Illas Ende

Jose Moselli

Detlef Eberwein präsentiert mit seiner Übersetzung aus dem Französischen einen seltenen Text eines inzwischen heute vergessenen phantastischen Abenteuerschriftstellers. Obwohl sich Jose Moselli Zeit seines Lebens in einer Reihe von Genres beginnend bei der Abenteuerliteratur über Krimis bis hin zu dunklen Utopien versucht hat, gilt er zu Lebzeiten als ein Schriftsteller ohne Buch. Keine seiner in verschiedenen Zeitungen und Pulpmagazinen veröffentlichten zahllosen Arbeiten ist in Buchform erschienen.

Der 1882 in Paris geborene Joseph Theophile Maurice Moselli läuft mit dreizehn Jahren von zu Hause weg und verdingt sich als Schiffsjunge. Langsam arbeitet er sich hoch. Detlef Eberwein vergleicht den Franzosen mit Joseph Conrad, der ebenfalls viel aus seinen persönlichen Erlebnissen auf See und den verschiedenen Kontinenten für seine Geschichten gezogen hat. Aber ein Vergleich liegt vielleicht noch näher. Auch Robert Kraft fuhr zuerst zur See, bevor er sich mit Kolportagebücher in Fließbandgeschwindigkeit geschrieben über Wasser gehalten hat. Viele phantastische Ideen dieses Buches könnten hinsichtlich ihrer technischen Details auch aus einem der unzähligen Robert Kraft Abenteuer stammen.

In den nächsten Jahren werden viele Geschichten aus Mosellis Feder vor allem in Frankreich, aber auch den USA in den Pulps oder Deutschland erscheinen. Wie Robert Kraft, der sich ja lange einen Verlag mit Karl May teilte, oder Jules Verne publizierte in Frankreich vor allem der von zwei deutschen Brüdern gegründete Verlag Offenstadt seine Arbeiten. „Illas Ende“ erschien 1925. Der französische Schriftsteller starb 1941 in Cannet,

Erst 1970 begann seine Wiederentdeckung in Frankreich mit der Publikation des hier vorliegenden Buches in einer Reihe von Meisterwerken der Science Fiction. Zwei weitere kürzere Texte begleiteten diese Neuveröffentlichung. Im Rahmen der Reihe BUNTES Abenteuer hat Detlef Eberwein diese Geschichten ebenfalls ins Deutsche übersetzt. Einer dieser drei Texte erlebte in der französischen Ausgabe seine Erstveröffentlichung. Vor Detlef Eberweins deutscher Übersetzung hat der britische Science Fiction Autor schon 2011 diese Geschichte aus dem französischen Original für eine von ihm herausgegebene Reihe von französischen Science Fiction Texten übersetzt.

 Wie bei zahlreichen Lost Voyages ist der eigentliche Hauptteil der Geschichte ein mühevoll aus einer geheimnisvollen Sprache übersetztes Manuskript, dem zahlreiche Formeln beigefügt worden sind. Gefunden hat diesen Text zusammen mit einer geheimnisvollen Kugel die Mannschaft eines bis dahin erfolglosen Walfängers, die plötzlich eine nicht in den Karten verzeichnete anscheinend künstliche Insel im Meer finden. Der Kapitän wird von einem gefundenen Gegenstand geblendet. In San Franzisko erreicht schließlich der Text einen Wissenschaftler, der sich an die Übersetzung macht. Den ersten Teil kann er noch abschicken, bevor die ganze Stadt durch eine geheimnisvollen Explosion der geheimnisvollen Kugel aus einem unbekannten Material zerstört. In der Gegenwart der Leser wird ein Erdbeben diese Aufgabe wenige Jahre später übernehmen. Der Leser wird diesen Gegenstand später im Roman als Nullstein definiert sehen, eine ultimative Waffe, welche in den Händen beider Nationen mit ein wenig Rationalität ein Gleichgewicht des Schreckens bedeutet hätte.

 Der vorliegende Text beschreibt eine technisch hoch stehende Kultur – der Stadtstaat Illa. Eigentlich steht an der Spitze ein Rat, angeführt von Rair. Die Menschen leben überdurchschnittlich lange. Die niedereren Arbeiten werden von Affenmenschen übernommen, die über eine rudimentäre Intelligenz verfügen. Hier stand vielleicht Dr. Moreau Pate.

 Die Menschen leben in einer isolierten Gemeinschaft, wahrscheinlich in Terrassenbauten. Diese Anlagen ziehen sich bis unter die Erde.  Rair entdeckt eine Formel, mit welcher die Elite noch älter werden kann. Grundlage sind nicht mehr tierischen Produkte und deren Blut, sondern Menschenblut. Da man nicht auf die eigenen Kinder zugreifen möchte, beschließt Rair, Nouria zu überfallen und von dort entsprechende junge Männer und Frauen jährlich zu erpressen.

Der Befehlshaber der Streitkräfte ist nicht unbedingt mit diesem Angriff einverstanden, zwischen den beiden Reichen herrscht ein brüchiger Frieden. Vor wenigen Jahren hat Nouria sogar Illa in der Not ausgeholfen.

Jose Moselli kann sich bei seiner Geschichte an der Antike orientiert haben. Wer den Rubikon überschreitet, wird ein großes Reich zerstörten. Am Ende sind es in diesem Roman wahrscheinlich sogar zwei.

Der geradlinige geschriebene Roman wird fast ausschließlich aus der Feder Xies erzählt, dem Oberbefehlshaber der Truppen Rairs. Dadurch muss der Autor in einigen Abschnitten den Leser und seinen Erzähler immer abholen und auf den neusten Stand bringen. Xie ist eine tragische Figur. Zuerst mit Einschränkungen ein Held, anschließend ein Verräter und Verbannter, immer getrieben von der Suche nach seiner entführten Tochter. Triumph und aus Sicht Rairs auch Tragödie wechseln sich bei Xie ab. Es ist erstaunlich, das der immer mehr in die Enge getriebene und stellenweise bis an die Grenze des Erträglichen gefolterte Mann in einigen entscheidenden Situationen noch den Durchblick und seine Entschlossenheit behalten kann. Auch wenn es literarisch unwahrscheinlich erscheint, wird Xie in seinen Handlungen wie ein klassischer Vorläufer Flash Gordons, nur ein wenig älter und mit grausigeren Situationen konfrontiert. Auch wenn die charakterliche Zeichnung der beiden Protagonisten vielleicht ein wenig konträr ist, gibt es in diesem kurzen Roman so viele Szenen, welche Raymond in seinen Comics wieder aufgenommen und für ein eher jugendliches Publikum entschärft hat, das es verblüffend erscheint.

Da wäre zum Einen die Technik. Bis auf die angesprochenen Affenmenschen aus H.G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“ orientiert sich der Franzose sehr stark an den Pulpgeschichten aus den Staaten. Ob er sich gekannt hat, muss ein Literaturwissenschaftler eruieren, aber mehr als zum Beispiel die blanke Technik eines H.G. Wells oder die von interessanten Erfindungen begleiteten Abenteuergeschichten eines Jules Vernes finden sich technische Exzesse in dieser Geschichte.

Dabei treffen moderne Waffentechnik auf archaische soziale Systeme. Sklaverei und die Unterdrückung von Affenmenschen entsprechen dem Zeitgeist des späten 19. Jahrhunderts. Die Übermenschen – vor allem des Stadtstaats Illa -  dominieren die Affenmenschen, sind aber auch teilweise auf sie angewiesen. Diese Unterdrückung wird sich rächen. Die angegriffene Nation Nouria wirkt eher wie ein afrikanischer Staat mit edlen jungen Menschen, aber auch einem Herrscher, der über eine exzellente Technik verfügt und nicht naiv ist.

Die eher heimliche Aufrüstung zwischen den beiden Nationen mit dem verzweifelten Versuch, ein Gleichgewichts der Kräfte zu erschaffen, wirkt wie eine vorweggenommene Geschichte der ersten Jahre des Dritten Reiches. Rair als Agressor, der sich weniger neue Lebensräume als sprichwörtlich Blut zur relativen Unsterblichkeit erpressen und erobern will. Er setzt auf moderne Waffen und eine schnelle Aggressionspolitik begleitet von den angesprochenen  Steinen,  dessen Explosionen an eine literarische Interpretation der Atombombe allerdings ohne langfristige Verstrahlung erinnern. Interessant sind in dieser Hinsicht unsichtbare Angriffsflugzeuge – es gibt natürlich eine Gegenstrategie, um sie nicht unbedingt sichtbar, aber zumindest erkennbar zu machen – oder der Schutzschirm, welcher Illa allerdings auch nur in der Theorie zu Anfang der Geschichte schützt. Er kann untergraben werden, später schützt er die Stadt nicht gegen abstürzende Flugzeuge.

 Auch wenn der erste Schlag erfolgreich ist, wissen sich die Nourianer zu wehren. Ihre Methode von unten und zusätzlich durch den Einsatz eines Gases, das die Menschen wahnsinnig macht, wird der Leser eins zu eins in einem der ersten Flash Gordon Abenteuer wieder finden. Man braucht nur Rair durch Ming, den Grausamen zu ersetzen.

Xie kann zwar den finalen Schlag gegen Illa aufschieben, aber abschließend nicht verhindern. Aber Xie leitet einen Pyrrhussieg ein. Er handelt grundsätzlich richtig und setzt auf die einzige verbliebene Waffe, aber durch die über der Stadt schwebende Angriffsflotte der Nourianer kommt es auch in Illa zu weitreichenden Zerstörungen.

Im zweiten Teil gerät der Konflikt ein wenig in den Hintergrund. Es geht vor allem um Xies Leiden. Gefangen genommen, als Verräter gebrandmarkt wird er gefoltert und kann nur dank des tollkühnen Einsatzes eines Freundes fliehen. Aber selbst in Nouria muss er erfahren, dass Verräter und Flüchtlinge auch mit wichtigem Wissen nicht gern gesehen werden.

Am Ende der Geschichte bringt Xie das Verderben über die eigene Familie, in dem er seinen potentiellen Schwiegersohn, dessen Arme in Säure zum Erzwingen eines Geständnisses aufgelöst worden sind, zurückschickt.

Jose Moselli verzichtet auf ein Happy End. Es geht ihm nicht nur darum aufzuzeigen, wie grenzenlose Macht in Kombination mit eitler Gier zu einer Katastrophe führt, sondern beweist, dass es nicht sinnvoll ist, opportunistischen Diktatoren Freiräume zu schenken. Der Rat des Stadtstaats zahlt dafür wie die meisten Bürger einen ultimativen Preis.

 Auch wenn sich die Handlung aus heutiger Sicht eine Reihe von Klischees streift und manchmal der Zufall den Protagonisten helfen muss, ist der technische Ideenreichtum der Geschichte erschreckend wie faszinierend zugleich. Vom an eine Atombombe erinnernden Stein über die unterirdischen Bohrmaschinen, das Giftgas; die modernen Ein-Mann-Flugzeuge mit ihren Bombenkränzen; die gigantischen unterirdischen Maschinen, die das Lebenselixier erst von Tieren und später von Menschen durch Illa pumpen, um den Menschen eine relative Unsterblichkeit zu schenken. Verschiedene Foltermethoden basierend nicht nur auf körperlicher Verstümmelung, sondern auch psychologischen Methoden bis schließlich zu den Affenmenschen, die als Harakiri Piloten genauso missbraucht werden wie sie die Maschinen bedienen. Wieder zum Tier geworden rächen sie sich zweimal an ihren Peinigern.

 Auch Illa mehr als Nouria wird als kulturell hoch stehende Stadt beschrieben, in welcher die Menschen an der Grenze zur Dekadenz ihre Tage genießen, während andere für sie schuften und schließlich frühzeitig in den Glutöfen der Unterwelt sterben. Dazu kommen die ebenfalls dem Niveau einer Fu Manchu“ Geschichte oder später den „Flash Gordon“ entsprechende Folterszenen. Nur wird nicht immer die Peitsche geschwungen, aber maschinelle Hypnose oder Todesstrahlen; grausam gestaltete Gefängniskäfige oder das Hinrichten von Gefangenen über mehrere Tage werden wie angesprochen in leicht abgemilderter Form auch von Raymond für einen Tageszeitungcomics erstaunlich offen benutzt.

 „Illas Ende“ ist ein Kuriosum. In vielen Punkten wirkt der Roman weniger wie eine klassische französische Geschichte, sondern eher eine Mischung aus Edgar Rice Burroughs und Robert Kraft in einer fernen Zukunft, in der Vergangenheit der Menschheit gelegen spielend. Die Charakter wie der Diktator Rair oder sein schleimiger Vertreter/ Spitzel Limm als Chef der Geheimpolizei wirken teilweise ein wenig zu eindimensional zu pragmatisch beschrieben, während der offenherzige, aber waidwunde Xie auf der immer verzweifelter werdenden Suche nach seiner Tochter teilweise zu sehr der natürlich leidende Überheld ist. Im Gegensatz den amerikanischen Geschichten wird er allerdings nicht triumphieren, sondern ebenfalls ein großes Reich zerstören (müssen).

Wie die englische von Brian M. Stableford übersetzte Ausgabe ist Detlef Eberweins deutsche Erstveröffentlichung nicht nur für Fans interessant, die sie für die Entwicklung der Science Fiction von den klassischen Pulps zum Golden Age interessieren, sondern es gibt einen Einblick in die frühe Science Fiction nach Jules Verne, über die heute im Grunde nichts bekannt ist.

Illas Ende: Der Untergang eines Stadtstaates

  • Herausgeber ‏ : ‎ BoD – Books on Demand; 1. Edition (29. Januar 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 126 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3752670185
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3752670189