Clarkesworld 178

Neil Clarke (Hrsg.)

Wie bei “Forever” weist Herausgeber Neil Clarke darauf hin, dass die Planungen für das Online Magazin in diesem Monat Juli vor fünfzehn Jahren begonnen haben. Und damit die Feier jetzt und nicht erst im Oktober los gehen kann.

Andrew Liptak schreibt über den Merkur. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern stellt einige Kurzgeschichten und nur wenige Romane vor, die auf dem der Sonne am Nächsten befindlichen Planeten spielen.

Arley Sorg interviewt dieses Mal keine „reinen“ Autoren. Tommy Arnold ist eine der vielen Zeichner, die sich in den letzten Jahren einen herausragenden Namen gemacht haben. Ausführlich geht Tommy Arnold nicht nur auf die Art seiner Arbeiten auch in Zeiten der Pandemie ein, sondern unterstreicht, dass es nicht auf die Graphikprogramme des Computers ankommt. Sheree Renee Thomas ist nicht nur eine interessante Autorin mit afroamerikanischen Wurzeln, sie ist inzwischen als erste Frau und als erste Farbige für den Inhalt von „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ zuständig. Eloquent, aber immer auf Augenhöhe der Leser geht sie in diesem ausführlichen Interview auf ihre eigenen Arbeiten, aber auch ihre neuen Herausforderungen ein.

Im Juli präsentiert Herausgeber Neil Clarke insgesamt sieben Geschichten, davon handelt es sich um zwei längere Arbeiten.

Karen Ostborne eröffnet die 178. Ausgabe von “Clarkesworld” mit “Promises We Made Under a Brick-Dark Sky”.  Die Menschen leben unter einer dunklen Kuppel in einer isolierten Stadt. Eine Art künstliche Intelligenz dominiert mit einem aus ihrer Sicht gottähnlichen Status. Elissa fürchtet um ihre kleine Tochter, als eine Seuche ausbricht.  

Elissa versucht mit einer verzweifelten Tat die Zustände zu ändern. Das hat aber Folgen für ihren Freundeskreis. Auch wenn die Versatzstücke dieser Kurzgeschichte grundsätzlich bekannt sind, versucht die Autorin dem Geschehen eine andere Perspektive zu geben. Der Hintergrund ist für die Kürze der Geschichte gut und ungewöhnlich gestaltet worden. Allerdings drängt sich abschließend zu viel konstruiert gestalteter Plot auf zu wenigen Seiten zusammen und lässt das Geschehen stereotyper als zum Beispiel in einer vielschichtiger zu gestaltenden Novelle erscheinen.

Auch Grace Chan präsentiert mit  “He Leaps for the Stars, He Leaps for the Stars” einen ausgesprochen expressiven Titel für ihre Geschichte. Ein junger Mann, der künstlich erschaffen worden ist, ist der Startänzer des Sonnensystems. Auch wenn ihm genetisch Vorteile in den Inkubator gelegt worden sind, trainiert er täglich wie wild, um seinen Status Quo zu erhalten. Aber er kann dem Druck von außen kaum standhalten und eine neue Psychologin könnte der Ausweg aus diesem Dilemma sein.

Zu den Stärken der Geschichten gehört der Hintergrund einer pragmatisch planenden, die Menschen verachtenden und statt dessen auf den Punkt züchtenden Gesellschaft. Noch mehr als heute sind selbst Künstler plan-, aber auch austauschbar. Die wenigen Charaktere sind dreidimensional und zugänglich beschrieben worden.

Sowohl Grace Chan als auch Karen Ostborne lassen in ihren kurzen Texten zu viele Potentiale liegen. Der Leser möchte die Hintergründe ihrer Welt noch mehr kennenlernen und scheitert im Grunde schon draußen vor der emotionalen Tür. Das lässt die beiden Kurzgeschichten unvollständig erscheinen und unterminiert die emotional interessanten, wenn auch nicht gänzlich originellen Ausgangsplots.

 “When the Sheaves Are Gathered” von Nick Wolven setzt auf ein klassisches Szenario. Johnny bemerkt, das aus seiner Umgebung mehr und mehr Menschen verschwinden. Die Verschwundenen wirken eher wie Schemen, die Erinnerungen verschwimmen. Er ist sich auch nicht ganz sicher, ob er sich diese Menschen eingebildet hat. Im nächsten Schritt verfällt nicht nur die Stadt, in welcher er lebt, sondern die Straßen wirken immer leerer.

Das Plot wird stringent erzählt. Nick Wolven ist ein Autor, der eine Kurzgeschichte gut eröffnen kann. Nur fehlt es ihm in diesem Fall entweder am Mut oder der Originalität, diese Geschichte basierend auf eher rudimentären phantastischen Elementen auch überzeugend zu Ende zu bringen und eine Pointe zu präsentieren, welche die Ausgangslage auch nachhaltig wie überzeugend trägt.

Eine der besten und gleichzeitig auch längeren Geschichten ist Samantha Murrays “Preserved in Amber”.

Ein gigantisches außerirdisches Raumschiff erscheint aus dem Nichts heraus über Australien. Die Fremden versuchen in einer Tonlage mit den Menschen Kontakt aufzunehmen, welche für diese unverständlich ist.

Anscheinend wollen die Fremden auf eine begrenzte Anzahl von Menschen auf eine Reise in die Galaxis mitnehmen. Niu Yi ist eine der durch eine Lotterie ausgelosten Menschen. Während das gigantische Raumschiff still oder besser stoisch über der australischen Wüste schwebt, verabschiedet sich Niu Yi von ihren Verwandten. Ihre Großmutter erzählt ihr mehr über ihre Vorfahren. Niu Yi überlegt, was sie mitnehmen kann, obwohl anscheinend nur biologische Materialien in das Raumschiff gelangen können.   

 Auch wenn das Ausgangsszenario bekannt ist, erschafft die Autorin mit ihren dreidimensionalen Protagonisten tief verwurzelt in den Traditionen ihrer Vorfahren ein interessantes Gegengewicht zu dem geheimnisvollen Unbekannten aus den Tiefen des Alls. Die Pointe wird solide vorbereitet, ist für ein bekanntes Ausgangssujet zufriedenstellend originell und greift vor allem nicht auf die Klischees des Genres zurück, die es sein Äonen zum Thema First Contact leider gibt.

The author built a wonderfully involved look at a possible future, holding back its secrets as the story evolved. A very nice and captivating story told with a time dislocation that isn’t apparent at first.

Nur eine Übersetzung beinhaltet “Clarkesworld 178“.  “I’m Feeling Lucky” aus der Feder Leonid Kaganovs ist von Alex Shvartsman übersetzt worden. Es ist eine Zeitreisegeschichte, in welcher die Menschen dank einer eher ambivalent beschriebenen Erfindung sich im Grunde grenzenlose in der Zeit bewegen können. Anfänglich wird die Maschine vor allem genutzt, um den Menschen zum Beispiel mit Medizin aus der Zukunft zu helfen, ohne das auf Zeitparadoxe Rücksicht genommen wird. Doch je mehr Menschen sich aus egoistischen Gründen der Maschine bedienen, um so schwieriger wird es, eine Art Kontrolle über den Zeitstrom zu behalten.

Das Ausgangskonzept ist interessant, die Umsetzung erfolgt in einem hohen Tempo teilweise zu Lasten der Glaubwürdigkeit der einzelnen Protagonisten, wobei die Auflösung der Kurzgeschichte nicht gänzlich überzeugt und dann auf einige Klischees zurückgreift, die Leonid Kaganov am Anfang so intelligen umschifft hat.  

M. V. Melcers “The Falling” verfügt über den wahrscheinlich ambitioniertesten Plot dieser Ausgabe. Das Sonnensystem wird von einem schwarzen Loch bedroht. Ein moderner Noah hat seine Raumschiffarche gebaut, um den von der Zerstörung befallenen Heimatplaneten zu entfliehen. Allerdings wird das Raumschiff von den Anziehungskräften des Schwarzen Lochs quasi gefangen gehalten. Die Menschen an Bord müssen ständig ihre Masse überprüfen und korrigieren, um nicht in das Schwarze Loch gezogen zu werden.  Dabei müssen auch viele Menschen geopfert werden.

Eine junge Technikerin steigt in eine verantwortungsvolle Position auf. Für sie stellt sich die Frage, ob man mittels eines großen Opfers nicht den Rest der Menschen retten und dem Schwarzen Loch endgültig entkommen kann. Der Autor diskutiert diese moralische Frage ohne Pathos basierend auf nüchternen mathematischen Gleichungen.

Auch wenn die Ausgangsprämisse dunkel ist, überzeugt die originelle wie logische Plotwendung und das abschließende Ende ist konsequent entwickelt und beinhaltet keine „Deus Ex Machina“ Auflösung. Eine der besten Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe.

Rich Larsons „Last Nice Days“ reduziert die emotionale Problematik der vorangegangenen Geschichte auf ein Einzelschicksal. Ned ist eine lebende Waffe. Nur fragt er sich, ob er wirklich aufgrund der Regierung sein Leben opfern und den ihm eingepflanzten Befehlen bis zum bitteren Ende folgen soll? Der Text wirkt ein wenig selbstverliebt und Rich Larson versucht das Ende zusätzlich zu verklausulieren. Dabei geht der Autor ein wenig zu überambitioniert vor. Aber generell handelt es sich wieder um einen in der Theorie cleveren Rich Larson Text, der sehr viel Wert legt, den Leser in die Suche nach einer moralisch vertretbaren Lösung irgendwie einzubeziehen.

Mit einem Schwerpunkt klassischer Science Fiction und neuen Ideen zu altbekannten Wegen überzeugt die „Juli“ Clarkesworld Ausgabe deutlich mehr als die letzten, ein wenig um ihrer Selbst willen experimentierfreudigen Ausgaben.

cover

E Books, 122 Seiten

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