Forever Magazine 77

Neil Clarke (Hrsg.)

Der Juni präsentiert eine überzeugende, ursprünglich für sich alleine stehend veröffentlichte Novelle sowie zwei solide Kurzgeschichten.

„The Martian Job“ aus der Feder Jaine Fenns ragt nicht nur wegen der titeltechnischen Anspielungen auf eine Reihe von „Heist“ Movies mit einer besonderen Präsenz von „The Italien Job“ aus der „Forever“ Ausgabe heraus.

 Gleich zu Beginn werden zwei Dinge deutlich. Die Protagonistin Ms. Choi arbeitet daran, die am meisten gesuchte Frau des Sonnensystems zu werden und ihr Halbbruder eröffnet die Geschichte mit einer klassischen Botschaft...“wenn Du das hier siehst, bin ich tot“. Nach diesem – wie sich herausstellt nicht ganz ehrlichen Auftakt – stellt die Autorin ihre Protagonistin vor. Ms. Choi ist eine intelligente junge Frau, die für Mister Lau in einem großen chinesischen Konglomerat arbeitet. Sie ist gerade geschieden worden und steht auf bedeutungslose One-Night- Stands mit jungen attraktiven Männern. Ihr Bruder ist ein Dealer auf dem Mars, ihre gemeinsame Mutter sitzt in einer Anstalt.

 Als ihr Bruder mit seinem Gleiter wenige Tage nach der Aufnahme der Botschaft auf dem Mars abstürzt und ums Leben kommt, bricht ihr bisheriges Leben auseinander. Sie muss die Vormundschaft über ihre Mutter übernehmen. Diese hat eine kriminelle Vergangenheit und prompt wird sie von der vordergründig so sauberen chinesischen Firma entlassen. Ohne Job, ohne Mann und vor allem auch ohne weitere zurechnungsfähig Verwandte bleibt Choi nur eines über. Sie muss dem Schicksal ihres Bruders nachgehen, der natürlich den besonderen Coup geplant hat, mit dem alle Beteiligten ein neues Leben jenseits aller finanziellen Sorgen beginnen können Schnell findet sie heraus, das ihr Bruder Chois bisherigen Arbeitgeber als Ziel auserkoren hat.

 Die ebenfalls in dieser „Forever“ Ausgabe veröffentlichte Kurzgeschichte aus der Feder David Brins entstammt der Anthologie „Old Venus“. Zusammen mit ihrer Schwesterveröffentlichung „Old Mars“ sollten die Geschichten auf den verklärten Planeten der Borroughsära spielen. Janine Fenn geht einen anderen Weg. Sie zeigt auf, dass das Terraforming des Mars im Besonderen ein kostspieliges Unterfangen ist, das nicht mehr von den Staaten oder Regierung bezahlt werden kann. Stattdessen haben Konzerne die Regie übernommen. Everlight dominiert nicht nur auf der Erde, sondern ist die treibende Kraft auf dem Mars. Das lässt sich der Konzern von den Bewohnern kräftig bezahlen. Das neuste Projekt ist die Bergung eines wasserhaltigen Asteroiden, der quasi sich über dem Mars in der oberen Atmosphäre ausregnen lassen soll. Gegen Bezahlung.

 Ohne Wertung zeigt Jaine Fenn auf, wie die Chinesen mit ihrem rücksichtslosen Geschäftssinn mehr und mehr die Kontrolle übernehmen und mit Effizienz, aber auch Ausbeutung der Arbeiter sich das Terrain erobern, das die nicht mehr erwähnte USA nicht mehr halten kann.

 Es ist blanke Ironie, dass Everlight zumindest vorläufig ausgerechnet an den Standards scheitert, die sie sich selbst gesetzt haben. So hetzen sie Ms. Choi unabhängig vom Tod ihres Bruders erst gegen sich selbst auf und müssen erkennen, wie intelligent die junge Frau wirklich ist. Der eigentliche „Heist“ dominiert den mittleren Abschnitt. Jaine Fenn beschreibt ihn vor allem angesichts des ambivalenten Zielobjektes sehr ausführlich, aber auch im Rahmen dieses Subgenres realistisch. Die Autorin scheut sich allerdings auch nicht, manches Klischee zu bringen. Damit es nicht zu unrealistisch erscheint, kommentiert die Protagonistin das Geschehen in einem sehr selbstironischen Unterton . Auch wenn Tote noch Nachrichten verschicken können, ist von Beginn an klar, dass Ms. Choi den perfekten Einbruch überleben wird. Und da sie sich auf den Fahndungslisten nach oben arbeitet, auch nicht in einem dunklen Loch auf dem Mars.

 Das Ende ist pragmatisch, aber auch konsequent. Jaine Fenn präsentiert zumindest für den Leser nachvollziehbare Erklärungen und weicht nicht auf „Deus Ex Machina“ Lösungen oder Variationen aus. Das zu entdeckende Geheimnis hinter dem „Eye of Heaven“ ist erkennbar mehr wert als das größte Juwel des Sonnensystems. Vor allem weil die Autorin in dieser Hinsicht ihren Text modernisiert.

 Zusammengefasst ist „The Martian Job“ sehr kurzweilige Unterhaltung mit einem Fokus auf überzeugender Action und weniger konstruierter Szenen. Vor allem die Protagonisten mit der sexuell aktiven Ms. Choi – es gibt eine wunderbare Szene im Büro ihres ehemaligen Chefs – bleibt dem Leser länger im Gedächtnis und man möchte mehr von ihrem Leben als der am meisten gesuchten Frau des Sonnensystems erfahren. Eine wirklich gute, auch allein stehend lesenswerte Novelle, die wenig bekannt ist.

 Wie schon erwähnt stammt David Brins längere Kurzgeschichte „The Tumbledowns of Cleopatra Abyss“ aus de Anthologie „Old Venus“. Jonah lebt auf dem Meeresgrund einer sich im Terraforming Prozess befindlichen Venus. Es ist eine von Frauen dominierte Gesellschaft. Der Prozess scheint nach tausenden von Jahren aus dem Ruder zu laufen. Nicht nur wegen des Namens erinnert Jonah an seinen berühmten Walreisenden. Aber wie dieser alt bekannte Jonah drängt es den Venusprotagonisten nach außen. Er will die buchstäbliche Blase am Meeresgrund verlassen, um mehr über die Welt zu lernen. Dazu muss er zusammen mit seinen Freunden an die Oberfläche des Venusmeers hinauftauchen.

 David Brin baut seine Novellette auf einer interessanten Basis auf. Auf der einen Seite sieht die Gesellschaft auf Meeresgrund ihre isolierte Existenz bedroht. Spuren von Leben kommen nicht nur von der Meeresoberfläche, sondern auch in den benachbarten Schluchten finden sich Siedlungen von Menschen, die sich vor allem soziologisch anders entwickelt haben. Eine Bedrohung der herrschenden Ordnung. Mit Verboten wird man die jungen Leute nicht mehr lange Unter Kontrolle halten.

 Auf der anderen Seite ist dieser Terraformingprozess inklusive des Auftauchens von Außerirdischen derartig detailliert und aus heutiger Sicht „technisch“ überzeugend wie bei Kim Stanley Robinsons „Mars“ Romanen allerdings in deutlich konzentrierter Form niedergeschrieben worden, das diese Vorgehensweise teilweise den Handlungsverlauf fast erdrückt. Vor allem weil von der Erde eher Gerüchte kommen, die der Technik der Cross nicht entsprechen. Mit dieser technologischen Überlegenheit hätten sie andere Wege gehen können. David Brin simplifiziert gegen Ende seiner Geschichte den Handlungsbogen zu stark und beginnt unnötig zu viele Ideen auf zu wenig Raum vor allem aus Jonahs ohne Frage aufgeschlossener, aber auch subjektiver Perspektive zu präsentieren. Dadurch wirkt der Text nach einem guten Beginn zu sperrig und viele Ideen gehen unter.

 Nancy Fulders Kurzgeschichte „The Cyborg and the Cementary“ hat den besten Titel der Sammlung. Ein älterer, reicher Mann schaut auf sein Leben zurück. Im Gegensatz zu vielen dunklen Zukunftsprojektionen konzentriert sich Nancy Fulder auf notwendige und im Grunde auch positiv wirkende Technik, die allerdings indirekt die Menschen verändert. So hat der Mann eine Beinprothese, die von einer künstlichen Intelligenz gesteuert wird. Sondert sich zumindest in den Gedanken des Mannes das Bein vom restlichen Körper ab? Ab wann ist man nicht mehr ausschließlich menschlich und wird zu einem Cyborg? Die Autorin kann keine Antworten auf diese Fragen präsentieren. Dafür ist der Text zu kurz und vor allem gibt es keine einfachen Lösungsansätze. Trotzdem versucht sie klassische Themen wie die Vergänglichkeit des Lebens, aber auch den Schatz der Erinnerungen in eine Science Fiction Geschichte intellektueller Spielart zu integrieren und kann über weite Strecken überzeugen. Nancy Fulder weicht aber auch den abschließenden Antworten immer wieder aus, so dass der Text unvollendet erscheint und der Titel eher eine Art Symbol, aber nicht Final ist.

 Drei unterschiedliche Geschichten, die klassische Science Fiction Themen nicht unbedingt auf eine neue Stufe heben, aber sie aus unterschiedlichen Perspektiven unterhaltsam anders, aber nicht unbedingt innovativ beleuchten.     

  

Forever Magazine Issue 77 cover - click to view full size

E Book, 112 Seiten

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