Mittelpunkt der Handlung zu platzieren. Am Anfang schreibt er noch von einem Schriftsteller, der mit seinen Büchern Tonnen von Geld verdient hat und sich deswegen die Burg kaufte, später spricht ihn einer seiner Charaktere sogar mit richtigen Namen an, um alle Zufälligkeiten auszuschließen.

Zu Beginn der ausschließlich in Form von Tagebuchaufzeichnungen allerdings mit entsprechenden Dialogen erzählten Handlung etabliert er sich als einen Schriftsteller, der mit seiner Frau, den beiden Söhnen und einigen wenigen Freunden sich auf das Ende der bekannten Zivilisation vorbereitet. So wartet die kleine Gruppe auf den Tag X, um dann rasend schnell in die Wälder und das Schloss zu fliehen.

Der Weltuntergang kündigt sich zwar laut dem Erzähler durch eine Vielzahl von Zeichen an, bleibt aber in seiner Kombination aus Naturkatastrophen und dem Einsatz von atomaren Waffen  vor allem im asiatischen Raum auch stellenweise frustrierend vage. Auf der einen Seite führt die Abschwächung und schließlich Umkehrung der Magnetfelder zum Zusammenbruch der europäischen Zivilisation inklusiv einer Reihe von starken Erdbeben. Wie angesprochen findet im asiatischen Raum ein begrenzter Krieg statt, dessen Strahlen auch den genetischen Pool der Europäer empfindlich mutieren lassen.  

Der ganze Plot teilt sich auf zwei Ebenen auf. Einmal das klassische Postdoomsday Szenario bestehend aus einer Abfolge von kleinen Triumphen und Tragödien. Die Burg wird durch einen unterirdischen Tunnel von einem Bauern auf der anderen Bergseite versorgt. Bei den Expeditionen finden sie nicht nur weitere Menschen, sondern unter anderem drei Allwetterpanzer oder später zwei  Raddampfer. In Wien stossen sie auf eine Gruppe Zigeuner, an einer anderen Stelle werden sie von marodierenden Kannibalen bedroht. Am Ende erreicht die kleine Siedlung zusammen mit einer „Zweigniederlassung“ wieder ein frühtechnisches Niveau mit einem regulären Austausch zwischen Sibirien, Frankreich und eben Österreich. Dabei sind einige Transportmaschinen umgebaut worden, einer der Raddampfer steht zur Verfügung und die Kettenfahrzeuge. In friedlicher Kooperation versucht man weiterzuleben und der immer noch herausfordernden Atmosphäre Paroli zu bieten.

Die Episoden sind von unterschiedlicher Qualität. Insbesondere die Expedition nach Wien mit den beiden Raddampfern und den herausfordernden klimatischen Umständen ist einer der Höhepunkte des Romans. Die Begegnung mit den überlebenden Soldaten in einem speziellen Bunker nahe der ehemaligen Grenze zur CSSR endet mit einem verrückt werdenden Computer, der die Anlage zerstört. Vielleicht wäre der umfangreiche Fundus an Material und Waffen auch für Steinhäusers Vorstellung zu viel gewesen. Die Rückkehr mit den Kamelen gehört auch zu den bizarren Geschichten dieser Tagebuchaufzeichnungen. Dabei ist keine der Reisen ungefährlich und der Autor scheut sich auch nicht, relevante Nebenfiguren aus dem Nichts heraus zu töten. Auch hier deckt der Autor mit den roten riesigen Ameisen oder den angesprochenen Kannibalen allerdings mit einem ordentlichen Waffenvorrat eine relevante Gefahr darstellen. Dazu kommt die aus den Fugen geratene Natur. 

Technisch gesehen nutzen die Überlebenden alles, was zur Verfügung steht. Selbst die Atomreaktoren in den Panzerfahrzeugen, auch wenn der Schwerpunkt auf Solarenergie und Wasserkraft liegt, die leichter zu erbauen oder zu erhalten sind.

Auch wenn dieser Steinhäuser die führende Figur der Bewegung ist, dominiert er als Anführer nicht die Handlung. Viele Entscheidungen werden weiterhin im Kollektiv getroffen, Individualisten bereichern eher die Meinungsfindung und Gewalt innerhalb der Gruppe findet nicht statt. Sie wird von außen herangetragen.  

Aus heutiger Sicht ist der Roman aber vor allem auch aus einem anderen Grund interessant. Gerhard Steinhäuser gehört politisch gesprochen nicht nur zu den Anhängern des „Club of Rome“, sondern der – damals noch als zartes Pflänzchen – grünen Bewegung, die vor allem die grenzenlose Verschwendungssucht der Menschheit anprangert. Immer wieder zieht Steinhäuser über die aus seiner Sicht sinnfreie Autoindustrie mit ihren Halden; der Wegwerfgesellschaft im Allgemeinen und den schwinden Ölvorräten im Besonderen her. Auch wenn er einige Finger in heute noch offene oder noch mehr blutende Wunden legt, zeigt er aus der Distanz von fast fünfzig Jahren auch auf, dass viele der Prognosen des „Club of Rome“ vom technischen Fortschritt in vielen Bereichen überholt worden sind. Aber Steinhäuser zeigt an Hand einer Reihe von fiktiven, aber vor allem auch echten Zeitungsartikeln, die der Erzähler aus seiner persönlichen Bundesladenkiste holt, auf, auf welch schmalen Grat der Weltfrieden und damit auch die Existenz der Menschheit gestanden hat. Der Roman entstand zur Zeit der Ölkrise, der Nahostkrise und dem kalten Krieg zwischen der USA und der Sowjetunion.  

Hinzu kommen eine Reihe von auf den ersten Blick absonderlichen Thesen. Neben dem begrenzten nuklearen Krieg, der seinen Höhepunkt in dem indisch- pakistanischen Grenzkonflikt findet, ist es die Verschiebung des magnetischen Pols, welche die abschließende Katastrophe auslöst. Das Wetter schlägt um, es kommt zu Sauerstofflöchern, welche Menschen auf der Erde in Sekunden ersticken lassen und Flüsse schwellen an oder verlieren innerhalb von Sekunden ihr Wasser. Erdbeben erschüttern auch Europa. Neben den Mutationen bei Mensch und Tier stellt Steinhäuser erstaunlich fest, dass aber generell die Natur widerstandsfähiger ist als er es erwartete. Die „Heilung“ folgt schneller als es die pessimistischen Prognosen der Presse vorhergesagt haben. Diese alternativen Fakten werden aber eher zwischen den Zeilen präsentiert.

 Hinzu kommen ausführliche Zitate und sogar Zeichnungen zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Phänomenen und Thesen, mit denen Steinhäuser seine Söhne indirekt unterrichtet und direkt die Leser aufklärt und belehrt. Sogar von Dänikens Ideen lassen sich zwischen den Zeilen erkennen. Dieser Handlungsarm gipfelt sehr kurz in der Idee, dass aus einem Paralleluniversum ein anderer Steinhäuser dem Chronisten in einem Traum/ Wachtraum erscheint und sie sich kurz miteinander unterhalten. Steinhäuser verweist immer auf deine Quellen. Es sind vor allem obskure Außenseitertheorien, die aber in ihrer konsequenten Umsetzung nur eines bedeuten: die kläglichen Reste der Menschheit sind an ihren Standorten auch gefährdet. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und vor allem der Kontakt nach Sibirien ist hilfreich.

 Mit der Katastrophe endet auch Rassismus. In der Gruppe gibt es neben den Österreichern auch Russen, welche auf dem NATO  Stützpunkt an einem .Austauschprogramm teilgenommen haben. Sie fügen sich als gebildete Akademiker ohne Probleme ein. Auch die Zigeuner werden respektiert. Mit ihnen zieht ein wenig Aberglaube in die Handlung ein. Das Festmahl wird von ihren Frauen für die Gastgeber gekocht; die alte Mutter verfügt über vage seherische Fähigkeiten und die Katastrophe haben sie an einem ihrer heiligen Orte in einem Höhlenlabyrinth überlebt. Die erste Begegnung ist noch von Misstrauen geprägt und der König der Zigeuner verstärkt selbstironisch sogar den Eindruck der Steinhäuser Familie, um sie dann in einem Gespräch auf Augenhöhe zu negieren.

 Dem Titel des Buches „Unternehmen Stunde Null“ hat der Autor das Jahr 1986 als Ende der bekannten Zivilisation in einer Abfolge von Katastrophen. Aus den Trümmern ersteht im kleinsten gemeinsamen Rahmen keine neue Menschheit, sondern ein Familienverbund mit angegliederten Freunden, der aber nicht ohne die Hinterlassenschaften  der teilweise von ihm verteufelten Zivilisation nicht überleben kann.

 Einige Teile des Buches wirken heute noch aktuell, auch wenn die grundlegenden Prognosen sich als zu düster bzw. die zu fatalistisch auf der einen Seite, aber auch zu konservativ was die Wirkung, aber nicht die Überlebensfähigkeit der Natur/ der Menschen betrifft. Auch der Ablauf des Untergangs hebt sich von der Masse der in erster Linie atomare Auseinandersetzungen beschreibenden Science Fiction Literatur ab, wobei der Eindruck bleibt, dass Gerhard Steinhäuser in einzelnen Abschnitten ohne tiefergehende Kenntnisse des Genres zusätzliche Aspekte einbauen wollte. Unbewusst hat er vor allem während des letzten Abschnitts die Effizienz seines Szenarios auch ein wenig unterminiert.

 Eine Wiederauflage dieses so für die siebziger Jahre provozierenden Romans ist neben der Erstpublikation als E- Book überfällig und richtet wieder das Augenmerk auf einen der eher exzentrischen Autoren Österreichs.       

 

1986 - UNTERNEHMEN STUNDE NULL: Ein dystopischer Science-Fiction-Roman

  • Herausgeber : Apex Verlag (2. August 2020)
  • Sprache : Deutsch
  • Gebundene Ausgabe : 372 Seiten
  • ISBN-10 : 3752981865
  • ISBN-13 : 978-3752981865