„Das Ewigkeitsprojekt“ ist der erste Science Fiction Roman aus der Feder der in der Nähe von Wien lebenden Autorin. Schon seit ihrer Kindheit ein Science Fiction Fan hat sie eine Reihe von Kurzgeschichten verfasst, Auszüge und ganze Texte finden sich auf ihrer Homepage. Aber bei ihrem Debüt folgte sie weniger Isaac Asimov oder Ray Bradbury, sondern folgt dem gegenwärtigen Trend der Science Fiction, besondere Welten nicht dort draußen, sondern eher innen zu erschaffen. Im Gegensatz allerdings zu vielen epochalen Werken konzentriert sich die Autorin auf wenige, dann möglichst dreidimensional gezeichnete Protagonisten, deren Verbindungen der Leser wie die Protagonistin sich erst im Laufe der Lektüre stellenweise förmlich erarbeiten müssen.
Ihr vorliegender Erstling ist ein sehr stringenter Roman. Der Plot beginnt mit der Desorientierung der Protagonisten stellvertretend für den Leser. Dr. Sarah Berger wacht seinem einem schönen Abend mit ihrem Mann inklusiv ein wenig Wein in ihrem Schlafzimmer auf. Es ist unnatürlich ruhig. Ihr Mann scheint gegangen zu sein, ohne den üblichen Kaffee zu zubereiten. Je wacher sie wird und um so mehr sie sich mit ihrer Umgebung beschäftigt, stellt sie fest, dass Hills View unnatürlich ruhig ist und es anscheinend Wetterschwankungen gibt. Aus ihrem Fenster strahlender Sonnenschein, auf den Straßen dichter Nebel. Sie schleppt sich ins Haus ihrer Freundin, das ebenfalls verlassen, aber penibel aufgeräumt ist. Eine blitzartig zuschlagende Katastrophe kann es nicht sein.
Das erste Viertel des Romans ist in mehrfacher Hinsicht faszinierend. Caroline Hofstätter verfügt über einen sehr angenehmen Stil. Da der Plot sich nur auf die subjektive Perspektive einer Protagonisten konzentriert, ist es schwer und gleichzeitig auch leicht den Leser bei der Stange zu halten. Die Autorin entfaltet quasi ihren Plot. Die Protagonisten ist genauso ahnungslos wie die Leser, kommentiert aber das Geschehen auf eine sympathische selbstironische Art und Weise.
Der nächste Schritt ist die Erkenntnis, dass sie sich anscheinend zu einem besonderen Arbeitsprogramm freiwillig gemeldet hat. Dazu wurde eine ideale, fast idealisierte Arbeitsatmosphäre erschaffen, in welcher sie isoliert von der Umwelt besondere Probleme lösen soll. Anscheinend ohne Wochenende und Feierabend.
Mit diesem nächsten Schritt führt die Autorin zum ersten mal eine Kommunikation zwischen der Protagonistin und zumindest einem Teil ihrer Umwelt ein. Wieder greift sie auf eine Reihe von lakonisch zynischen Bemerkungen zurück. Abschließend ist das Überziehen von Terminen oder eine Art Berichtsstreik die einzige Möglichkeit, mit den durch ein Computerprogramm kommunizierenden anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Dabei weiß Sarah Berger nicht einmal, ob hinter den maschinell übermittelten Antworten wirklich noch Menschen stehen.
Mit jedem Abschnitt des Romans bis weit ins letzte Drittel des Plots hinein erweitert die Autorin den Handlungsbogen konsequent und lange Zeit auch sehr interessant. Auf jede scheinbare Antwort wie das Auftauchen von Philomen gibt es mehr als eine Erklärung. Fokussierten sich die ersten Seiten auf einen sehr engen Zeit- und vor allem auch Ortabschnitt, wird nach und nach die Dimension breiter und Sarah Berger hat das Gefühl, als wäre das von der Abteilung für Zukunftssicherung in die Wege geleitete Programm außer Kontrolle geraten. Entweder das Programm oder die ganze restliche Erde außerhalb dieser Simulation.
Nach und nach führt die Autorin weitere Figuren ein. Neben einem Abbild ihres Mannes – symbolisch zuerst aus der Perspektive seiner persönlichen Hölle gezeichnet – auch den charismatischen Lennard oder besser Len.
Die Zeichnung der einzelnen Figuren ist nicht gänzlich zufrieden stellend. An einigen Stellen weicht die Autorin von ihrer realistischen Protagonistin mit ihren Alltagsproblemen – so schmeckt der Kaffee in der Simulation besser als in der Realität – ab und überzeichnet ihre jeweiligen „Partner“ bzw. Manipulatoren. Insbesondere Len ragt aus dieser Masse deutlich heraus, während der fast devot agierende Philomen ihr anscheinend die beklemmende Realität zu vermitteln sucht.
Die Abschnitte mit Len sind auf der einen Seite ohne Frage auch interessant, aber sie packen den Leser nicht mehr so sehr wie der mysteriöse Auftakt, wo Sarah Berger ihre Orientierung verloren hatte. Mit jedem Schritt, den die Autorin die Simulation oder besser vielleicht auch die verschiedenen Simulationen zu erweitern sucht, wirkt die Grundidee vertrauter und weniger nachhaltig.
Am Ende greift Caroline Hofstätter dann auf die einzige gangbare Möglichkeit, aber auch eine Szene zurück, die inzwischen vor allem auch zu einem cineastischen Klischee geworden ist. Es ist eine direkte Konfrontation zwischen der Heldin und dem einzigen in Frage kommenden Antagonistin. Aber die Auflösung dieser Szene bedarf auch hinsichtlich des Schurken ein wenig zu sehr arroganten Übermut, damit sie wirklich funktioniert. Die beendet auch den beginnend mit dem Erwachen in ihrem Haus in Hills View aufgebauten langsamen, sehr sorgfältig aufgebauten Handlungsaufbau.
Natürlich muss Caroline Hofstätter dieser Szene noch eine Art Epilog hinzufügen, um die verschiedenen Flanken zumindest vorläufig zu schließen. Aber zusammen mit dem Finale wirkt das Ende erstaunlich abrupt und obwohl in sich logisch auch stark konstruiert und nicht natürlich aus sich selbst heraus entwickelt. Es ist nicht leicht, derartige Simulationsgeschichten wirklich bis zum Ende konsequent zu entwickeln, ohne sich zumindest in verschiedenen Klischees zu fangen. Sarah Bergers Mission ist dabei das wahrscheinlich originellste Element und gleichzeitig auf eine interessante Art und Weise auch unangenehm aktuell.
„Das Ewigkeitsprojekt“ ist ein guter Erstlingsroman. Caroline Hofstätter ist eine Autorin, die im Grunde sehr natürlich erzählen kann. Ihre Beschreibungen sind detailliert, was vor allem zu Beginn der Geschichte wegen des lange Zeit realistisch gehaltenen Hintergrunds wichtig ist. Ihre Monologe, aber auch die Dialoge sind erstaunlich „frech“, lebendig und vor allem jederzeit nachvollziehbar geschrieben. Dabei überzeugen die Szenen, in denen Sarah Berger quasi ihren Soloauftritt hat noch mehr als die mehrdeutigen Gespräche mit dem neugierigen Len oder die wenigen intimeren Momente mit ihrem Mann Nicolai.
Der Leser möchte ihr gerne durch diese Welten folgen. Dabei wird Sarah Berger vor allem von ihrer Entschlossenheit begleitet, dem Ewigkeitsprojekt wirklich zu folgen und schließlich unter inzwischen gänzlich veränderten Voraussetzungen der Menschheit ein besonderes, zum Überleben notwendiges „Geschenk“ zu machen. Daher verhält sie sich in dem Projekt bedingt festgelegten Rahmen absolut nachvollziehbar und ihre Entschlossenheit im Gegensatz zum zu sehr selbst verliebten und narzisstischen Len wird immer überzeugend beschrieben.
Am Ende versucht die Autorin vielleicht einen Hauch zu viel in ihre Idee, aber auch ihre Simulation zu legen und kann sich wie schon erwähnt eher mit einer klischeehaften Szene retten. Aber bis dahin liest sich der Roman ausgesprochen kurzweilig und reiht sich in die kleine Reihe von medizinisch wissenschaftlich fundierten Science Fiction Thrillern, die der Atlantisverlag in den letzten Jahren publiziert hat.
Buch | Softcover
2019
Atlantis Verlag
978-3-86402-676-8