Die Enkel der Raketenbauer

Georg Zauner

Der Apex Verlag legt unter anderem zum ersten Mal als E Book Georg Zauners 1980 entstandenen Roman „Die Enkel der Raketenbauer“ neu auf.  Georg Zauner war hauptsächlich Regisseur, Drehbuch- und Sachbuchautor. „Die Enkel der Raketenbauer“ war sein erster Ausflug in den Bereich der Science Fiction und wurde 1981 mit dem ersten verliehenen Kurd Laßwitz Literaturpreis in der Kategorie Roman ausgezeichnet. Zwei Jahre später folgte der ebenfalls neu aufgelegte „Der verbotene Kontinent“, bevor Georg Zauner in den Bereich der Fantasy wechselte und dort noch zwei Bücher veröffentlichte.

„Die Enkel der Raketenbauer“ ist kein klassischer Roman, sondern eine durch die Aufzeichnungen des Mönchs Friedel zusammengefasste Sammlung von Tagebucheinträgen, amtlichen Bekanntmachungen, Legenden und Sagen sowie den Erfahrungen des Mönchs Friedel in MUNIC.  „Die Enkel der Raketenbauer“ gehört in das kleine, aber in den achtziger Jahren noch aktive Subgenre der postapokalyptischen Heimat Science Fiction, die unter anderem Gerhard Steinhäuser mit „Unternehmen Stunde Null“ für Österreich, aber auch Carl Amery mit dem 1975 veröffentlichten Roman „Der Untergang der Stadt Passau“ einleiteten.  

Allen Texten ist gemeinsam, dass sie teilweise satirisch entweder aus der Gegenwart die brüchigen Fassaden der damaligen Zivilisation analysieren und genüsslich demontieren oder aus der ferneren Zukunft intellektuell überforderte Protagonisten auf die Reise schicken, aus den eine mehr oder minder globale Katastrophe überlebenden Hinterlassenschaften der Gegenwart ein Bild unserer Zeit zu zeichnen. Und damit vor allem aus Sicht des natürlich informierten Lesers für Belustigung zu sorgen.  Hinsichtlich des religiösen Hintergrunds orientiert sich Georg Zauner weniger an Carl Amery, aber sehr deutlich an Walter M. Millers „Lobgesang auf Leibowitz“.  Politisch erinnert manches an Richard Cowpers „Corley“ Sage, wobei Georg Zauner das Thema Religiosität in einem distanzierten Rahmen abhandelt und den Status Quo der Kirche als Hort der restlichen Zivilisation nicht grundlegend hinterfragt.

Georg Zauner lässt sich seine Geschichte im Grunde in zwei unterschiedlichen Zeiten spielen, die aus subjektiven Perspektiven auf die klar erkennbaren achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückschauen.  Historiker stellen im Jahre 3276 eine kommentierte Dokumentensammlung zusammen. Die Kommentare sind aber vernachlässigbar und wirken wie eine Art Rechtfertigung für die sachlich gesehen fast chaotische Zusammenstellung von Fakten, Dokumenten und Augenzeugenberichten. Mit dieser Vorgehensweise erhöht Georg Zauner natürlich den Wiedererkennungswert der Funde, erhöht die Lesbarkeit seines Textes und sorgt für einige Schadenfreude in seinen Lesern, wobei die drastischen Folgen für die betroffenen zukünftigen Protagonisten die Grenze in mehrfacher Hinsicht negativ überschritten haben und eher zu einem klassischen Post Doomsday Roman passen.   

Die wenig kommentierten Dokumente stammen aus dem 28. Jahrhundert, also vierhundert Jahre in der Vergangenheit. Auf der einen Ebene zeigt Georg Zauner, wie sich das Leben im 28. Jahrhunderts mit Einschränkungen stabilisiert. Es gibt Landwirtschaft, die ausreichend ist, die Bevölkerung zu ernähren. Harte Arbeit wird meistens per Hand erledigt. Erst am Ende des Buches schickt die Kirche Esel und Ochsen als Unterstützung für die Arbeit der Männer und Frauen, die Eisen aus den Überresten der Städte und signifikant inzwischen auch aus den teilweise wieder freigelegten U- Bahnschächten brechen.  

Der rote Faden durch das 28. Jahrhundert ist in erster Linie der Mönch Friedel. Dazu kommen die einseitigen Briefe seiner Schwester an ihn. Friedel wird nach MUNIC geschickt, eine der drei bajuvischen Stadtsiedlungen. Friedel ist an der Expedition in den Münchner Untergrund dabei. Wo sie neben dem Eisen der Schienenstrecken auch gut erhaltene Wagons, aber auch viele Skelette. Anscheinend sind die Menschen in den Untergrund geflohen. Friedel versucht Erklärungen für die verschiedenen Funde zu finden. Der Leser ist dabei nicht nur auf Augenhöhe, er kann sich ein komplettes Bild der rudimentären Beschreibungen machen.

Die Kirche hat mangels Staat die Macht ergriffen. Der Glaube ist allgegenwärtig, die Garde ist den Kreuzfahrern nachempfunden und wenn sie später mit Standarten (EDEKA oder McDonalds) durch die Straßen reiten,  erinnert das an eine fatalistische Version Don Quijotes.  Die Kirche ist Legislative und Executive zugleich, wobei die Strafen an den Islam erinnern. Sie sammelt oder besser hortet das Wissen. Es scheint im Hintergrund noch so etwas, wie eine Regierung zu geben, aber sie spielt in beiden Zeiten keine aktive Rolle.

Auch beim Rückblick aufs 20. Jahrhundert konzentriert sich Georg Zauner vor allem auf die Folgen für die Zivilbevölkerung. Die Mönche finden eine Reihe von Kritzeleien auf den U Bahnwänden;  an einer anderen Stelle berichtet ein letzter Überlebender von den letzten nur mit Drogen zu ertragenen Stunden im vom Vater errichteten Bunker. Der Text ist auf einer Schreibmaschine verfasst worden. Lustig wird es, wenn die Mönche anscheinend aus dem Lager eines Pornoverlages die Hefte wieder vorsichtig zusammensetzen. Enttäuscht stellen sie fest, dass es keine männliche Homosexualität in der Vergangenheit zu geben scheint. Aber Regierung oder geordnete Kontrolle über den Katastrophenschutz gibt es nicht. Oder der Zahn der Zeit hat die Anweisungen wie die Politiker dem Vergessen übergeben.

Rührend naiv erscheint es, wenn Gebete gegen brennendes Benzin helfen sollen oder das Kruzifix zur Dämonen abwehrenden Waffe wird. Krankheiten wie der kalte Tod- Strahlenvergiftungen – können nur mit Gottes Hilfe überwunden werden. Wenn die Erkrankten sterben, dann ist es Gottes Wille. Die Verkrüppelten oder Verstrahlten werden in Hütten eingesperrt und sich selbst überlassen. Friedel als kommentierendes wie unkritisches Gewissen dieser Zeit gibt einen guten Einblick in das raue Alltagsleben einer aus den Überresten mühsam entstandenen primitiven wie mittelalterlichen Gesellschaft mit einzelnen Exkursen wie hinsichtlich der Eisengewinnung in Richtung industrielle Vorrevolution.  

Einzelne Punkte wirken auch literarische konstruiert. Dass die Menschheit ALKOHOL in den Bereich der Legenden verbannt hat und Friedels Generation angesichts einzelner Funde von anscheinend hochprozentigem Stoff überrascht wird, wirkt konstruiert. Dann müsste auch viel landwirtschaftliches Allgemeinwissen verloren gegangen sein und das ist eben in diesem Buch nicht der Fall. Abseits der Städte haben die Menschen seit Jahrhunderten teilweise allerdings dank verborgener Felder und einfacher Konservierung der geernteten Lebensmittel überlebt. Und die kennen nicht das Geheimnis der Gärung?  

Aus den rudimentären Funden wie den Aufzeichnungen einer kleinen Gruppe Überlebender in einem privaten Bunker geht hervor, dass die Zivilisation des 20. Jahrhunderts nicht nur an dem implizierten Zeitalters des Überflusses gescheitert ist.  Angeblich soll die erste Zivilisation aufgrund dieses Raubbaus gescheitert sein, während man im Jahre 3276 im ökologischen Gleichgewicht mit der Umfeld sich befindet. Georg Zauner ignoriert damit die Möglichkeit, dass sich die Menschheit über mehr als eintausend Jahre wieder aufrappeln und neu anfangen kann. Aus den Rückblicken lässt sich erkennen, dass verschiedene Konflikte sowohl zwischen den Amerikanern und Russen, als auch den islamistischen Einwanderern und der „Urbevölkerung“ zumindest Ursache für einen mindestens begrenzten Atomkrieg gewesen ist, der einzelne Gebiete auch mehr als tausend Jahre nach der Auseinandersetzung unbewohnbar gemacht hat.

Daher ist kein Wachsen der religiösen Vernunft, das die Menschheit in Georg Zauners Zukunft allerdings auf ein agrarwirtschaftliches Selbstversorgerniveau zurückgeführt hat, sondern reine Pragmatismus.   

Die Satire auf die Exzesse der damaligen Gegenwart mit dem bedingungslosen Fortschrittsglauben und die milde Kritik an der Dominanz der dogmatischen Kirche liest sich auch vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung dank Friedels naiv belustigenden, manchmal melancholischen und in seltenen Fällen auch bestürzenden Beschreibungen immer noch kurzweilig und manchmal auch nachdenklich stimmend, auch wenn der mahnende Finger der deutschen Science Fiction der siebziger und frühen achtziger Jahre mit seinem grundlegend belehrenden Tonfall auch heute noch klar zu erkennen ist.

DIE ENKEL DER RAKETENBAUER: Ein dystopischer Science-Fiction-Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Apex Verlag (18. Juni 2020)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 216 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 375296524X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3752965247