Andromeda- Die Evolution

Michael Crichton & Daniel H. Wilson

Fast fünfzig Jahre nach „Andromeda“ hat Michael Crichtons Witwe den Science Fiction Autor Daniel H. Wilson beauftragt, eine Fortsetzung zu dem bahnbrechenden Science Fact Thriller zu verfassen. Es ist nicht unbedingt notwendig, das Original zu kennen.  Daniel H. Wilson hat sich an Michael Crichton pseudosachlichen Stil orientiert und versucht, die Idee eines aus Geheimdienstunterlagen, Aufzeichnungen und schließlich Interviews der überlebenden zusammengestellten „Sachberichts“ dieser zweiten Andromeda Krise zu verfassen. Was zu Beginn noch gut funktioniert, wird wie bei Michael Crichtons Original im mittleren Abschnitt inhaltlich zu Gunsten eines klassischen Thrillers fallengelassen, bevor auf den letzten Seiten der übergeordnete Koordinator, aber nicht Erzähler mittels Rück- und Vorgriffen den Plot wieder zu ordnen beginnt.

Michael Crichtons Roman spielte zu Beginn in einer kleinen amerikanischen Gemeinde im Hinterland, später ausschließlich in dem isolierten hochmodernen Wildfire Labor unter der Erde. „Die Andromeda Evolution“ spielt fast ausschließlich im, später unter dem brasilianischen Dschungel. Exkurse zu den im Grunde hilflos dem Geschehen hinterherlaufenden Militärs und in der Fortsetzung auch zu einer Wissenschaftlerin im Orbit durchbrechen die jeweils klaustrophobische Atmosphäre im direkten Umfeld der Forscherteams.

Daniel H. Wilson hat keine Charaktere aus dem ersten Buch übernommen. Alleine der Sohn des im ersten Buch dominanten Doktor Stone spielt als eine Art radikales freies Element innerhalb der Forschergruppe eine wichtige Rolle und stellt mittelbar einen Bezug zur ersten Geschichte dar.

Zwischen den beiden Geschichten sind 50 Jahre vergangen. Die Wächtergruppe Eternal Vigilance wird von einem der Beobachter im Randbereich des brasilianischen Dschungels informiert, dass er eine seltsame Formation erkannt hat. Eternal Vigilance schickt einen Satelliten auf den Weg, der die typische Andromeda Signatur in den Bestandteilen des seltsamen Gebildes gefunden hat. Möglicherweise stammen die Spuren des Andromeda Virus vom Absturz eines chinesischen Himmelslabors, das heimlich die Originalviren untersucht hat.

Daniel H. Wilson impliziert, das das Andromeda Virus sich von der tödlichen Variante über die Plastik fressende Mutation zu einer Gefahr für die Raumfahrt entwickelt. Kaum erreichen die Raumschiffe die von Andromeda verseuchte Atmosphärenschicht, beginnen sich die Kunststoffe zu zersetzen. Aber anscheinend momentan nur in dieser Schicht. Daniel H. Wilson impliziert, dass es sich um eine außerirdische Angriffswaffe handelt, die auf intelligentes Leben treffend dieses auf die Oberfläche des Planeten binden. Auf allen besuchten Planeten oder Planetoiden im Sonnensystem finden sich Spuren der ursprünglichen Andromeda Variante. Diese Science Fiction Idee wird der Autor vor allem gegen Ende des Buches mit einer überraschenden Wendung wieder aufgreifen.  Michael Crichton blieb hinsichtlich der abschließenden Herkunft der Viren genauso vage wie er auch ihre Funktionalität eher reaktiv beschrieben hat.

Michael Crichton baute die Spannungskurve bis zur für die Menschheit verheerenden und nicht die Welt vom Virus reinigenden atomaren Selbstzerstörung der Forschungsstation im Falle eines Lecks konsequent aus.   Zwar relativierte  der Autor durch die gewählte distanzierte Berichtsform auch einige Spannungselemente -  überlebende Teammitglieder gaben zur Vervollständigung der Unterlagen Interviews -, aber grundsätzlich konzentrierte er sich auf eine isolierte Gruppe von Forschern, die mit etwas gänzlich Neuem konfrontiert worden sind.

Daniel H. Wilson kann im ersten Drittel des Buches auf Michael Crichtons „Andromeda“ aufbauen. Die meisten Fakten sind bekannt, sie werden nur ergänzt. Erst später taucht tief im brasilianischen Dschungel eine dritte Variante auf.  

Dreh- und Angelpunkt ist das seltsame Gebilde im Dschungel, bestehend aus Andromeda Bestandteilen in der signifikanten Sechseckform. Wie in Crichtons Vorlage lebt das Virus von Energie, tötet Menschen/ Affen oder treibt sie in den Wahnsinn sowie wächst exponentiell mit einer Veränderung im Lichtspektrum. Der Leser muss sich fragen, ob die unsichtbare, nur unter dem Mikroskop der Forscher zu erahnende Gefahr durch das Virus im ersten Buch unheimlicher und auch im 21. Jahrhundert verstörender  ist oder eine Art gigantisches lebendiges, grauen Staub ausstoßendes Wabengebäude mitten im Dschungel ?

Mit dem Betreten des Gebäudes nach allerlei Gefahren erweitert Wilson zwar den Plot und damit die mögliche Gefahrenlage, er verlässt aber auch das fast intime Szenario, das Crichton in seinem ersten Buch detailliert, minutiös und informierend, aber nicht belehrend aufgebaut hat.     

Ab diesem Moment beginnt Daniel H. Wilson auch den Bogen zu überdrehen. Das Unbekannte, das Unvertraute und das Gefährliche bildeten das Herz von Crichtons „Andromeda“. Alleine die Aktionen und Reaktionen der Menschen haben aus einem gefährlichen Erreger schließlich eine globale Bedrohung gemacht. Es beginnt mit dem Öffnen des Raumkapsel und endet mit der Sequenz zur atomaren Selbstvernichtung. Daniel H. Wilson impliziert, dass Andromeda viel mehr ist. Wahrscheinlich künstlichen Ursprungs und sogar selbstlernend intelligent, wie das offene Ende mit einem sehr starken Blick auf eine Fortsetzung andeutet. Damit nähert sich der Autor wie der klassischen Science Fiction, die Crichton mit seinem sehr sachlichen, nur bedingt über das wissenschaftlich Mögliche hinaus extrapolierten Thriller fast gänzlich ignorierte.

Zu viele Ideen werden zu wenig nachhaltig entwickelt aufeinander gestapelt. Hinzu kommt, dass die Katastrophe im brasilianischen Dschungel sich in die geplante Richtung entwickelt, obwohl der Autor an keiner Stelle beweist, dass die unter einem normalen Ablauf zur verfügten gestellten Möglichkeiten ausgereicht hätten. Wie bei amerikanischen Blockbusterfilmen erhofft sich der Autor, das die rasante Abfolge inklusive zweier sehr waghalsiger Rettungsaktionen basierend auf dem brauchbar verfügbaren „Rettungsgeräten“ die sich entwickelnden logischen Plotlöcher und kontinuierlich stärker werdenden Übertreibungen überdeckt.

Michael Crichton ist niemals ein Autor gewesen, der dreidimensionale und überzeugende Charaktere entwickeln konnte. Das Entwickeln von interessanten Handlungsbögen gehörte zu seinen eigentlichen Stärken. Daniel H. Wilson schließt sich dieser Schwäche nahtlos an. Eine Handvoll Forscher, die lange Zeit nur pragmatisch beschrieben werden. Auch eine chinesische Spezialistin mit der Ausbildung durch die Volksarmee, sehr viel mehr Hintergrundwissen als die Amerikaner, aber auch dem Hang, das Interesse der Menschheit über die politischen Weisungen der kommunistischen Partei stellt. Aber eine echte Gemeinschaft kommt nicht auf. Vieles wirkt opportunistisch beschrieben. Im Dschungel finden sie schließlich als einzigen Überlebenden ihres Stammes einen zehnjährigen Jungen, wobei Daniel H. Wilson im direkten Vergleich zu Michael Crichton dessen „Überleben“ nicht weiter analysiert.

Mit dem radikalen Element Stone ein Instinktforscher, der nicht nur am Ende zu sehr in den Mittelpunkt der Handlung gestellt wird, sondern auch eine persönliche,  inhaltlich notwendige, vielleicht konsequente Verbindung zum Erstausbruch  sein Eigen nennen kann. Aber Daniel H. Wilson präsentiert diese dem Leser erst spät im Handlungsverlauf. Bis dahin fragt dieser sich, warum der junge Stone ein derartiges Interesse an den verschlossenen Wildfire Akten hatte und seinen Vater niemals nach dessen eigenen Erfahrungen fragte. Stone äußert sich hinsichtlich seiner Vergangenheit in einer extremen Situation gegenüber dem letzten verbliebenen weiblichen Mitglied seines Teams. Da Stone aber immer wieder über den übergeordneten Erzähler dem Leser Einblicke in seine Vergangenheit präsentiert hat, wirkt diese letzte abschließende Wendung aufgesetzt und die dramaturgische Schraube inklusiv des feurigen „Mission Impossible“ Stil Finales überdreht.

„Andromeda- Evolution“ ist ein Buch, das auf den ersten ersten einhundert bis einhundertfünfzig Seiten nicht nur den Geist Michael Crichtons atmet, sondern eine interessante Extrapolation darstellt. Irgendwann möchte Daniel H. Wilson aber zu viel und versucht die ernste Thematik in einer Art modernen Paranoiathriller mit Science Fiction Elementen und cineastischen Actionszenen zu drehen. Das funktioniert nicht sonderlich gut, da der Bogen überdreht wird. Gerade die Konsequenz, mit welcher Michael Crichton eine im 21. Jahrhundert wieder allen Menschen vor Augen geführte Gefahr extrapoliert hat, zeichnete „Andromeda“ aus. „Andromeda Evolution“ ist eher ein Beweis dafür, dass menschlicher Größenwahn und Geltungssucht weiterhin dominant sind und die Schöpfer des „Andromeda“ Virus hinsichtlich dessen Mission gar nicht so falsch liegen.     

 

Andromeda - Die Evolution: Roman

  • Herausgeber : Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (13. April 2021)
  • Sprache : Deutsch
  • Taschenbuch : 384 Seiten
  • ISBN-10 : 3453424778
  • ISBN-13 : 978-3453424777
  • Originaltitel : The Andromeda Evolution