Als dritter Band der Herbert . Franke Werksausgabe erscheint mit „Der Orchideenkäfig“ trotz einiger Schwächen auf der charakterlichen Ebene wahrscheinlich der interessante Roman seines Frühwerks zum insgesamt siebten Mal. Die letzten Veröffentlichungen inklusive des E Books im Heyne Verlag basieren auf dem für den Suhrkamp Verlag überarbeiteten Text. Ursprünglich publizierte Herbert W. Franke seine Studie menschlichen und damit auch außerirdischen Verhaltens schon 1961.
Der Titel des Romans zeigt schon die Widersprüche auf, die sich durch die ganze Handlung ziehen. Eine Orchidee als Königin der Blumen möglicherweise in einem goldenen Käfig. Schön anzuschauen, aber niemals frei. So wird es bis zum in mehrfacher Hinsicht offenen Ende einer Reihe von Herbert W. Frankes Protagonisten in diesem Buch ergehen.
Die menschlichen Protagonisten könnten ja nach Moment entweder Jugendliche sein, die sich der Forschung widmen oder emotional unterentwickelte Amateurforscher. Die Menschheit hat in dieser fernen Zukunft die Möglichkeit, Astralprojektionen des eigenen Körpers zeitlos über unendliche Entfernungen auf ferne Planeten zu übertragen. Diese „Klone“ verfügen nicht nur über das Wissen der Originale, die auf der Erde zurückgebliebenen Menschen bestimmen ihre Handlungen. Die Idee der gelangweilten Gesellschaft ist es, auf fernen Planeten Aufgaben zu erfüllen und dabei Punkte zu sammeln. Es ist eine Art intellektuelles Spiel, der Sieger ist die Gruppe, die zuerst im Zentrum einer fremden Welt auf etwas Wichtiges, im besten Fall intelligentes fremdes Leben stößt.
Herbert W. Franke ist nie ein Autor gewesen, dessen Romane von dreidimensionalen Protagonisten und deren emotionalen Handlungen geprägt sind. Das ist auch in diesem Band der Fall. Die Protagonisten wirken eher stereotyp gezeichnet. Zwei Männer, dazwischen eine Frau, die mittels einer Art arrangierten Ehe mit einem der beiden verbunden ist. Dieser ist wie der Anführer der zweiten Gruppe ein unangenehmer, unsympathischer und egoistischer Bursche.
Der Roman ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Die ersten beiden Abschnitte sind Expeditionen in die fremde Stadt auf einem unbekannten namenlosen Planeten, wobei die Spannungen zwischen den beiden Gruppen wie auch die Herausforderungen immer größer werden. Der dritte Abschnitt ist eine Art moralische Aufarbeitung des Geschehens in Form eines Gerichtsprozesses, bei dem Franke auf der einen Seite im Grunde für Verteidigung und Anklage auf einer menschlichen Grundlage argumentieren muss, der Autor aber auf der anderen Seite ist die Form der evolutionären Entwicklung auf der fremden Welt wie auch der Erde gegenüberstellt. Am Ende muss der Leser erkennen, dass die Fremden zwar den Menschen immer noch einen kleinen Schritt voraus sind, aber sie sich in technischer Hinsicht im Grunde ergänzen. Die Menschen können mit der Teleportation etwas, was den Fremden verschlossen ist, aber von ihnen auch nicht angestrebt wird. Auf der anderen Seite bürgt die Jahrzehntausende alte Stadt ohne Frage weitere Geheimnisse. Im Epilog macht Herbert W. Franke aber deutlich, dass zivilisatorische Stand einer Bevölkerung nur bedingt eine Rolle spielt. Es ist der Weg, den sie zu gehen beabsichtigt, welcher ihre Zukunft bestimmt. Und da stecken die Fremden inzwischen in dem durch den Titel symbolisierten goldenen Käfig, während die Menschheit nicht weit davon entfernt ist. Es ist abschließend auch wieder ein Individuum, das den Ausbruch wagt. Ob er gelingt und vor allem ob er nachhaltig genug ist, beantwortet der Autor nicht.
Neben der emotionalen Ebene ist die Erkundung des Planeten die interessantere Abschnitt des Buches. Die beiden Gruppen kommen zwar mit einem gewissen Handwerk an, aber sie kennen nichts über die Stadt auf dem fremden Planeten.
Der äußere Ring besteht aus Bauwerken mit einer fremdartigen, aber modernen Technik. Die Stadt befindet sich unter einem Energieschirm, dessen Nutzen sehr pragmatisch ist. Je weitere die Menschen in den zwei angesprochenen Expeditionen in das Innere der Stadt vordringen, um so älter und vor allem auch technisch zurückgebliebener erscheint sie. Herbert W. Franke versucht das mit einem Brückenschlag bis hin in das fremdartige Mittelalter zu symbolisieren. Damit überspannt der Autor allerdings den Bogen der Glaubwürdigkeit. Auch wenn die von den Menschen gemachten Erklärungen bis zu einer bestimmten Grenze abschließend sogar bestätigt werden, erscheint es angesichts der vergangenen Zeit und vor allem der technisch sozialen Entwicklung der Fremden unwahrscheinlich, dass sie sich quasi in den zehntausenden von Jahren immer weiter nach außen gearbeitet und das Innere haben verfallen lassen. Wäre der Unterschied zwischen den einzelnen Ringen nicht derartig stark, könnte der Leser diese Vorgehensweise akzeptieren.
Im Zentrum selbst treffen die Expeditionsteilnehmer wieder auf moderne Technik und vor allem Zugänge nach unten unter die Planetenoberfläche. Auch hier agiert Franke um den moralischen Plot voranzutreiben ein wenig überambitioniert. Lagen draußen mittelalterliche, aber mit den auf der Erde zur damaligen Zeit gebräuchlichen Waffen vergleichbare Artefakte, finden die Teilnehmer quasi nebenan moderne Waffen, deren Vernichtungskraft erstaunlich ist.
Die Diskussion, wie man ein Ziel unbedingt erreichen kann, wirkt wie die Quadratur des Kreises. Immer wieder betonen die Protagonisten den Wettstreit der beiden Gruppen, um quasi den heiligen Gral dieser Stadt zu finden. Sich einen Zugang mit einer unbekannten Waffe quasi zu ersprengen, wirkt auf der einen Seite widersprüchlich, auf der anderen Seite passt es sich in das Konzept an, das die Menschen ja gar nicht körperlich anwesen sind. Sie haben ja nur Stellvertreter zu diesem Planeten gebeamt, die sterben können. Es scheint aber auch Ausnahmen zu geben. Eine gewisse Wechselwirkung zwischen den Originalen auf der Erde und ihren Stellvertretern zeigt sich, als die einzige Frau der Expedition in eine wirklich tödliche Gefahr gerät.
Während der Gerichtsverhandlung versucht Herbert W. Franke die einzelnen Punkte gegenüberzustellen. Wie weit darf die Forschung gehen, um Ergebnisse zu erzielen? Wie weit darf „man“ Forscher agieren lassen, obwohl es zumindest in der Theorie die Möglichkeit gab, sie rechtzeitig vor dem in diesem Fall unbewussten ermorden fremdartiger Intelligenzen zu stoppen? Wann handelt es sich noch um wirklich wissenschaftliche Forschung oder nur noch ein hoch entwickeltes Spielszenario, das aktiv die alltägliche Langeweile bekämpfen soll? Viele Argumente werden ausgetauscht, der Richterspruch ist dann pragmatisch. Die Fremden wissen, dass sie nur einen Pyrrhussieg erringen können und der Schaden nicht mehr gutzumachen ist. Auch hier stellt sich dem Leser die Frage, ob eine technisch hoch stehende Zivilisation wirklich derartig verantwortungslos sein kann, das sie durch Ignoranz und Degeneration die eigene Existenz gefährdet, obwohl sie auf der anderen Seite intelligente Wachmechanismen etabliert hat?
Der Autor will aufzeigen, dass das Überschreiten einer bestimmten technischen Grenze im Grunde hinsichtlich der weiteren menschlichen Entwicklung nur noch zu Degeneration und Isolation führen kann. Beide Zivilisationen sind diesen Weg gegangen. Beide Zivilisationen haben durch eine Abkehr von Gewalt und Missgunst militärischen Konflikten bis hin zur Selbstvernichtung abgeschworen. Entstanden sind autarke, sozialistisch wirkende soziale Verbände, in denen alle negativen Emotionen ausgeschlossen worden sind. Interessanterweise sind es ausgerechnet im ersten Abschnitt Herbert W. Frankes eindimensionale Protagonisten, die noch sehr verhalten diese Trieb gesteuerten Emotionen wieder zeigen und damit der Ansicht der Maschinenstadt widersprechen. Erst im Laufe der weiteren Handlung lässt der Autor diesen Aspekt zu Gunsten seiner moralischen Verurteilung im Grunde beide Zivilisationen fallen. Dabei haben beide Gruppen nur ein Ziel gehabt: eine glückliche zufriedene und vor allem friedlichen Zukunft. Aus sich selbst heraus eine Art Widerspruch.
Es sind viele Schichten, die sich unter der stringenten, abenteuerlichen, aber von den wie angesprochenen vielleicht auch absichtlich klischeehaft eindimensionalen Charakteren geprägten Handlung verbergen. Für einen Roman aus den sechziger Jahren erinnert „Der Orchideenkäfig“ viel mehr an frühe Romane Phillip K. Dicks als einige der anderen Antiutopien, die Franke zu dieser Zeit geschrieben hat. Dick ist allerdings ein Autor gewesen, der die soziale Paranoia vor allem durch seine zugänglichen Charaktere vor den Lesern ausgebreitet hat, während Franke in diesem Fall deutlich positiver die technischen Aspekte des Verfalls einer Gesellschaft immer wieder betont.
Trotz dieser Angriffspunkte ist „Der Orchideenkäfig“ ein immer noch lesenswerter Roman und die Werksedition macht deutlich, wie weit Herbert W. Franke zu Beginn der sechziger Jahren anderen deutschsprachigen Science Fiction Autoren voraus gewesen ist.
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 3
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 52
p.machinery, Murnau, Dezember 2015, 184 Seiten, Paperback
Softcover – ISBN 978 3 95765 052 8 – EUR 10,90 (DE)
Hardcover (limitierte Auflage) – ISBN 978 3 95765 053 5 – EUR 18,90 (DE)