„Der Netzwerk Effekt“ ist der erste in sich abgeschlossene Roman um die „Killerbot“ Serie. Numerisch wird das Buch nicht selten als die Nummer fünf geführt. Die ersten vier Arbeiten waren Novellen, die zwischen 2017 und 2018 auf der Internetseite des Tor- Verlages publiziert worden sind. Für zwei der vier Novellen hat Martha Wells sowohl der HUGO als auch den Nebula Award erhalten, dazu kamen Nominierungen für einige wichtige Preis wie dem Philip K. Dick Award. Die Novellen sind gesammelt als „Tagebuch eines Killerbots“ im Heyne Verlag erschienen.
Der vorliegende Roman ist ebenfalls für alle wichtigen Preise nominiert und mit dem Nebula Award ausgezeichnet worden. In den USA ist inzwischen ein weiterer Roman um den Soap liebenden Killerbot mit einer sehr ironischen Lebenseinstellung erschienen. Das Ende von „Der Netzwerk- Effekt“ erzwingt förmlich eine Fortsetzung. Auch wenn der Plot in sich abgeschlossen ist und relativ schnell an die vierte Novelle „Exit Strategie“ anschließt, empfiehlt es sich, die vier Novellen zu erst zu lesen, um nicht nur den futuristischen Hintergrund kennenzulernen, sondern vor allem auch den allgegenwärtigen einzigartigen Protagonisten. In seinen Gesprächen mit den Lesern gibt er zwar einige wenige, pointiert kommentierte Hintergrundinformationen aus seiner bekannten subjektiven Perspektive frei, das ganze Spektrum entfaltet sich effektiver in den vier jeweils in sich abgeschlossenen, aber trotzdem einen größeren Handlungsbogen bildenden Novellen.
In diesen vier Geschichten emanzipiert sich die halbmenschliche Killermaschine von seinen bisherigen Auftraggebern und erfährt einiges über den Hintergrund nicht nur seiner „Entstehung“, sondern den Zielen der verschiedenen Konglomerate. Nebenbei konnte er eine Reihe von seinen Soaps schauen, die Martha Wells pointiert und genüsslich handlungstechnisch zusammenfasst. Auf den actionlastigen Missionen hat er eine Reihe von Menschen, vor allem Wissenschaftler gerettet.
Der Hintergrund wird im vorliegenden Buch erweitert. Auf den ersten Blick erinnert manches an James Camerons Fortsetzung „Aliens“, aber ohne das buchstäbliche Monster. Bei der Expansion ins All haben vor allem die Konzerne zwei Strategien gefahren. Dank der Wurmlöcher konnten sie „weit“ greifen und haben teilweise mit primitiver Terraformingtechnik Gruppen von Siedlern quasi ausgesetzt. Wenn die Mittel nicht mehr reichten oder die Konglomerate pleite gingen, wurden die Menschen einfach zurückgelassen und die Kolonien vergessen. Inzwischen gibt es mutige Explorer, welche diese vergessenen Planeten suchen und nach verwertbaren Resten, aber nicht unbedingt Menschen suchen. Einige der planetaren Beschreibungen erinnern an die unwirtlichen Planeten, auf dem Ripley in Camerons Fortsetzung die Siedler zu retten suchte.
Interessant ist, dass man kaum Spuren von Außerirdischen gefunden hat. Diese Idee greift Martha Wells gegen Ende des Buches als eine weitere passive Bedrohung, aber nicht einen heiligen Gral der Schatzsucher wieder auf. Während des rasanten Höhepunkts wird diese Idee wieder fallen gelassen. Da der Killerbot sich wahrscheinlich im nächsten Buch weiter nach „draußen“, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Spuren von außerirdischem Leben weiter verfolgt werden.
Der Plot setzt aber nicht mit der Entdeckung von verschollenen Kolonien ein. Nach seinem offiziellen Ausstieg hat der Killerbot eine neue Mission übernommen. Er soll eine Gruppe von eher naiven, vor allem auch konträr denkenden und handelnden Wissenschaftlern an Bord eines Raumschiffs schützen. Diese sehen den Schutz nicht als notwendig an. Sie finden ein verlassen im All treibendes Raumschiff. An Bord werden sie quasi entführt, landen durch das Wurmloch auf der angesprochenen verlassenen Kolonie und müssen sich mit einem alten, aus den ersten Novellen bekannten Feind auseinandersetzen.
Die Spy oder Malware ist eine der überraschenden Entwicklungen des ganzen Buches. Martha Wells versucht diese Gefahr zu personifizieren, ohne das der Roman auf einen Konflikt zwischen vermenschlichten Maschinenintelligenzen reduziert werden kann.
Die zugrundeliegende Handlung ist eher simpel. Das ist nicht negativ gemeint, aber im Gegensatz zu den handlungstechnisch kompakten Novellen verzettelt sich Martha Wells bei ihrer ersten Killerbots Langform im mittleren Abschnitt ein wenig zu sehr. Der Roman verliert an Tempo und die Protagonisten diskutieren eher miteinander als das sie voranschreiten.
Diese Schwäche gleicht die Autorin natürlich durch die originären Stärken der ganzen Serie überzeugend aus. Das beginnt bei der „unmenschlichen“ Perspektive. Martha Wells schreibt ihre Geschichten ja alleine aus der Perspektive eines Killerbots, der grundsätzlich intelligenztechnisch allen Menschen und vielen künstlichen Intelligenzen überlegen ist. Auf der anderen Seite liebt er um die Langeweile zwischen den Mission zu überbrücken oder sich einfach nur abzulenken, Trash Fernsehen in Form von endlosen Soap Operas. Das ist keine neue Idee. In den siebziger Jahren scheiterte auch Remo an seinem asiatischen Lehrmeister, wenn er im Gegensatz zum Killerbot kitschige Herzromanzen sich angesehen hat. Im Gegensatz zu Chiun, der die Fernsehserien in der satirischen „The Destoyer“ Serie als ernsthafte Kunst empfunden hat, weiß der Killerbot, das es sich um einen süchtig machenden Trash handelt.
Neben dieser Affinität für Serien, die der Killerbot mit zahlreichen, die Raumschiffe durchs All steuernden künstlichen Intelligenzen teilt, ist es die Art und Weise, wie der Killerbot mit sich selbst umgeht. In den inneren Monologen feuert er sich an, wenn die Situation schwierig wird. Oder er kasteit sich selbst für Fehler, die er meistens nicht einmal selbst verantworten muss. Neben den inneren Monologen hat die Menschmaschine auch die Angewohnheit, nicht nur mit den Schutzbefohlenen zu reden, sondern vor allem auch die potentiellen Gegner ggfs. zu beschimpfen. Mit der Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit wirkt der Charakter auch tiefer. Im Grunde erinnert der Spannungsbogen an eine andere sehr populäre Kinofilm und Fernsehserie: Der Killerbot ist eine kybernetische teilweise menschliche Version des Terminators. Auch der Killerbot hat ursprünglich als geschlechtslose Killermaschine angefangen, bevor er sich in den weiteren Novellen mehr und mehr als Charakter, deswegen aber nicht als Mensch etabliert hat. Dazu kommt die ambivalente „Freundschaft“ mit der künstlichen Intelligenz an Bord des Raumschiffs. Im Original heißt diese profan ART, in der deutschen Fassung FIBO, was der Ironie in Martha Wells Nomenklatur ein wenig die doppeldeutige Schärfe nimmt.
Als Dreh- und Angelpunkt kann der Killerbot auch die Handlung kommentieren. Der Roman ist ausschließlich auf seiner Augenhöhe geschrieben worden. Dadurch wird der Leser gleichzeitig mit dem Protagonisten informiert, manchmal mit neuen Fakten konfrontiert. Der Unterschied zu vielen Ich- Perspektiven und auf den ersten Blick deren spannungstechnische Einschränkungen liegt aber in der Tatsache, dass der Killerbot „getötet“ oder abgeschaltet werden kann. Mit dem erneuten Erwachen kann seine Persönlichkeit genauso verändert worden sein wie das Erinnerungsvermögen. Aber eine Mission kann für ihn schlecht bis tödlich enden, ohne dass der Leser wie menschlichen Ich- Erzählern hinter ein konstruktives Licht geführt werden muss. Wenn der Killerbot „tot“ ist, wird er wieder zusammengebaut und der Handlungsbogen geht weiter. Aber faktisch ist er erst einmal ausgeschaltet. Das Erwachen geht einher mit einer Schimpfkanone und vor allem der angesprochenen Selbstkasteiung hinsichtlich der gemachten Fehler.
Auch wenn die grundlegende Handlung sich wie schon erwähnt in eher vertrauten, nicht wirklich originellen Bahnen bewegt, ist es die Subjektivität der Erzählstruktur, welche „Der Netzwerk Effekt“ aus der Masse vergleichbarer Geschichten heraushebt.
Der selbstironische Ton bei einer soliden Zeichnung der menschlichen Protagonisten und der überdurchschnittlichen Charakterisierung des Killerbots überdeckt die handlungstechnischen Längen und abschließend auch einige wenige konstruiert erscheinende Wendungen hinsichtlich des ein wenig zu hektisch konzipierten Endes. Ob der Roman die Auszeichnungen vor allem nach den ersten prämierten Novellen wirklich Wert ist oder die Jury nur etwas Vertrautes auszeichnete, sollte an anderer Stelle diskutiert werden. „Der Netzwerk Effekt“ ist humorvolle, aber auch von Action dominierte Unterhaltung mit einem sich stetig weiter entwickelnden Protagonisten und einem immer noch positiv gesprochen weiter ausbaufähigen Hintergrund.
- Herausgeber : Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (8. Februar 2021)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 480 Seiten
- ISBN-10 : 3453321235
- ISBN-13 : 978-3453321236
- Originaltitel : The Murderbot Diaries: Network Effect