Ein Gott zu Tulivar

Dirk van den Boom

„Ein Gott zu Tulivar“ (2018) ist der Abschlussband der humorigen Fantasy Trilogie, welche Dirk van den Boom mit „Ein Lord zu Tulivar“ (2012) begonnen und mit „Ein Prinz zu Tulivar“ drei Jahre später fortgesetzt hat. Das Ende ermöglicht weitere Bände, aber Dirk van den Boom hat in mehreren Interviews und seinem Blog davon gesprochen, die Serie aufgrund der durchschnittlichen Verkaufszahlen momentan nicht fortzuführen.

 Dabei ist Die Ausgangslage von „Ein Gott zu Tulivar“ die beste Nicht nur mit seinem Eröffnungssatz „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ präsentiert der Autor eine Hommage an das bekannte Werk der Strugatzkis, wobei die Grundprämisse – Außerirdische werden von menschlichen technisch überlegenen Spezialisten beobachtet, ohne das diese in der Theorie eingreifen dürfen – von Dirk van den Boom deutlich auf den Kopf gestellt wird  Die Atheismus hat dafür gesorgt, dass die verschiedenen Götter auf seiner Fantasywelt an Einfluss und damit auch an Macht verloren haben. Die Grundidee ist nicht neu und einige Fantasyautoren haben sich mit ebenfalls vor allem humorigen Texten an dieser Prämisse versucht. Der Mangel an Glauben oder wie der Klappentext impliziert Frömmigkeit  vertreibt einiger Götter aus dem Himmel, der von Dirk van den Boom allerdings nur begrifflich und an keiner Stelle des kurzweilig zu lesenden Romans pragmatisch aktiv genutzt wird. Sie versuchen ihr Glück wieder auf der Erde.

 Natürlich auch in der abgeschieden gelegenen Provinz Tulivar. Die Manifestation ist die wahrscheinlich neben Dirk van den Booms Seitenhieb auf die Verlage, welche mittels Druckkostenzuschüssen naive Autoren oder in diesem Fall sogar machtsüchtige Götter austricksen, die beste Sequenz des Buches. Eine Statue beginnt nach Bratensaft zu riechen. Kurze Zeit später tröpfelt es auch heiligen Saft aus einer Statue. Anscheinend will sich ein echter Gott in Tulivar manifestieren, was vor allem für die Bewohner der sich gerade von den Auseinandersetzungen der letzten Jahr erholenden abgeschiedenen Provinz, aber auch den stetig am Rande des Nervenzusammenbruchs agierenden Lord eine besondere Herausforderung ist. Götter bedeuten immer Ärger.

 Um den Gott rechtzeitig loszuwerden, muss Dirk van den Booms Protagonist nicht nur eine Reise zu den Erzfeinden in die Berge unternehmen, sondern sich quasi eine Art übernatürliche Task Force zusammenstellen, die unter anderem aus einem drogensüchtigen Scharlatan mit seherischen Fähigkeiten und einem ehemaligen Gott besteht, der seine Macht anscheinend vor einigen Jahren verloren hat. Daneben muss der Lord auch seine Persönlichkeit aufspalten und eine Aufgabe übernehmen, die im Grunde nur Frauen können: ein aktives Multi Tasking. Natürlich steht er auch unter einem entsprechenden zeitlichen Druck und die Finanzen der kleinen Enklave nähern sich wegen diverser „Bestechungsgelder“ und vor allem göttlicher Löhne dem absoluten Nullpunkt, während die treuen Vasallen der Meinung sind, dass eine Lohnerhöhung mindestens angemessen sein könnte.

 Dirk van den Boom folgt dem nicht nur in dieser Serie etablierten Muster. Eine unwahrscheinliche, fast unmögliche Bedrohung eröffnet den Spannungsbogen. Anschließend folgen entweder eine Quest oder eine Reise. Sein Lord zu Tulivar ist ohne Frage ein entschlossener Krieger, inzwischen sogar ein cleverer Staatsmann, aber er kann nicht alle Probleme auf einmal lösen. Dazu stellt ihm der Autor eine Art Rettungsteam an die Seite, mit dem „man“ unter normalen Umständen weder befreundet sein möchte noch wirklich auf deren Hilfe angewiesen sein sollte. Nach einer Reihe von nicht selten auf missverständlichen Ereignissen basierenden kleinen Gefechten kommt es zum finalen Showdown, den der Lord zu Tulivar nur im ersten Buch direkt ausfechten musste. In den beiden anderen Teilen der Trilogie standen ihm die angesprochenen unzuverlässigen und dann doch lebensnotwendigen Helfer zur Verfügung.

 Dieses Handlungsmuster vor allerdings wechselnden Hintergründen kann statisch wirken. Nicht selten hat der Leser bei Dirk van den Boom das unbestimmte Gefühl, als treibe den Vielschreiber schon das nächste Projekt, der folgende Abgabetermin an, um den jeweiligen Roman oder die entsprechende Serie stringent, ohne Frau mit einem Paukenschlag, allerdings auch Ermüdungserscheinungen zeigend abzuschließen. Auf der anderen Seite hat Dirk van den Boom inzwischen eine interessante Routine entwickelt, seine Bücher pointiert und die Neugierde der Leser erweckend anzufangen. Auch bei der „Tulivar“ Trilogie gehören die ersten fünfzig bis achtzig Seiten zu den besten Abschnitten des Buches.

 Wie bei Neil Gaiman sind Dirk van den Booms Götterinkarnation – egal, ob sie schon lange auf der Erde leben oder gerade aus dem Himmel mangels Anhänger gefallen sind – ausgesprochen menschlich. Nicht unbedingt die sieben Todsünden, aber eine Reihe von Schwächen wie der absoluten Genusssucht – Sex, Drogen und Alkohol – oder bei der gerade entstehenden Manifestation die Völlerei  zeichnet der Autor an Hand einige Beispiele sehr überzeugend nach. Immer mit einem entsprechenden Augenzwinkern und die Grenzen des schlechten Geschmacks in Richtung Klamauk nur anreißend, aber nicht wirklich überschreitend. Der Lord von Tulivar ist vom Verhalten dieser angeblichen Götter eher genervt. Auch das entspricht den bisherigen Romanen, allerdings sind dieses Mal die Protagonisten hinterhältiger und die Antagonisten ruchloser.

 Manches erinnert allerdings auch an die abschließenden „M.Y.T.H.“ Bände, in denen Robert Asprin auf verschiedene Dämonen statt Göttern zurückgegriffen hat. Auch wenn die Dialoge in den M.Y.T.H. Bänden manchmal zu sehr an billigen Klamauk und die Quadratur des Kreises in Form von Seitenfüllen erinnert haben, lasen sie sich zumindest kurzweilig. In diese Kategorie allerdings mit einer absurden wie stärkeren Ausgangsprämisse als in den späten M.Y.T.H. Büchern zeigt Dirk van den Boom auf, dass Fantasy deutscher Schriftsteller eben nicht nur lang oder verknöchert sein muss. Allerdings verabschiedet sich der Autor auch irgendwann von seinem inneren Sendungsbewusstsein und kehrt zu bekannten, aber nicht markanten Schemata zurück.    

 Im letzten Drittel des Plots zerfällt der Spannungsbogen allerdings. Die Idee mit der geteilten Persönlichkeit, dem Gott im Körper eines Menschen, wirkt auf den ersten Blick noch zufrieden stellend mit entsprechenden Seitenhieben auf das Multi Tasking vorbereitet, aber der Autor geht mit dieser Idee zu unentschlossen, zu ambivalent um. Einige mehr oder weniger erotische Anspielungen und Sprüche reichen nicht auf, um den bis dahin durch ein hohes Tempo mit flotten Sprüchen geprägten Plot weiterlaufen zu lassen. Vor allem weil Dirk van den Boom trotz der wechselnden Handlungsebenen und damit auch Tulivars unterschiedlicher Perspektive inklusiv des obligatorisch erschreckenden Blicks in den Spiegel  mit der eigenen Idee zu wenig Originelles anfängt und sie angesichts der Tatsache, dass Tulivar ausgerechnet zu den Menschen in ihrer abgeschiedenen Stadt in den Bergen reisen muss, mit denen er Krieg geführt hat, im Grunde im Sande verläuft. Weniger wäre hier wahrscheinlich mehr gewesen.

 Das Finale wirkt auch hektisch abgeschlossen. Neben dem Eindruck, dass Dirk van den Boom die zumindest kommerziell hinter seinen Erwartungen zurückgebliebene Serie abschließen sollte, schafft er es nicht mehr ganz, die verbalen PS auf die Straße zu bringen und die anfänglich amüsanten sowie wirklich gut geschriebenen Wortgeplänkel weiter zu extrapolieren.  

 Betrachtet man „Ein Gott zu Tulivar“ im Rahmen der ganzen Trilogie, handelt es sich um einen folgerichtigen Abschluss. Mit Intrigen und Feinden aus den Nachbarländern voller Neid ist der Lord in den ersten beiden Romanen durch eine Mischung aus Kriegsstrategie,  Glück, aber auch Intelligenz fertig geworden. Dabei hat er zumindest dem Leser gegenüber durch die Ich- Perspektive deutlich gemacht mehr als einmal das metaphorisch gesprochen Breitschwert ins Korn werfen und diese unwirtliche Provinz verlassen wollen,. Aber der Lord zu Tulivar trägt die alten Tugenden wie Sturheit, Dickköpfigkeit, aber schließlich auch Verantwortung gegenüber dem ihm anvertrauen Volk in sich. Durch das sehr Körperbetonte Auftreten der Götter und/oder ehemaligen Götter wird er eher wie im ersten Buch in die Devise getrieben und kann sich nur mit Taktik und angeheuerten Spezialisten retten. Sobald aber das Team zusammen ist, verliert der Roman ein wenig an Fahrt und wird plottechnisch mechanisch. Dabei verschenkt Dirk van den Boom nicht zum ersten Mal in dieser Serie sehr viel Potential und der Leser kommt zur Erkenntnis, das es nicht nur ein Gott nicht leicht hat, sondern vor allem auch der Leser, der sich ein wenig mehr Mut und damit auch göttliche Exzentrik in Kombination mit einer originelleren Abschlusshälfte gewünscht hätte. „Ein Gott zu Tulivar“ ist ein trotz der angesprochenen Schwächen zufrieden stellender Abschluss dieser vom Leser bislang kaum richtig einzuschätzenden Serie, aber das von Dirk van den Boom zu Beginn in Aussicht gestellte verbale Feuerwerk mit einer wirklich übernatürlichen Auseinandersetzung mit den Götter, statt dem immer wieder angesprochenen Fellsex wirkt ein wenig spärlich.    

Ein Gott zu Tulivar, Taschenbuch von Dirk van den Boom, Atlantis, 978-3-86402-615-7

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (15. Juli 2018)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 210 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864026156
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864026157
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.9 x 2 x 20.8 cm
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