Clarkesworld 179

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke geht in seinem langen Vorwort auf den Auswahlprozess von eingereichten Kurzgeschichten neuer, bislang unbekannter Autoren ein. Carrie Sessarego präsentiert eine Reihe von weiblichen Protagonisten aus Vampirgeschichten vor allem auch für jugendliche und damit nicht selten weibliche Leser. Einen Hauptteil nimmt die Bella aus der Twillight Serie ein. Dabei konzentriert sich Carrie Sessarego vor allem auf die Unterschiede zwischen der Realität solcher Figuren in der Gegenwart der Leser und ihre besondere, fast phopetische Positionierung in derartigen Romanserien.

 Arley Sorg führt zwei sehr unterschiedliche Interviews. Mit Adrian Tchaikovsky präsentiert er einen der britischen, nicht unbedingt neuen, aber im Bereich der reinen Science Fiction abseits von Rollenspielromanen interessanten und sich stetig weiter entwickelnden Autoren. Das Interview geht nicht nur auf den Beginn der Kariere ein, sondern vor allem auch auf die verschiedenen Facetten seines inzwischen umfangreichen Werkes. S. Qiouyi Lu ist eine junge Autorin mit einem noch schmalen Werk, aber vor allem vielen Talenten auch außerhalb der Literatur. Beide Interviews sind ausgesprochen umfangreich und zeigen das Für und Wider einer literarischen Karriere ausgesprochen nuanciert auf.

 Insgesamt sieben Kurzgeschichten und Novellen finden sich in der August Clarkesausgabe. Zwei Geschichten sind Übersetzungen. Beth Goder eröffnet den Regen mit  „Candide; Life- „In einer fernen Zukunft geht es um die Frage, was noch als künstlerische Schöpfung angesehen werden kann, die individualisiert bewundert werden sollte oder ab welchem Punkte dank der multimedialen Technik keine klassische Unterscheidung mehr möglich ist. Die Autorin sucht sich mit einer jungen Musikerin und ihrem Bilderhauerfreund zwei konträre Arten der Kunst aus. Die technische Extrapolation der Kunst ist überzeugend. Der Hintergrund inklusiv der Charakterisierung überzeugt vor allem für die Kürze des Textes, allerdings lässt Beth Goder am Ende viele Fragen notwendigerweise auch frustrierend offen.

 Nadia Afifis „A Thousand Tiny Gods“ ist keine Übersetzung, zeigt aber aufgrund des kulturellen Hintergrunds der Autoren eine gänzlich andere Perspektive auf ein nicht unbekanntes Thema. In einem technisch futuristischen, aber ideologisch der Gegenwart angehörenden Bahrain entwickelt ein an einem der staatlichen Institute angestellter Programmier kleine Nanobots, die Krebs noch nicht heilen, aber rechtzeitig entdecken können. Die Frau des Herrschers stellt sich freiwillig zur Verfügung. Sie weiß, dass sie nicht geheilt werden kann, möchte aber anderen Menschen die buchstäbliche Tür öffnen. Der Hintergrund eines futuristischen, aber noch immer klar zu erkennenden Bahrains; die Zeichnung der Figuren und die Begeisterung des Programmierers für etwas, was nicht vollständig ist, nicht perfekt agieren kann, aber zumindest Hoffnung bürgt überdecken die nanotechnischen Schwächen der Geschichte.

 Adam Stemple präsentiert nicht nur den längsten Titel der Ausgabe. „The Clock, Having Seen ist Face in the Mirror, Still Knows Not the Hour“ , sondern impliziert schwere, philosophische Kost. Das ist aber abschließend nicht der Fall. Es handelt sich um eine unterhaltsame Steampunk Novellette, in welcher der Uhrwerkroboter mit einigen nicht vorhandenen Gliedmaßen von einer jungen Frau aus Neugierde gekauft wird. Auf der inneren Ebene werden die despektierlichen Gespräche des emotional fühlenden Roboters mit seinem ehemaligen Master beschrieben, auf der anderen Seite entwickelt sich natürlich eine platonische Liebesgeschichte, die anfänglich ausschließlich von Mitleid angetrieben worden ist. Stilistisch sehr gut erzählt mit pointierten Dialogen, aber vor allem auch einigen genretypischen Steampunkaspekten konzentriert sich der Autor auf die Beobachtungen aus der Perspektive des Roboters. Nichts, was der Leser vor allem in den verschiedenen Steampunk Comics nicht schon mal gelesen hat, aber kurzweilig präsentiert. Ein Plot ist im Grunde nicht vorhanden. Adam Stemple fokussiert sich fast ausschließlich auf Stimmungen und dem entsprechend eine Reihe von Stimmen. 

 Andrea M. Pawleys „A Heist in Fifteen Products from Orion Spur`s Longest Running Catalog“ ist eine humorvolle, kurzweilige Science Fiction Geschichte mit einem jungen Chef ausgerechnet einer Roboterfirma mit dem wohlklingenden Namen „Tollnacher Stimmacher“ , der seine Mutter und Vorgängerin in der Firmenleitung retten möchte. Jedes Kapitel beginnt mit der Beschreibung eines Tollnacher Produkts, die lustiger ist als der stringente Plot mit einigen wenigen überraschenden Wendungen am Ende der Geschichte.

 „Resistance in a Drop of DNA“ von Andre Kriz ist eine seltsame möglicherweise alternative Science Fiction Geschichte während der französischen Revolution oder eine Parallele. Es gibt keine Erklärungen für Abweichungen und die Geschichte ist zu kurz, um mit einem überzeugenden Hintergrund oder einem stringenten Plot aufzuwarten.    

 Die zweite Übersetzung stammt aus Osteuropa. „An Instance“ geschrieben von MLOK 5 ist keine klassische Geschichte. Netzeinträge werden aufgelistet. Die Antworten stammen von einer künstlichen Intelligenz. Die Links zielen auf pornographische Seiten, was die künstliche Intelligenz als alltäglichen wie pragmatischen Ratschlag ansieht. Ohne Handlungs- oder Spannungsbogen funktioniert dieser Abriss eher als eine Art Auflockerung, aber nicht klassische Geschichte und selbst bei der Kürze des Textes fällt dem Anderen am Ende nichts wirklich neues ein.

 Aus China stammt „The Serpentine Band“ von Congyun Mu Ming Gu. Basierend auf den Mythen Chinas handelt es sich um eine schwer erkennbare Parallelweltgeschichte. Die Einleitung hilft den Lesern nicht wirklich, die Überleitung zu einer der beiden Handlungsebenen wirkt eher bemüht. Einem jungen Mädchen namens Chen wird ein Jadeband geschenkt. Darauf finden sich wirklich eindrucksvolle Zeichnungen und eine Handvoll von Symbolen. Anscheinend beeinflusst das Band getragen am Handgelenk die Träume und führt Chen in eine parallele Realität. Diese gebogene Realität führt nicht nur zu einer parallelen Handlung mit verschiedenen politischen Besonderheiten in einem frühzeitlichen China, sondern auch zu einem ausführlichen Dialog zwischen Chen und ihrem in der Realität schon verstorbenen Vater. So faszinierend einfach und interessant die Ausgangsbasis der Geschichte auch sein mag, gegen Ende sollte jeder Autor mit der Auflösung des Plots beginnen oder sich zu einem sehr offenen, manchmal auch frustrierenden Ende entscheiden. In diesem Fall wird keiner der Wege gewählt. Die fehlende Struktur der Geschichte mit einzelnen, sehr guten, aber surrealistisch erscheinenden Szenen sowie unerklärlichen Sprüngen zwischen den einzelnen Schauplätzen erschweren die Lektüre und lassen die Geschichte vielleicht auch nur in den nicht immer wirklich professionellen Übersetzungen phlegmatischer und vor allem konstruierter, aber nicht wirklich erzählter erscheinen als es die Absicht der Autorin gewesen ist. Die Novelle reiht sich in einem Phalanx von eher qualitativ überschaubaren chinesischen Science Fiction Geschichten der letzten „Clarkesworld“ Ausgaben ein.

 Während das Titelbild wieder eine Augenweide ist, präsentieren sich die hier gesammelten Kurzgeschichten auf einem eher durchschnittlichen Niveau mit nur wenigen guten Ideen und erzähltechnischen Ansätzen. Nach zwei oder drei überzeugenden „Clarkesworld“ Ausgaben der letzten Monate stellt diese Nummer eher einen Schritt zurück da. Vor allem in Hinblick auf das ausführliche Vorwort Neil Clarkes zeigt sich deutlich, dass es zweifelsfrei sinnvoll ist, eingereichte Geschichten auch zu publizieren, das es aber nicht immer überzeugt,  mehr Stimmungen als nachhaltigen Inhalten zu vertrauen.