Andromeda

Michael Crichton

Michael Crichtons schon 1969 veröffentlichter Roman „The Andromeda Strain“ ist heute aktueller denn je. Kein Wunder, dass eine Fortsetzung basierend auf Fragmenten des vor einigen Jahren verstorbenen Michael Crichton parallel mit der entsprechenden Neuauflage des zweimal im Droemer Knaur publizierten Romans publiziert worden ist.

Zu dieser Zeit schrieb Crichton unter zwei Pseudonymen Jeffrey Hudson und John Lange eine Reihe von Thrillern.  Schon in seinem Vorwort impliziert der Autor mit einem Augenzwinkern, dass es sich im Grunde um keinen Roman, sondern eine Art fiktiven Bericht aus den geheimen Regierungsarchiven handeln könnte. Dazu unterbricht Michael Crichton manchmal auch ein wenig vorlaut in seiner Position als übergeordneter Erzähler die klassische Erzählstruktur und greift vorweg. Ein typisches Element, um grundsätzlich die Spannung zu erhöhen. Aber der Autor erreicht hier das Gegenteil. Er weist seine Leser auf Fehler bei den Analysen hin, welche die erfahrenen Forscher unter normalen Umständen niemals gemacht hätten. Immer wieder kommen seine fünf Spezialisten auch direkt zu Wort und kommentieren die noch vor dem Auge der Leser ablaufenden Ereignisse rückblickend. Bedenkt man, dass die rasante Schlusssequenz aus dem Kampf gegen die automatisch ausgelöste Atombombenzündung unterhalb der Anlage besteht, steht diese Vorgehensweise in einem Widerspruch zur Anlage des Buches als Thriller. Der Leser weiß, dass mindestens zwei der Forscher überleben werden. Angesichts der bevorstehenden Explosion kann im Umkehrschluss gefolgert werden, das alle WILDFIRE Mitglieder überleben müssen.  

Der „Roman“ entstand zwar quasi während des Studiums, zeigt aber alle Bestandteile seiner späteren Thriller. Die Mondlandung war in aller Munde. Ganz bewusst sieht der Amerikaner in der Landung von Menschen auf einem fremden Himmelskörper trotz aller Versuche, eine sterile Atmosphäre innerhalb des Raumschiffes zu erschaffen, ein Risiko. Zwar wird diese These nur gestreift und das Andromeda Virus stammt aus den oberen Schichten der Atmosphäre, aber Crichton macht deutlich, dass Viren und Bakterien verführerisch und gefährlich zugleich sind. Robert Wise hat sich in seiner Kinoadaption wenige Jahre später mehr auf die Idee eines Unfalls konzentriert und die chemisch- bakteriologische Kriegsführung in den Hintergrund geschoben, die in Michael Crichtons Roman allerdings der Auslöser der Katastrophe ist und vom Autor auch deutlich benannt wird.   

Der Plot ist grundsätzlich relativ simpel gestrickt. Eine Sonde landet in der amerikanischen Wüste. Alle Einwohner des kleinen Dorfes wie auch die beiden Mitglieder des Bergesteams sterben. Die amerikanische Regierung setzt das Projekt Wildfire in Kraft, das mit einem gigantischen modernen unterirdischen Laboratorium für diesen Fall eingerichtet worden ist. Die fünf Wissenschaftler ahnen nicht, dass das an Bord der Sonde befindliche Virus einen Wettlauf gegen die Zeit darstellt und die Bedrohung unabhängig von der Windrichtung sich viel schneller ausbreiten könnte als sie es erforschen können.

Die erste Hälfte des Buches ist vor allem technisch aufgebaut. Unabhängig von der Bergung der Sonde nach der Rekrutierung des vorgesehenen Teams und den erschreckenden Erkenntnissen - einige Menschen sind innerhalb von Sekunden gestorbene, andere sind anscheinend wahnsinnig geworden und haben Selbstmord begangen -    passiert erst mal nicht viel.

Mittels Aktennotizen, Fernschreiben, Telefonprotokollen und einzelnen aus der Perspektive der handelnden Protagonisten erzählt entwickelt Michael Crichton sowohl den technischen Hintergrund wie auch das Ausgangsszenario mit der Forschung nach neuen biologischen Waffen möglicherweise auch außerirdische Herkunft. Dabei untersteht das Wildfire Laboratorium als quasi letzte mögliche Rettung der Menschen nicht unmittelbar dem Militär. Michael Crichton scheint technisch verspielt den Bogen fast zu überspannen. Da wird dezidiert die Ermittlung des Telefoncodes erläutert oder das Wildfire Laboratorium mit allen Etagen ausführlich beschrieben. Briefe, die zur Bildung des Einsatzteams führen, werden in voller fiktiver länge abgedruckt. Wie später Rainer Erler mit "Die Delegation" entsteht so vor den Augen der Leser der Eindruck, als wenn er einem tatsächlichen Szenario folgt, das in einem Komplott von den Militärs und der amerikanischen Regierung geheim gehalten wird.

In diesem frühen Roman hat Michael Crichton sich noch die Fähigkeit bewahrt, wissenschaftliche Thesen plausibel und möglichst für ein breites Publikum ohne den Hang der Belehrung zu präsentieren. Das wird sich in seinen in den neunziger Jahre und ersten Arbeiten des 21. Jahrhunderts ändern, in denen der Amerikaner nicht selten den Plot zum Stillstand bringt, um wissenschaftliche Fakten vordergründig wie ausführlich zu erläutern. Erst mit seinen teilweise posthum veröffentlichten Abenteuergeschichten ist Michael Crichton wieder zu dem Erzähler moderner Thriller teilweise im historischen Gewand geworden.

Erst in der zweiten Hälfte des Buches verschiebt sich die Balance hin zu den weiterführenden Erklärungen. Seitenweise werden Computerausdrucke rezitiert, Graphiken angeblich aus den ursprünglichen Berichten zur Verfügung gestellt abgedruckt. Auch die Tierversuche könnten manche Menschen auf die Palme bringen. Auch wenn der Schutz der Menschheit wichtig ist und möglichst nahe organisch am Menschen geforscht werden muss, ist das Töten von Rhesusaffen auch in dieser vorliegenden sachlichen Beschreibung schwer zu ertragen. Positiv dagegen ist, das der Autor Forschung greifbar macht. Der Leser folgt in diesem Thriller den Gedanken der Forscher. Alles wird quasi auf Augenhöhe erläutert und vor allem der anfängliche Ausschluss von ANDROMEDA – kein Bakterium; durch Luft übertragen – Kriterien liest sich auch heute noch faszinierend. Wahrscheinlich übernehmen im 21. Jahrhundert Computer diese Aufgabe, aber die grundlegenden Ansätze sind immer noch die gleichen.

Hintergrundtechnisch schenkt Michael Crichton der Menschheit ein zweites Leben. Die finale Veränderung von ANDROMEDA wirkt fast unglaubwürdig. Angesichts der anfänglichen Bedrohung – Menschen sterben innerhalb von Sekunden oder werden anfänglich wahnsinnig,  bevor sie sich töten – wandelt sich die Gefahr. Wahrscheinlich war Michael Crichton noch nicht bereit, einen kontinuierlich klaustrophobischen und nihilistischen Thriller zu verfassen. Auch wenn er die Russen ausspart, ist Crichtons amerikanischer Militär neutral gesprochen auf der Suche nach neuen perfiden Waffen und schaut in die Büchse der Pandora, um dann von der außerirdischen „Natur“ aus dem Nichts heraus gerettet zu werden. Viele Fragen bleiben in dieser Hinsicht offen. Im Angesicht der CORONA Mutationen wirkt diese Auflösung des Plots eher bemüht und entspräche den hoffnungsvollen Wünschen vieler Verantwortungsträger der Gegenwart.   

Im Gegensatz zu vielen anderen First Contact und Invasionsgeschichten ist „Andromeda“ vor allem für einen Ende der sechziger Jahre publizierten Science Fact Thriller nicht nur auf der Höhe der wissenschaftlichen Zeit gewesen, sondern Michael Crichton zeigt eindringlich auf, dass es tatsächlich nicht auf die Größe ankommt und unsichtbare Killer gefährlicher sind als die klassischen Monstren. Dabei spielt wes keine Rolle, ob sie von der Erde kommen oder aus der erdnahen Atmosphäre gefischt worden sind. Das interessiert Michael Crichton im Grunde gar nicht. Er entwickelt auf wissenschaftlicher Basis eine fremde Lebensform, die ohne Proteine auskommt. Die sich durch Zellteilung vermehrt und sich in einem engen Spektrum anpassen kann. Viele weiterführende Thesen fließen in diesen Roman ein. Dabei bemüht sich den Quellenangaben zu Folge Michael Crichton, den Roman so authentisch wie möglich und doch so fiktiv wie Unterhaltungsliteratur es verlangt zu schreiben.

Auch wenn alle seine Forscher wie der eine Überlebende menschliche Schwächen zeigen, ist der Roman fast absichtlich auf der emotionalen Ebene unterwickelt. Der Humor ist mit einer Hand greifbar. Wie einige Politthriller zeigt „Andromeda“ sachlich, distanziert, fundiert und doch spannend den möglichen Ablauf einer Katastrophe, auf welche sich die Amerikaner im Grunde wider besseren Wissen vorbereitet haben.  Eine weitere Ironie ist, dass es im Grunde nicht die Wissenschaftler sind, welche die Welt retten, sondern die in relevanten Momenten zögerlichen Politiker. Die Wissenschaftler liefern abschließend die Erklärungen, aber im Grunde reagieren sie ausschließlich. In keinem Moment sind sie dem Virus wirklich einen Schritt voraus.  Und das macht diesen Technothriller auch mehr als vierzig Jahre nach seiner Entstehung irgendwie auch sympathisch.

 

Andromeda: Roman

  • Herausgeber : Heyne Verlag (13. April 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 400 Seiten
  • ISBN-10 : 345342476X
  • ISBN-13 : 978-3453424760
  • Originaltitel : The Andromeda Strain