Vernetzt

Marianne Labisch

Marianne Labisch und ihre Protagonistin Susanne Blumberg haben einiges, aber nicht alles gleich. Beide legen einen Thriller als ihren Debütroman vor. Beide greifen zu unterschiedlichen Marketingmustern, allerdings hat es zumindest für Susanne Blumberg fatale Folgen.

Für „Vernetzt“ nutzen Verlag und Autorin verschiedene Veröffentlichungsmöglichkeiten. Quasi als eine Art virtueller Adventskalender wird seit dem ersten Dezember jeden Tag auf Marianne Labischs Webseite mluniverse.wordpress.com ein Kollege, ein Verlag oder ein Forum kurz vorgestellt.  Es folgt ein Link auf deren Seite, wo der geneigte Leser eine Pdf- Datei mit einem Handlungsabschnitt herunterladen kann.  Das vollständige E Book und auch das gedruckte Buch sind dann ab 24. Dezember erhältlich.

Auch Susanne Blumberg nutzt für ihren Vergewaltigungsracheroman das Internet. Bei Kollegen werden  einzelne Kapitel eingestellt und wer kein Geld ausgeben möchte, kann sich wie bei einer Schnitzeljagd den Roman quasi erschnüffeln. Kostenlos.

Der Roman „Vernetzt“ beginnt mit der ersten Lesung Susanne Blumbergs. Sie ist natürlich nervös, aber ihr guter Freund Alex sitzt in der ersten Reihe und gibt ihr moralische Unterstützung. Auf der zweiten Handlungsebene verfolgt der Leser die Suche eines interessierten Lesers, der sich aber an einem Autorenkollegen die Zähne „ausbeißt“. Er kann den entsprechenden Hinweis nicht finden. Er schreibt immer mehr fordernde Mails, auf welche der befreundete Autor nicht reagiert. Die Drohungen reichen bis zu seiner Familie. Schließlich kommt es zu einem brutalen Mord.

Auch wenn für die dortige örtliche Polizei die Zusammenhänge nicht sofort offensichtlich sind, verbindet das Netz schnell die extreme Tat mit der Suche nach den Buchkapiteln. Auch für Susanne Blumberg besteht schnell eine akute Lebensgefahr.

Auf einer anfänglich dritten Handlungsebene stellt die Autorin mit dem Filialleiter einer örtlichen Bank und einem penetranten Ordnungsfetischisten einen dritten Charakter vor.  Peter wird gleich zu Beginn von seiner Frau Moni verlassen, welche die Ordnungssucht nicht mehr aushält. Vorher hat sie ihm noch geraten,  vielleicht einmal den neuen in der Zeitung besprochenen Krimi von Susanne Blumberg zu lesen, vielleicht kann er so seinen „Fetisch“ durch eine konzentrierte Suche nach den einzelnen Kapiteln ausleben.

„Vernetzt“ ist ein schwierig einzugrenzendes Buch. Susanne Blumbergs grundlegender Roman handelt ja von einem Psychopathen, der eine Frau vergewaltigt.  Das Opfer rächt sich. Auch „Vernetzt“ konzentriert sich auf einen Psychopathen, der angeblich basierend auf der erfolglosen Suche nach einem weiteren Kapitel zum Mörder wird. Im Laufe der Lektüre von Marianne Labischs Buch wird allerdings klar, dass diese „Suche“ im Grunde nur ein Faktor ist. Die Obsession und vor allem der Drang, Menschen zu ermorden, ist in dem Täter viel früher angelegt worden. Spätestens seit Thomas Harris Romane um nicht nur, aber auch Hannibal Lector hat das Frauen tyrannisierende und andere Menschen bestialisch ermordende Monster ein Mittelklassegesicht erhalten. Es sind nicht mehr die Freddy Kruegers, Michael Myers  oder Jasons, welche mordend vorwiegend durch die amerikanischen Kleinstädte ziehen, sondern intelligente, hochgradig gestörte, aber auch gebildete Männer und selten Frauen. Jeder kann in diesem Subgenre zum Täter werden.

Es ist die Kunst der Autoren, entweder diese tickenden Zeitbomben solange wie möglich in den eher schematischen Handlungsverläufen zu verstecken und quasi aus dem Nichts heraus zu einer direkten Bedrohung werden zu lassen oder den anderen Weg zu gehen. Im Gegensatz zum potentiellen Opfer kennt der Leser den zukünftigen Täter. Der Autor lädt zu einer Art Achterbahnfahrt in deren kranke Psyche ein, um die Einkesselung des Opfers aus deren Perspektive zu verfolgen.  

Marianne Labisch hat sich für eine Art Zwischenweg entschieden und der funktioniert nicht sonderlich gut. Der Roman verfügt nur über einen kleinen Personenkreis, welche in Frage kommen. Eine Frau und zwei Männer. Aus dem Nichts heraus einen weiteren Attentäter zu etablieren, hätte die fragile Struktur des Buches gestört, aber für eine Überraschung gesorgt. Hinzu kommt eine Art beste Freundin, die vor allem im letzten Drittel des Buches relevante Informationen zusammenfügt, nachdem sie Susanne quasi stellvertretend für den Leser immer wieder vor deren unmittelbaren Umfeld gewarnt hat.

Der eine Mann hat sich von Beginn an als leicht gestört erwiesen. Der zweite Mann ist der perfekte Gentlemen. Ein Witwer, ein Nachbar;  ein Freund, der sich mehr von Susanne Blumberg erhofft, aber auch mit einer netten vorläufigen Abweisung leben kann.

Dazwischen finden sich einzelne Kapitel jeweils aus der Perspektive eines dieser drei Protagonisten. Dem aufmerksamen Leser fließen die potentiellen Täterinformationen nahezu ungefiltert und damit auch nicht versteckt zu., Wie brutal bestialisch und krank der Täter ist, hat die Autorin gleich zu Beginn offengelegt. Der Täter ist gefährlich. Am Ende für Susanne Blumberg, auf dem Weg dahin auch für ihre Umgebung. Es kommt aber nur ein Täter in Frage. Der wird schon auf der einen Handlungsebene als reiner Psychopath beschrieben, während er jeweils aus der Perspektive der beiden anderen Protagonisten hinsichtlich ihrer individuellen oder gemeinsamen Begegnungen mehr und mehr psychotische Züge bekommt. Die Fassade beginnt zu brökeln, das Tier lässt sich aber lange Zeit ausschließlich aus seinem ureigenen Blickwinkel erkennen.  Marianna Labisch will hinsichtlich der Etablierung der Figuren zu viel und ihr fehlt in wichtigen Momenten das notwendige Gespür, das Feingefühl, den Fuß von inneren Gaspedal zu nehmen und einzelne Situationen sich entwickeln zu lassen anstatt alles irgendwie und irgendwo dem Leser unbedingt begründen zu müssen. Da helfen auch die verschobenen Perspektiven oder sich überlappende Szenen zu wenig.  

In dieser strukturellen Schwäche liegt ein, vielleicht das größte spannungstechnische(s) Problem. Es geht nicht mehr um das „wer“, sondern nur noch um den Weg, mit dem der Täter seinen Plan umsetzen möchte. Das Buch wird dabei immer unwichtiger und die entsprechenden Vorbereitungen zeigen auf, das Susanne Blumbergs Thriller allenfalls ein Katalysator gewesen ist, um geplante „Ereignisse“ zu beschleunigen, aber keine Ursache.

Damit rückt die Realität von Marianna Labisch Roman näher an Susanne Blumbergs Buch heran. Aber diese Parallelität wird von der Autorin zu wenig in die laufende Handlung einbezogen. Das Finale ist eher mechanisch mit der notwendigen, aber grundsätzlich auch wenig überraschenden Dramatik. Da dem Buch eine grundlegende Spannung spätestens nach dem ersten Drittel durch die Entlarvung von Täter und Opfer, aber auch fehlenden Überraschungsmomenten dritter Seite fehlt, bleibt der Thriller erfahrene Leser abschließend distanziert und folgt nur bedingt emotional beteiligt Susannes Schicksal.

Der Leser hat aber auch gegenüber Susanne Blumberg einen kleinen Vorteil. Er kennt durch die wechselnden Perspektiven mehr Hintergründe als die Protagonistin und in der Theorie ist es immer leichter, einem Menschen aus der unmittelbaren Umgebung auszuweichen, auch wenn die innerlichen Alarmsirenen immer lauter zu heulen beginnen. Leichte Antworten gibt es vor allem angesichts der eher schwammigen Bedrohungslage und der bemühten, aber auch überforderten Polizei nicht.

Durch die Vielzahl der Kapitel und die wechselnden Perspektiven zeichnet sich „Vernetzt“ durch ein hohes Grundtempo aus.  Auch die anfängliche Zeichnung der plötzlich bekannt gewordenen Debütanten Susanne Blumberg inklusive ihres Lampenfiebers vor der ersten Lesung überzeugen. Im mittleren Abschnitt hat Marianne Labisch unabhängig von den wechselnden Perspektiven Probleme, den Plot am Laufen zu halten und vor allem wirklich überraschende neue Elemente einzuführen. Das Ende ist auf der einen Seite mechanisch und wirkt eher in Hinblick auf das Thrillergenre „routiniert“ als innovativ trotz einer Reihe von brutalen Szenen; auf der anderen Seite erfüllt der Aufbau und Ablauf alle klassischen Mechanismen dieses mehr und mehr populär werdenden Subgenres im Thrillerbereich.

Als Schnitzeljagd per se eignet sich Marianne Labischs Roman eher nicht. Es ist ja nicht die klassische Suche nach dem Täter, sondern die Autorin will wahrscheinlich wie Susanne Blumberg nur neugierig auf den weiteren Verlauf machen. Dazu hätte aber der Roman raffinierter strukturiert werden müssen und vielleicht ein paar mehr falsche, dann aber auch konsequent durchgezogene falsche Spuren gelegt werden müssen. Aktion und Reaktion überraschen zu wenig und in den Szenen, in denen die drei relevanten Protagonisten zusammen treffen,  deutet Marianne Labisch nicht mit dem Finger, sondern der ganzen Faust auf die einzige in Frage kommende Person hin. Es wäre dann konsequent gewesen, ein anderes, vielleicht deutlich dunkleres Ende zu wählen und zumindest abschließend die Leser einmal zu schockieren und sprachlos zurückzulassen.

„Vernetzt“ ist die Art von Thriller, bei welcher sich Leser angesichts der grundsätzlich „unangenehmen“ und brutalen Handlung zumindest Handlungsgerüsttechnisch an etwas Vertrautes halten wollen.  Die Art der ersten Publizierung ist originell und sollte neugierig machen, allerdings wird der Plot dieser geweckten Erwartungshaltung nur mit großen Einschränkungen gerecht.                     

 

Marianne Labisch
VERNETZT
Außer der Reihe 64
p.machinery, Winnert, 24. Dezember 2021, 260 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 265 2 – EUR 14,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 832 6 – EUR 4,99 (DE)

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