Der Zefíhl, der vom Himmel fiel

Dieter Bohn

Dieter Bohn legt mit „Der Zef íhl, der vom Himmel fiel“ nach einer Reihe von Kurzgeschichten unter anderem auch für die Perry Rhodan „Stellaris“ Reihe seinen ersten Roman vor. Im Nachwort geht der Autor auf die Entstehung des Buches ein und versucht das bekannte, nicht nur vertraute Szenario von anderen Autoren abzugrenzen.

Während des Studiums hat in die Peter Fleischmann Verfilmung des Strugatzki Roman „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ zum Nachdenken angeregt. Es ging um die Frage, was man mit dem heutigen Wissen in einer mittelalterlichen Kultur anfangen könnte.

Viele Romane unter anderem auch von Lloyd Biggle oder H. Beam Pieper, Gordon Dickson haben sich mit der Frage beschäftigt, wie man aus der Sicht der Menschen primitive Kulturen entweder auf die nächste technische Stufe hieven kann oder wie sich Beobachter verhalten müssen, um die natürliche Entwicklung nicht zu beeinflussen. Dazu kam meistens eine Bedrohung von außen, Die andere Perspektive ist die von STAR TREK etablierte Prime Directive, das die Federation Planeten mit intelligenten Bewohnern nur sehr vorsichtig und ausschließlich passiv beobachten darf.

Beide Ansätze finden sich in Dieter Bohns Roman in unterschiedlicher Gewichtung wieder.

Dazu kommt aber noch eine dritte Fraktion, zu welcher die Essenz des Strugatzkis Roman genauso gehört wie das humoristische Meisterwerk „Die fliegenden Zauberer“ von Larry Niven und David Gerrold. In der Kooperation strandet ein irdischer Raumfahrer auf einem Planeten mit einer relativ primitiven Zivilisation, die allerdings nicht nur an Magie glaubt, sie gibt es tatsächlich auf dem Planeten. Der naiv agierende Mann möchte nur den Planeten wieder verlassen, hat aber nicht die technischen Hilfsmittel. Er muss also wohl oder übel eine Kooperation eingehen, eine Reihe von Regeln brechen, um wieder nach Hause zu kommen. Eine Kooperation muss auch Dieter Bohns Protagonist Adriaan Deneersen eingehen. Nicht, weil er nach Hause möchte. Das Gegenteil ist der Fall. Der Hacker und angebliche Robin Hood der Zukunft ist geflohen und auf dieser mit einem Sperrvermerk markierten erdähnlichen Planeten will er sich unter den Einheimischen verstecken, Um nicht im Gefängnis zu verrotten, muss er mit dem Regenten von Kofane kooperieren und den Stadtstaat vor den marodierenden Horden eines wilden Reitervolkes schützen. Dazu wird er quasi zum Zef´ihl, zum Hofmagier.

Aus dem Strugatzki Roman und der ersten Verfilmung hat Dieter Bohn für seinen Roman zwei Ideen übernommen. Der Planet scheint zwar unter passiver Beobachtung zu stehen, die Kultur darf aber nicht verändert werden. Die Erde verfügt über ein sehr stringent geordnetes, fast diktatorisches Regime, das Emotionen unterdrückt. In Dieter Bohns Buch wird vor allem gegen Ende ein kleiner Blick auf die christlich konservativen Glaubensvorstellungen gewährt, denen Adriaan Deneersen auch vor allem wegen seiner Verbrechen zu entkommen sucht. Dabei hätte es nicht einmal des dogmatischen Glaubens bedurft. Auf dem Planeten mit erdähnlichen Bewohnern hat Deneersen so viele Verbote ignoriert und Anweisungen übertreten, dass jeder Wissenschaftler erst einmal grundlegend schockiert wäre. Aber hier kommt im Grunde die Ignoranz der Kirche und ihrer Anweisungen hinzu.

In Strugatzkis Buch versucht einer der Beobachter, die Lebensumstände der mittelalterlichen Kultur der Fremden zu verbessern, ihnen mit der Buchkunst und damit der Verbreitung des Wortes einen Wort aus den als Allegorie auf die Zustände der Sowjetunion zu verstehenden primitiven Verhältnissen zu weisen. Dabei geht es vor allem um kleine Hinweise oder Hilfsstellungen. Das kaum erträgliche Filmdrama „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ trifft diesen Punkt genau wie Strugatzkis Roman sehr viel besser. Jede Aktion der Beobachter oder in diesem Fall Deneersens bedingt auch eine Reaktion. Manchmal unabsichtlich.

Grundsätzlich liest sich Dieter Bohns Roman sehr unterhaltsam, sehr flüssig und entsprechend leicht. Vieles erinnert eben mehr an Biggle, an Dickson oder Pieper. Manche Dialoge sind lustig, einige der Reaktionen Deneersen herrlich inkonsequent bis naiv. Dieter Bohn hat keine humorige Farce wie Niven/ Gerrold geschrieben. Die langen Kampfszenen am Ende des Buches sprechen eine andere Sprache. Mit fast vierhundert Seiten ist es allerdings auch erstaunlich, dass der Autor die Leser bei der Stange halten kann und trotzdem wirklich jedes Klischees angesteuert wird, während die originellen, die interessanten Ideen vor allem gegen Ende des Buches beiläufig zur Seite gewischt werden.

Die Ausgangsbasis ist ja, dass Deneersen ein Hacker, ein Computerspezialist ist, der eben nur noch ein rudimentäres Schulwissen hat. Die Beobachter in Strugatzkis Roman konnte immer wieder auf die im Orbit befindliche Station und damit heimlich das Wissen der Menschheit zurückgreifen.  Als es darum geht, effektive Waffen zu entwickeln, erkennt Deneersen, wie schwer es ist.

In diesem Punkt bleibt Dieter Bohn aber inkonsequent. Er muss auf dieser Welt mit mittelalterlichen Städten allerdings ohne Glas oder einer vernünftigen Kanalisation, auf der anderen Seite aber auch mit gigantischen Kriegskatapulten Waffen entwickeln, welche der zahlentechnisch unterlegenen Bevölkerung Kofanes eine Art Chancengleichheit schenken. Einige der Ideen wie die ersten Brandbomben sind trotz einzelner Rückschläge faszinierend. Kanonen kann er nicht gießen lassen, weil er das Mischverhältnis nicht kennt. Ein Heißluftballon wird zur Aufklärung eingesetzt, als potentielle Waffe zum Abwerfen von Bomben ist die Erfindung noch nicht reife genug. Auf der anderen Seite versucht Dieter Bohn den Lesern klarzumachen, dass Gruben mit eingegrabenen Pfählen oder getarnte Flussläufe noch nicht bekannt sind. In diesen Punkten scheint Dieter Bohn die militärische Entwicklung der Erde als Grundlage dieses Planeten handlungstechnisch pragmatisch zu ignorieren.

Zusammenfassend fällt Deneersen trotz einiger Längen vieles viel zu leicht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten auch mit der Sklavengesellschaft entpuppt er sich als guter Berater eines allerdings auch nicht grausamen, sondern sein devotes Volk mit etwas Langmut führenden Herrschers. Solange die intellektuelle Oberschicht wie der ebenfalls zu Beginn inhaftierte Lehrer nicht zu sehr auf einzelne Missstände hinweist.  Ein flotter Dreier mit zwei frisch gekauften Sklavinnen entspannt Denersen sichtlich.

Er stellt sich zwar immer wieder die Frage, wie wirklich derartig menschenähnliche Wesen auf einem der Erde verblüffend ähnlichen Planeten angesichts der dominanten christlichen Lehre existieren können und ob deswegen die Welt absichtlich von jeglichem Zutritt abgeschirmt wird, aber Dieter Bohn nutzt wie bei einigen anderen Punkten diese zusätzliche Brisanz nicht aus, um seinem Geist-gegen-brachiale- Gewalt Roman notwendige Tiefe zu geben. Schnell versandtet die Handlung inklusive des konsequenten, aber auch pragmatischen wenig originellen Endes in der vertrauten Mittelmäßigkeit dieser vor allem in den fünfziger Jahren so populären Frontiergeschichten von archaischen, aber auch verführerischen Hinterwäldnerplaneten nicht immer am Rande der Galaxis.

Die Figuren sind pragmatisch bis dreidimensional gezeichnet. Dieter Bohn legt viel Wert auf seinen Protagonisten, der auf der einen Seite naiv opportunistisch erscheint, auf der anderen Seite natürlich nicht nur gegenüber der fremden Kultur sowie seiner größten Liebe, sondern auch an den Herausforderungen wächst. Zumindest belässt der Autor einige Zweifel und Deneersen ist nicht der klassische Held. Das hat allerdings beim Subgenre auch Tradition. Weder bei Strugatzki noch Pieper, Biggle oder Dickson gibt es Überhelden. Sie müssen schon im Laufe ihres jeweiligen Planetenaufenthalts über sich hinauswachsen, um mindestens als wichtiger Helfer, manchmal auch als geistiger Brandstifter den anonymen wie unterdrückenden Konzernen/ Regierungen oder wie hier Kirchenvertretern gegenüber erfolgreich sein. In den meisten Fällen türmen sich mehr und mehr Hindernisse auf, die nicht selten mit einem einzigen typisch menschlichen Geniestreich beseitigt werden können. In Dieter Bohns Buch ist es eine lange Schlacht, Deneersen selbst muss allerdings von seinen neuen Freunden gerettet werden, die genau auf die Fähigkeiten zurückgreifen, die sie nicht selten indirekt von ihrem Hofmagier gelernt haben. Damit schließt der Autor den Roman auf einer optimistischen Note.

Andreas Schwietzke hat dem Buch ein verführerisch schönes Titelbild geschenkt. „Der Zefíhl, der vom Himmel fiel“ ist eine Mischung aus vertrauten Szenen anderer Autoren und einer grundlegend interessanten wie notwendigerweise auch ausbaufähigen Idee – was weiß ich noch aus der Schule ohne Computer oder Bücher? -, die nicht immer wirklich konsequent und manchmal darauf hinaus zu simpel entwickelt worden ist. Für den Umfang trägt Dieter Bohns über weite Strecken sehr angenehmer lockerer Stil über einzelne konstruktive Schwächen. Die Endschlacht ist zwar auf der einen Seite realistisch grausam für derartige Auseinandersetzungen, unterminiert aber auch den leicht ironischen Aufbau zu Beginn des Geschichte. Fünfziger Jahre Science Fiction im Gewand des 21. Jahrhunderts.

Dieter Bohn
DER ZEF’IHL, DER VOM HIMMEL FIEL
AndroSF 124
p.machinery, Winnert, Juni 2021, 396 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 246 1 – EUR 17,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 850 0 – EUR 5,99 (DE)