Der Heyne Verlag legt mit „Der Astronaut“ den dritten Roman Andy Weirs auf deutsch vor. Im Original heißt das Werk „The Project Hail Mary“ und bezieht sich auf die wichtige Mission zur Rettung der Menschheit. Der neue deutsche Titel „Der Astronaut“ ist eher an Andy Weirs Erstling „Der Marsianer“ angelehnt und die Eröffnung des auf zwei Handlungsebenen erzählten Buches erinnert absichtlich an das inzwischen auch erfolgreiche Debüt. Ein Mann weicht ohne Gedächtnis auf. Der Klappentext deutet wie der Titel darauf hin, dass er sich nicht mehr auf der Erde befindet. Neben ihm liegen zwei Leichen, anscheinend haben sie das Einfrieren nicht überlebt. Nach und nach erkundet der Astronaut – in Wirklichkeit ist er vor allem Wissenschaftler und Lehrer und kein ausgebildeter Astronaut – seine Umgebung. Sein Gedächtnis kommt nur spärlich zurück.
Auf der zweiten Handlungsebene wird beginnend mit einer Entdeckung in Sonnennähe der Weg des Mannes ohne Gedächtnis nicht nur in dieses Raumschiff – die Hail Mary – nachgezeichnet, sondern vor allem dessen im Kern aussichtslose Mission, die Menschheit vor dem Tod durch Erfrieren – die Sonne verliert Energie durch Astrophagen, außerirdische mikroskopische kleine im Grunde Energieabsorber. Auch wenn sich dieser Energieverlust im einstelligen Prozentbereich befindet, droht dieser Vorgang katastrophale Folgen für die Menschheit zu haben.
Die Rettung besteht vielleicht in einer Selbstmordmission dreier Astronauten in die Tiefen des Alls und ironischerweise einer Verstärkung der Treibhauseffekte durch das Zünden von Atombomben in der Antarktis, um den Wärmeverlust auf dem Boden auszugleichen.
Spätestens mit seinem dritten Buch hat Andy Weir ein als Autor schwer verwechselbares Profil erstellt. Die Geschichten wurden bislang immer aus der Ich- Perspektive erzählt. Spannungstechnisch ist diese intime Perspektive vor allem schwierig, wenn Lebensgefahr für die Protagonisten besteht. Das gilt für alle drei Ich- Erzähler. Zweimal handelt es sich um Wissenschaftler, einmal ein in einer Kolonie auf dem Mond aufwachsendes junges Mädchen mit Bauernschläue. Auch wenn die Situationen im Grunde aussichtslos erscheinen, ist die Wissenschaftler immer ein verlässlicher Ratgeber.
Wie Robert A. Heinlein und vor allem Lester Del Rey ist Andy Weir jetzt einer der Autoren, der spannende Abenteuer mit einem gesunden Maß an wissenschaftlich korrekt recherchierten Informationen verbindet. Auch wenn der Autor immer wieder Exkurse präsentieren muss, um den Leser auf den Stand der gegenwärtigen Forschung zu bringen, erfolgt es erstens niemals in einem belehrenden, sondern ausschließlich erklärenden Ton und zweitens hat Andy Weir mit seinem Astronauten, also Ryland Grace sogar einen Forscher und Lehrer, der genau den richtigen Tonfall trifft. Ryland Grace macht Fehler. Ryland Grace erhält auch ab der Mitte des Buches ungewöhnliche Hilfe. Dieses Mal hat seine Robinson Crusoe im All einen echten Freitag. Aber Ryland Grace zieht sich nicht selten mit einer neuen Perspektive, einem anderen Blickwinkel und einer erneuten Betrachtung der vorliegenden Erkenntnisse für einen kurzen Moment aus dem Schlamassel, in das er zur Rettung der Menschheit gestürzt worden ist.
Ryland Grace ist in seinem tiefsten Inneren ein Feigling. Wie der Marsianer und weniger seine Protagonisten in „Artemis“ muss Ryland Grace über sich hinaus wachsen, das im übertragenen Sinne schützende Heim verlassen und nicht auf dem Meer, aber im All ein Mann werden. Diesen Reifeprozess beschreibt Andy Weir unauffällig, aber bestimmt in jedem seiner bisherigen drei Romane.
Den Roman kann man im Grunde in drei Teile aufteilen. Vorgeschichte, Mission und schließlich den Epilog, in welchem der Protagonist zu seiner eigenen Bestimmung zurückkehrt.
Die Wissenschaftler finden durch einen Zufall heraus, das die Leuchtkraft der Sonne schwindet. Anscheinend zieht sich eine Art „Band“ von der Sonne zur Venus. Das Band besteht aus Astrophagen, dem ersten intelligenten, lange Zeit in der Theorie nicht auf Wasserstoff basierenden Leben, das der Sonne die Leuchtkraft entzieht. Eine neue Eiszeit mit Milliarden von Toten scheint unausweichlich.
Andy Weir beschreibt die Forschungen ausführlich, wobei sein Protagonist aufgrund einer abgelehnten wissenschaftlichen Studie sich kontinuierlich nach vorne arbeitet, bis er aufgrund von Ausfällen der ersten Kandidaten zur Stammcrew des Raumschiffs gehört. Die Grundidee mit den Astrophagen erscheint ein wenig zu bizarr und der Autor bekommt dieses Szenario inklusiv der abschließenden Lösung nicht wirklich in den Griff. Bei „Der Marsianer“ hat er sich auf eine einzelne Idee konzentriert und diese wissenschaftlich ausgearbeitet. Hier trifft Ryland Grace im Verlaufe der Handlung nicht nur auf eine außerirdische Lebensform, sondern zwei bzw. sogar drei. Vielleicht wollte Andy Weir auch nur aufzeigen, wie fragil das Leben auf der Erde und wie stark selbst bei kleinsten Schwankungen der Sonnenstrahlenintensität abhängig ist. Das gelingt ihm sehr gut.
Die Mission selbst ist ein kontinuierlicher Kampf ums Überleben, wobei der Autor mit seinem typisch lakonischen Tonfall immer wieder für Erheiterung in einer ernsten Situation sorgt. Der Marsianer musste lange Zeit Selbstgespräche führen und dadurch bestand der Roman lange Zeit aus Selbstmotivationsmonologen. In „Der Astronaut“ kann Ryland Grace sich mit der Schiffsintelligenz auseinandersetzen, die laut Andy Weir keine künstliche Intelligenz ist. Im Verlaufe des Buches trifft er auf ein weiteres Raumschiff mit ebenfalls einem Überlebenden, dessen Volk gleichfalls unter den Astrophagen leidet. Allerdings haben die zumindest eine Lösung im Köcher.
Der First Contact Abschnitt des Buches ist eine interessante Mischung aus wirklich durchdachter Kommunikationsaufnahme mit einer fremden Intelligenz; eine rührenden Freundschaft basierend auf der gemeinsamen Notlage und abschließend dem Finden von Lösungen, mit denen die beiden Astronauten im All treibend leben und überleben können. Gleichzeitig müssen sie jeweils ihre eigenen Welten vor dem gleichen Schicksal bewahren, wobei der Treibstoff nur zur Rettung einer Welt natürlich ausreicht.
Andy Weir nutzt die Wissenschaft als gemeinsame, aber auch auf unterschiedlichen Blickwinkeln basierende Basis für einen sich gegenseitig respektierenden Kontakt. Viele Szenen lesen sich selbst für alte Genrehasen mindestens interessant, wenn nicht sogar frisch. Allerdings verliert sich der Autor vor allem im letzten Drittel des Buches in Plattitüden; baut eine kleine Katastrophe nach der nächsten auf, damit sich die beiden Protagonisten gegenseitig retten und sich ihrer einmaligen Freundschaft versichern können.
Die finale Rettung der Welt kommt durch einen Zufall zustande. Was für Ryland Grace in seinem Raumschiff das Ende seiner Hoffnung auf Überleben, geschweige denn eine Rückkehr zur Erde sein könnte, ist schließlich für den Heimatplaneten die finale Rettung. Diese Wendung kommt abrupt, fast aus dem Nichts und wirkt angesichts der Vorbereitung für der Gegenentwurf zum Überlänge aufweisenden Showdown sowohl in „Der Marsianer“ als auch „Artemis“.
Der Epilog ist dann erstaunlich optimistisch. Ryland Grace hat seinen Frieden gefunden und sein Ziel erreicht. Es ist ein ruhiges Ende eines zu Beginn dramaturgisch typischen Andy Weir Buches, dessen Mittelteil eine interessante Mischung aus First Contact, verständlichen Wissenschaftsgeplänkel und wieder Robinson Crusoe Geschichte ist, bevor er während des zu hektischen Ende auf eine pragmatische Lösung zurückgreift, die sich ihm aber erst durch die Verbundenheit mit dem sympathischen, aber auch irgendwie ein wenig zu naiv, zu niedlich „menschlich“ erscheinenden Alien erschließt.
Andy Weir hat bewiesen, dass er ein flotter, stilistisch ansprechender und vor allem auch gut zu lesender Autor ist. In dieser Hinsicht steht er Robert a. Heinlein und Lester del Rey mit ihren Büchern für die interessierte Jugend in Nichts nach. Andy Weirs Lesepublikum ist als Bestsellerautor ohne Frage größer, aber basierend auf seinen wissenschaftlich so weit wie möglich fundamentierten Geschichten könnte er tatsächlich einer der Autoren sein, der flüchtige Science Fiction Leser enger ans oder ins Genre holt und gleichzeitig einige Wissenslücken bei allen Lesern schließt. In dieser Hinsicht ist er der legitime Nachfolger der beiden populären Science Fiction Autoren nicht nur für die reifere Jugend, sondern vor allem für die heimliche Peter Pan Generation, die im tiefsten Inneren niemals erwachsen werden, sondern nur Abenteuer erleben möchte.
- Herausgeber : Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (10. Mai 2021)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 560 Seiten
- ISBN-10 : 3453321340
- ISBN-13 : 978-3453321342
- Originaltitel : The Project Hail Mary