Paradies 3000

Herbert W. Franke

Als vierzehnten Band der Herbert W. Franke Werksausgabe drucken die beiden Herausgeber Ulrich Blode und Hans Esselborn den ursprünglich 1981 im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Storyband „Paradies 3000“ nach. Wieder hat Thomas Franke für die Werksausgabe ein eindrucksvolles Titelbild erschaffen, das expressiver ist als seine Arbeit zur Suhrkamp Taschenbuchausgabe. Das Nachwort neben den Anmerkungen zur Werksausgabe stammt dieses Mal aus der Feder von Bartholomäus Figatowski. 

 Die Titelgeschichte fasst eine Reihe von Themen aus Herbert W. Frankes umfangreichen Werk gut zusammen. Der Transfer von Wissen direkt ins Unterbewusstsein der Menschen und dadurch die Erschaffung einer virtuellen Realität. Eine Gesellschaft, die ihre Bleibeberechtigung auf der Erde überdehnt hat und deswegen drastisch die Resourcen schonen muss. Wie bei „Flucht ins 23. Jahrhundert“ ist bei 30 Lebensjahren Schluss, allerdings werden die Menschen nicht eliminiert. Reduktion und Verzicht sind die neuen Schlagworte. Kompakt, intensiv, allerdings auch ein wenig belehrend. Im Grunde passt auch die Abschlussgeschichte dieser Anthologie in den entsprechenden Rahmen. In „000 Jahre später“ kehren vier Astronauten zu einer natürlich vollkommen veränderten Erde zurück. Sie ist das Gegenteil aus „Paradies 3000“. Während meistens bei Herbert W. Franke die Menschen die nicht immer logischen Beschlüsse fassen und etwas Gutes machen wollen als es abschließend ist, agieren die Maschinen gemäß ihrer indirekt auf den Robotergesetzen basierenden Programmierung und sehen in „Twillight Zone“ Manier nur einen Ausweg.   

 „Endwert Null“ könnte eine Variation zu „Paradies 3000“ dienen. In beiden Geschichten scheuen sich Wissenschaftler, den finalen Schritt zu gehen. Einmal in „Paradies 3000“ die komplette Isolation des Menschen durch Datenströme direkt ins Gehirn, in „Endwert Null“ das Erschaffen eines künstlichen Intelligenz, welche dem Menschen von der logischen Seite her überlegen ist, aber moralisch fragwürdig sein kann. Der Leiter des Forschungsprojekt zerstört vor seinem Ruhestand alle Unterlagen, aber der ins Rollen gekommene Steine lässt sich nicht unterkriegen. Das Ergebnis wird im Titel impliziert. Irgendwann erfolgt die Quadratur des Kreises und der Aufwand führt nicht mehr zu einem Ertrag. Dank Aufzeichnungen, Briefen und schließlich Protokollen wirkt die Geschichte distanzierter und stärker strukturiert als zum Beispiel „Die Geschichte des Berry Winterstein“, der schließlich im Kleinen seine Bestimmung gefunden hat, während die künstliche Intelligenz des Vorgaben folgend nur zu einem Ergebnis gelangen kann.   

 In „Paradies 3000“ finden sich auch eine Reihe von Pointengeschichten. „Der Hölle entronnen“ zeigt einen Botschaft der Erde auf dem Weg zu einem fremden Planeten. Sieben Jahr wurde er für diese Mission ausgebildet, parallel fliegt einer der Fremden ebenfalls Gesandter zu Erde. Die Fremden ahnen aber nicht, dass er seine persönliche Hölle in Form eines Drachens in Gedanken mit sich trägt. Der Leser ahnt kurz vor Ende der Geschichte die Pointe, da Herbert W. Franke versucht, die Grundlagen der fremden Kultur zu erläutern. Trotzdem menschelt der Wissenschaftler positiv in dieser sehr kurzen Story.  Sowohl bei „Verhandlung“ als auch „Ferngelenkt“ sind die Titel Programm. Im Gegensatz zu „Der Hölle entronnen“ macht der Botschafter der Erde am Ende der schwierigen Verhandlungen aus seiner Sicht keinen Fehler, aber die entsprechende Reaktion ist vorhersehbar. Bei „Ferngelenkt“ werden Besuchern neue Forschungsergebnisse der Verhaltensmanipulation vorgestellt, der Titel deutet aber auf eine höhere Ebene hin. Beide Geschichten sind nur jeweils knapp drei Seiten lang, steuern auf die stringente, aber nicht immer nachhaltig überraschende Pointe hin. 

 Die Idee der isolierten Forschung im All wird in „Am Ende des Nebelstroms“ noch einmal auf eine ernsthaftere Art und Weise aufgenommen. In einer Dunkelwolke will die Menschheit mit Hilfe jeweils eines Freiwilligen eine art zukünftige Selbstversorgung der Astronauten im All experimentell entwickeln. Wie bei vielen Franke Geschichten gibt es aber zwischen der wissenschaftlichen Theorie und der emotionalen Reaktionen nicht nur der Menschen, sondern auch manchmal der Maschinen erhebliche Unterschiede. Frankes absichtlich distanzierter, nicht Dialogen vertrauender Schreibstil kommt dieser Art von Geschichte entgegen, auch wenn er mit dem offenen Ende und der Implikation einer in dieser Hinsicht nicht vorhersehbaren Evolution viele Fragen nicht nur für das Komitee offen lässt, das diese Vorgänge untersuchen soll. In der Miniatur „Kursänderung“  treibt Franke die Idee auf einen bizarren Höhepunkt. Ein Raumfahrer möchte mit seinen Funden eines entdeckten Planeten relativ schnell zur Erde zurück, die künstliche Intelligenz an Bord konzentriert sich eher auf die Züchtung von Hühnern. Das Ende ist eher fatalistisch und nicht unbedingt nachvollziehbar, zumal der Bordcomputer quasi aus dem Nichts heraus eine weitere paradiesische Welt findet, um das Problem abzuladen. 

„Raumfieber“ zeigt die Auswirkungen einer neuer Droge auf die ebenfalls zur Erde zurückkehrenden Raumfahrer, Die Vignette ist aus zwei Perspektiven erzählt, wird dann allerdings eher bemüht zusammengesetzt.

 „Die Geschichte des Berry Wintersteins“ lässt sich auf der einen Seite in den Bereich der wissenschaftlichen Komödie einordnen, auf der anderen Seite ist die Geschichte eines im Grunde vom Fliegen besessenen Autisten auch eine Abrechnung mit der Gesellschaft, die Genie nicht einzuordnen und damit auch intellektuell zu ordnen konnte. Aus der Sicht eines „Freundes“ wird die Lebensgeschichte des Tüftlers Berry Winterstein beschrieben, der immer mehr nicht nur perfekte Flugobjekte, sondern auch die Reduktion des Ganzes versuchte. Je weiter er fortgeschritten ist, umso weniger Technik brauchte er. Der wissenschaftlich technische Hintergrund wirkt absurd, aber die menschliche Tragik fasst Herbert W. Franke in wenigen sachlichen, nicht kitschigen Worten gut zusammen. 

 Auch „Das rosarote Universum“ könnte man als Farce bezeichnen. Ein Schriftsteller wird von einer anonymen Seite gezwungen, nicht mehr ernste Literatur, sondern Pulpgeschichten in den Computer zu hacken. Nach und nach ändert sich auch durch die Begegnung mit einer jungen Frau seine Umgebung und er versucht, aus der Schriftstellerhölle zu entkommen. Die wechselnden Perspektive zwischen „Realität“ und „Fiktion“ sollen Spannung erzeugen, wirken aber abschließend nicht konsequent und vor allem stringent genug. Zu viele Fragen bleiben offen und die Zeichnung der Protagonisten ist eher eindimensional und nicht wirklich schlüssig.

 Auch „Sperrgebiet“ ist abschließend nicht wirklich schlüssig. Ein Forscher lässt sich in eine besonders abgelegene Gegend versetzen. Teilweise kann ihm seine Familie noch beistehen, aber die immer mehr selbst gewählte Isolation und der verzweifelte Versuch, für ein besondere Problem eine entsprechende Lösung zu finden treibt ihn schließlich in den nicht überraschend kommenden Nervenzusammenbruch. Mit der Pointe impliziert Herbert W. Franke, das die stringente Plotführung vielleicht doch noch ein oder zwei Geheimnisse beinhaltet.

 Bartholomäus Figatowski geht in „Schaukampf“ auf moderne Gladiatorenspiele, welche insbesondere Ski und Fußball an Popularität den Rang abgelaufen haben. Dabei hat Franke angesichts der seltsamen Realityshows und den verschiedenen pervertierten Spielen nicht einmal Unrecht. Die Zuschauer können den Spielen live abgetrennt durch Wände, aber auch über die Bildschirme folgen. Die Arenensklaven modernster Prägung mit umfangreichen Verträgen voller Klauseln ausgestattet, welche ihnen volle Verantwortung aufbrüden, treten gegen außerirdische Monster an. Die Spiele sind natürlich getürkt, schließlich geht es um viel Geld. Auch wenn Bartholomäus Figatowski sehr viel in die Geschichte hineininterpretiert, wirkt sie aus heutiger Sicht inhaltlich gealtert und vor allem konstruiert. Die Zeichnung der Protagonisten ist in den meisten Franke Arbeiten unwichtig, „Schaukampf“ will der Funke allerdings nicht auf das Publikum überspringen.

 „Aufstand der Alten“ ist eine zynische Satire. In „Paradies 3000“ sollen die Menschen mit dreißig Jahren wegen der Überbevölkerung auf Eis gelegt werden, in„Aufstand der Alten“ werden sie gegen ihren Willen mit fünfundsechzig Jahren quasi aus der aktiven Gesellschaft teilweise gegen ihren Willen abgeschoben. Man stelle sich vor, ein Herbert W. Franke hätte vor über fünfundzwanzig Jahren sein kreatives Schaffen einstellen müssen. Franke fokussiert das gesellschaftliche Probleme auf den Brennpunkt einer Familie, während draußen die Aufstände der Alten immer gewalttätiger werden. Einer der Höhepunkte dieser Anthologie.

 Bartholomäus Figatowski hat in einem Punkt recht. Frankes Stil spricht mehr für die Kurzgeschichte als Romane. Nicht selten sind seine längeren Arbeiten eine Abfolge von verschiedenen Ideen, mehreren Handlungsebenen und einer offenen, aber nicht unpassenden Pointe. In seinen Kurzgeschichten lassen sich diese Stärken inklusiv einer Reihe sehr guter Ideen besser erkennen. Menschen im Brennpunkt einer Maschinenwelt, einer brutaler gewordenen im Grunde gegen das Individuum asozial handelnden Gesellschaft oder die humanistische und nicht mehr verklärte Betrachtung der Auswirken langer Raumflüge ziehen sich als rote Fäden durch diese lesenswerte und natürlich die Neuauflage mehr als verdienende Kurzgeschichtensammlung.

Herbert W. Franke
PARADIES 3000
Science-Fiction-Erzählungen
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 14
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 78
p.machinery, Winnert, Monat Jahr, 162 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 214 0 – EUR 14,90 (DE)
Hardcover (limitierte Auflage): ISBN 978 3 95765 215 7 – EUR 24,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 877 7 – EUR 7,49 (