Forever Magazine 85

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke verkündet in seinem Vorwort, das dieser Januar anders ist. Zumindest musste er nicht ins Krankenhaus und konnte sich auf die Arbeit konzentrieren. Das „Forever“ Magazine 85 besteht wieder auf einer Novelle, einer Novellette und einer Kurzgeschichte. Dieses Mal sind sie thematisch stärker miteinander verbunden.

Robert Reeds „The Ants of Flanders“ stammt aus der Sommerausgabe 2011 des „The Magazine of Fantasy & Science Fiction.” Der Titel ist eine Allegorie auf die in Flandern während des Ersten Weltkriegs ausgetragenen blutigen Kämpfe, in denen die Soldaten keine Rücksicht auf die Natur im Allgemeinen und die Ameisen im Besonderen genommen haben. Jetzt sind die Menschen auf der Erde im übertragenen Sinne die Ameisen. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann namens Bloch, der in seinem bisherigen Leben keine gefährliche Situation durchstehen musste. Dementsprechend kennt er auch keine wirklich Angst. Als ein außerirdisches Raumschiff in seiner Nähe abstürzt, ist er folgerichtig auch eher neugierig als bestürzt. Vielleicht etabliert Robert Reed seinen auf den ersten Blick durchschnittlichen Protagonisten von Beginn der Geschichte an zu sehr als eine Art Held. Einige Zweifel, mehr Emotionen hätten den dramaturgisch interessanten, aber genretechnisch auch fast antiquiert zu nennenden Plot besser unterstrichen. Auf der anderen Seite ist diese Furchtlosigkeit, dieses stoische Durchhaltevermögen auch unter der Opferung des eigenen Lebens zum Wohle der Gemeinschaft ein Attribut, das die Ameisen auszeichnet. Es ist vielleicht vermessen, in Bloch als Mitglied der Menschheit auch einen perfekten Arbeiter in einem gigantischen Ameisenstaat zu sehen, aber Robert Reed hätte mit solchen Exkursen vor allem der ersten Hälfte der Geschichte mehr Einzigartigkeit schenken können.  

Zwei außerirdische Rasse bekriegen sich und die Erde befindet sich wie die Schlachtfelder in Flandern inmitten der Kampfzone. Daher auch der im Titel angesprochene Vergleich.

Robert Reed erzählt seine Geschichte wie der Untertitel impliziert in genau fünf Kapiteln.   Der wie schon erwähnt furchtlos agierende Bloch steht im Mittelpunkt der Geschichte. Zwar wirken einzelne Bemühungen eines einzelnen von der Erde stammenden Jungen in einem intergalaktischen Krieg eine Wende oder zumindest einen für die Erde Segen bedeutenden Stillstand zu erringen fast schon konstruiert als vom Leser nachvollziehbar entwickelt, aber Robert Reed gehört zu den Autoren, die in der Wüste Sand verkaufen und den potentiellem Käufer sogar intellektuell befriedigen können. Nicht selten fallen die einzelnen konstruierten Szenen dem Leser erst deutlich später auf.

Das Tempo der Geschichte ist hoch. Von Beginn an geht es eher um die Handlungsentwicklung als den Aufbau eines vielschichtigen Hintergrunds. In seinen Kurzgeschichten, Novellen und wenigen Romanen um das „Great Ship“ geht Robert Reed einen anderen Weg und lässt wichtige Handlungsaspekte zu Gunsten des sich kontinuierlich nicht nur weiterentwickelnden, sondern auch vor allem sich verändernden Hintergrunds fallen.

Hier treibt der Autor den Plot voran. Bloch muss als Außenseiter nicht nur der Menschheit, sondern in diesem Konflikt entschlossen und wie seine Fähigkeit ist, auch ohne Angst agieren. Im Grunde kann er nur gewinnen und zusammen mit ihm das Überleben der Menschheit sichern. Auch wenn sich diese der Herausforderungen nicht einmal bewusst ist.

Das Ende der Geschichte ist zwar konsequent, basiert aber wie einzelne andere Abschnitte der Novelle auch auf einigen konstruierten Szenen. Im Gegensatz zu einigen weiteren Robert Reed Texten präsentiert „The Ants of Flanders“ einen überzeugenden Protagonisten mit einigen Schwächen, aber natürlich auch fast unglaubwürdigen Stärken.

Nicht umsonst ist die Novelle in die „Year´s Best“ Anthologien aufgenommen worden. Robert Reed ringt wie schon erwähnt einem altbekannten Thema neue Aspekte ab.

Auch in Dominic Greens „Butterfly Bomb“ steht ein Mensch gegen das Universum. Es droht zwar keine Invasion, aber in diesem Space Opera Plots nach empfundenen Universum lebt ein älterer Mann alleine auf einem fremden Planeten. Um seine Enkelin zu suchen, muss er sich als Sklave auf einem Raumfrachter verdingen. Die künstliche Intelligenzen agieren ausschließlich basierend auf Logik. Leistung muss eine Gegenleistung erfordern. Daher sehen sie im Gegensatz zum Leser diese moderne Sklaverei auch als Notwendigkeit und nicht aus Ausbeutung an. Wer sich nicht dem System anpassen möchte, hat Probleme. Hinzu kommt in einer eher wie ein Klischee erscheinenden Wendung, dass die künstlichen Intelligenzen über Waffen verfügen, mit denen sie Gesellschaften zerstören können, denen sie begegnen. Warum Dominic Green diesen Aspekt so überdurchschnittlich betont, erschließt sich dem Leser nicht wirklich. Jede technisch überlegene Rasse oder künstliche Intelligent wird auch in militärischer Hinsicht überlegen sein.

„Butterfly Bomb“ erschien ursprünglich im „Interzone“ Magazin und wurde ebenfalls in verschiedene „Year´s Best“ Anthologien aufgenommen. Manchmal sieht sich „Interzone“ nicht immer wirklich berechtigt als Nachfolger von Michael Moorcocks „New Worlds“. Experimentell, provokativ und schließlich auch eher auf Stimmungen denn Logik setzend. Dominic Greens Geschichte reiht sich nahtlos in diese Phalanx ein. Sie ist stilistisch gut geschrieben. Der Autor experimentiert mit der Sprache und versucht mit Umschreibungen quasi Markierungen zu setzen. Auf der anderen Seite nutzt er die Eckpfeiler des Genres zu inkonsequent und präsentiert aus seiner Sicht Interpretationen, die in dieser Form objektiv betrachtet nicht haltbar sind. Auch Robert Reed verformt in seiner Novelle die Grenzen des Genres und bemüht sich, aus bekannten Backzutaten etwas Neues zu erschaffen. Aber Robert Reed ist sich eher seiner Grenzen bewusst und Dominic Green versucht diese zu überschreiten, ohne abschließend wirklich etwas Neues, geschweige denn emotional Ansprechendes zu präsentieren.

„Amaryllis“  aus der Feder Carrie Vaughn ist vielleicht die beste Geschichte dieser Februar Forever Ausgabe. Nicht weil sie nachhaltig originell ist, sondern weil die Autorin die am meisten überzeugenden Charaktere erschaffen hat. Wie Dominic Greens Geschichte spielt die Handlung auf einem fremden, von Menschen besiedelten Planeten. Wie bei Robert Reed geht es um Kastendenken, um das Überwinden von Hemmnissen. Die Welt ist theoretisch ein Paradies, aber die Menschen haben sich entschlossen, der Not und der Versorgung folgend ihre Nachkommenschaft einzuschränken. Wer gegen den Willen der Gemeinschaft Kinder in die Welt setzt, wird quasi ausgestoßen. Carrie Vaugh zieht dabei einen sehr interessanten, aktuellen Vergleich zu den Fischquoten. Wer die Grenzen überschreitet, die Population der fürs Leben auf dem Planeten zu sehr reduziert und damit die Gemeinschaft gefährdet, wird bestraft. Die Protagonistin – eine Kapitänin eines dieser Schiffe – steht vor einem doppelten Problem. Zum einen muss sie sich mit einer Gesetzesüberschreitung hinsichtlich des eigenen Fans auseinandersetzen, zum anderen gibt es in ihrer Familie einen Konflikt. Am Ende löst Carrie Vaughn in dieser stimmungsvollen Geschichte keines der beiden Probleme wirklich auf. Der Leser ahnt, dass es generell in dieser statischen Gesellschaft schwer ist, Kompromisse zu finden. Die Autorin bietet keine Lösungen an. Das könnte einige der Leser enttäuschen, aber sie zeigt dank ihrer dreidimensionalen Protagonisten zumindest Wege auf, wie man einzelne Teile des gordischen Knoten nicht unbedingt durchschlagen, aber zumindest auflösen könnte.

„Forever Magazine“ 85 ist keine so starke Ausgabe wie die Auftaktausgabe des Jahres 2022. Aber im Gegensatz vor allem zu den Nachdrucknummern des Jahres 2021 greift Neil Clarke auf heute unbekanntere Texte zurück und verbindet in diesem Fall drei Begegnungen mit dem Außerirdischen zu einer zumindest thematisch zufriedenstellenden Nummer.       

 

ForeverMagazineIssue85

E Book, 112 Seiten

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