Die Wiege der Zukunft

Arthur C. Clarke & Gentry Lee

Im Original “Cradle” genannt ist “Die Wiege der Zukunft” die erste von einer ganzen Phalanx von Kooperation, die Arthur C. Clarke mit den Jahren eingegangen ist. Stephen Baxter oder Frederik Pohl sind die bekanntesten Namen. Am Anfang stand aber mit Gentry Lee ein als Autor gänzlich unbeschriebenes Blatt. Zwischen 1978 und 1981 entwickelte Gentry Lee mit Carl Sagen die populäre Fernsehsendung “Cosmos”, ein Jahr früher begann er seine arbeit beim Jet Propulsion Laboratory, wo er als leitender Ingenieur sowohl das Galileo Projekt als auch die Missionen der Viking sonden begleitete.  

Seit 1988 arbeitet er als freier Schriftsteller.  “Die Wiege der Zukunft” aus dem Jahr 1989 ist die erste gemeinschaftlich veröffentlichte Arbeit. Es folgten drei direkte Fortsetzungen zu “Rendezvous with Rama”, sowie zwei einzelne von Gentry Lee allein geschriebene, aber in diesem  Universum spielende Arbeiten. 1999 veröffentlichte der Amerikaner noch die nicht übersetzten Roman “Double Moon Night” und ein Jahr später “The Transquility Wars”. 

Arthur C. Clarke ist immer ein Autor des kurzen, komprimierten Wortes gewesen. Selbst seine Epen umfassen nur selten mehr als zweihundert Seiten. Dabei legt der in Sri Lanka lebende Brite neben seiner Liebe zum Meer und dem Tauchen auch immer mehr Wert auf stringente Handlungsbögen nicht selten zu Lasten seiner Protagonisten. Emotionale Ausbrüche oder kitschige Rückblicke nicht selten auf das eigene bisherigen Leben aus einer subjektiven Perspektive sind Arthur C. Clarke generell fremd. “Die Wiege der Zukunft” geht mit über vierhundert Seiten - ein Markenzeichen der Clarke Kooperation vor allem mit Gentry Lee, aber auch Kube- McDoweel sowie später Stephen Baxter - über einen durchschnittlichen Clarke Roman hinaus und der eigentliche Plot wird erstaunlich nebensächlich abgehandelt. 

Im Mittelpunkt stehen eine Reihe von vom Leben gezeichneten sehr unterschiedlichen Charakteren.  Ihre individuellen Rückblicke erscheinen abschließend derartig gedehnt, dass man eher an die Romanzen des 18. und 19. Jahrhunderts denkt. Es ist vielleicht kein Zufall, dass einer der Charaktere Nick Williams auf Klassiker steht. 

1994 testet die US Navy eine neue Rakete. Kurz nach dem Abschuss verschwindet sie. Gleichzeitig fällt der Journalistin Carol Dawson - sie hat sich aus einfachen Verhältnissen mit Willenskraft nach oben gekämpft, auch wenn ihr langjähriger Freund ihren Erfolg nicht wirklich akzeptiert - das seltsame Verhalten von Walen vor der Küste Floridas auf.   Sie will der Sache auf den Grund gehen. Zumindest stellt ihr Freund Dale Michaels als Forscher am Miami Oceanograhic Institute das entsprechende Equipment zur Verfügung, um eine mögliche Verbindung zwischen der verschwundenen Rakete und dem Verhalten der Wale zu untersuchen. 

Carol Dawson mietet inklusive Crew  das kleine Boot von Nick Williams und Jefferson Troy. Nick Williams ist ein vom Leben gebrannter Mann. Vor Jahren hat er sich in die falsche, ältere verheiratete Frau verliebt. Seitdem hat er Angst, seine Gefühle zu zeigen. Jefferson Troy ist ein lebenslustiger Farbiger, welcher einer guten Freundin geholfen hat, im Musikbusiness durchzustarten. Zumindest auf seiner Seite haben sich Hemmungen aufgebaut, auch wenn Troy selbst ein interessantes Computerspiel - Farbige und Weiße haben zum Beispiel unterschiedliche Pro- und Antagonisten im Spiel - zur Marktreife entwickelt hat. 

Auf militärischer Seite kommt mit dem Offizier Winters noch eine weitere gequälte Kreatur hinzu. In einer streng religiösen Familie aufgewachsen, die Offizierslaufbahn als Lebensziel hat er bei einem Angriff auf Gaddafis Palast nur dessen kleine Tochter getötet. Von Schuldgefühlen geplagt agiert er als Laienschauspieler in Tennessee Williams Stücken und beginnt daneben Gefühle für ein junges Mädchen aus bestem Hause zu entwickeln, mit welcher er auf der Bühne steht. 

Abgerundet wird diese Konstellation gebrochener Charakter durch ehemalige Geschäftspartner Nick Williams und Jefferson Troy. Vor Jahren haben sie einen Millionenschatz aus dem Meer gehoben und sind mit wenig abgespeist worden. Jetzt wittern die ehemaligen Geschäftspartner wieder reiche Beute. 

Die Rückblicke, Dialoge wie innere Monologe nehmen einen sehr breiten Raum im Roman ein. Immer wieder wird der rote Handlungsfaden förmlich unterbrochen und das Innenleben der Pro- wie Antagonisten ausführlich analysiert. Hätte Arthur C. Clarke den Roman alleine geschrieben, wäre der Plot zu einer Art Stillleben verkommen. Für einen Erstling hat Gentry Lee in dieser Hinsicht einen ausgesprochen positiven Einfluss auf Arthur C. Clarke und kann die kleinen zwischenmenschlichen Beziehungskatastrophen seiner Figuren zumindest adäquat und nachvollziehbar beschreiben. Auch wenn der Leser derartige Geschichten im Überfluss vor allem in romantischen Schwarten bislang goutieren konnte.   

James Cameron hat mit seiner Produktion “The Abyss” einen neuen, anderen Boom im Science Fiction Genre ausgelöst. Auch wenn der Roman anscheinend zeitgleich geschrieben worden ist, warf das Unterwasser Epos inklusiv der Begegnung mit einer unbekannten Lebensform einen weiten Schatten. Insgesamt drei weitere teilweise hoch budgetierte Produktionen standen in Hollywood an. Michael Crichtons “Sphere” spielte ebenfalls unter Wasser und teilweise ebenfalls in einem fremden Raumschiff. 

Aber Arthur C. Clarkes theoretischer Schatten reicht sehr viel weiter.  Schon in der Kurzgeschichte “The Sentinal” - aus welcher “2001” entstanden ist - oder der beschleunigten, aber nicht originären Evolution innerhalb von Rama hat sich Clarke mit Schöpfungsprozessen beschäftigt. Auch “Die Wiege der Zukunft” - der deutsche Titel ist deutlich vielschichtiger als nur der englische Originaltitel “Cradle” -  setzt sich über Äonen mit der Idee der Schöpfung auseinander. 

Dazu haben Clarke und Lee eine Art Parallelhandlung entwickelt, mit welcher sie den auf der Erde spielenden Ereignissen deutlich voraus greifen. Der Überlebenskampf einer Art Schlangenzivilisation auf dem Planeten Canthor im Konflikt mit einer neuen Art von Bedrohung kann erst am Ende richtig eingeordnet werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die vor allem die Idee extrapolierten, das die Menschen eben nicht auf der Erde entstanden, sondern vielleicht auch “künstlichen Ursprungs” sind, geht es Clarke und Lee nicht um die klassische Wiege, die Geburt, sondern um eine Art Katalysator hinsichtlich der evolutionären Entwicklung. Mit dem Risiko, das “Mensch” per se zu existieren aufhören könnte. Eine Schreckensvision, welche die drei Protagonisten erst den offensichtlich robotisierten Helfern der nicht namentlos erwähnten Überzivilisation vermitteln müssen. 

Auch wenn die Idee grundsätzlich faszinierend ist, wirkt sie sehr oberflächlich ausgestaltet. Am Ende muss sich der Leser fragen, ob diese Maschinenwesen wirklich in der Lage sind, neue Zivilisation zu säen. Dazu benötigen sie ungefähr 80 Pfund Gold. Anscheinend sind sie lange Zeit nicht in der Lage, den Rohstoff zu finden. Wie gut, dass Troy und Nick Williams ja vor Jahren einen Schatz gefunden haben. An Bord eines versunkenen Schiffes. Auch wenn ihre Partner sie um den größten Teil der Beute betrogen haben, ahnen die Männer, wo sich das Zeug befinden könnte. Aufgrund der Fremden werden sie sogar aktiv, während sie sich lange vor einer Art Rückholaktion gefürchtet haben. 

So weiß der als einer der Oberkommandanten der Militärbasis in Miami und emotional strauchelnde Winters im richtigen Moment, was er tun muss. Dabei wirkt die Schreckvision einer Art Karotte eher marginal. In seinem Glauben an Gott und damit natürlich auch den Schöpfungsprozess seit dem Angriff auf Libyen erschüttert, ist er ein Mann, der an das Gute glaubt und damit im Grunde den Eid gegenüber den USA verletzt. 

Ohne diese inhaltlichen Kompromisse könnte die grundlegende Handlung des Buches nicht funktionieren. Hinzu kommt, dass mit einigen Wendungen und Mechanismen am Ende nicht nur der Plot fast schon auf einer an “Cocoon” erinnernde Art und Weise hektisch abgeschlossen wird, sondern die Protagonisten sich ausreichend an ihren individuellen inneren Wunden gelabt haben. Sie sind bereit, den nächsten Schritt zu gehen und eigenständig Beziehungen aufzuheben, nachdem sie eine übergeordnete Verantwortung für die Menschheit durch die Saat der Fremden abgelehnt haben.     

Jahre später wird Clarke die Idee des Einfluss einer Superzivilisation auf die Menschheit im vierten und letzten Band seiner “2001” Tetralogie relativieren und durchaus in den Raum stellen, dass die Menschheit auf dem Weg nicht nur zu den Sternen, sondern vor allem zu gegenseitigem Respekt und einem friedlichen Miteinander Druck von außen braucht. Von einer “Macht”, welche unerreichbar und damit auch unbesiegbar ist. Die aber allgegenwärtig ist und entschlossen erscheint, soziale Fehlentwicklungen inzwischen aktiv zu korrigieren. In “Die Wiege der Zukunft” - wahrscheinlich wäre sogar “Die Wiege einer Zukunft” der bessere Titel - schenkt Clarke zusammen mit seinem schriftstellerischen Partner Gentry Lee der Menschheit noch Vertrauen und lässt beginnend auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Schmelztiegelgruppe Dawson/ Williams/Troy und mit einigen Abstrichen Winters der Menschheit die Chance, selbst die eigenen Schwächen zu überwinden und eine friedliche, vor allem aber eigenbestimmte Zukunft anzustreben. 

Dieses Fazit macht den Reiz des teilweise emotional ausgesprochen klischeehaft geschriebenen Romans aus. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, das die Figuren eindimensional oder langweilig sind. Sie sind vor einem der schönsten Plätze der Welt voller Leben mit allen Ecken und Kanten; getriebene aus den verschiedensten Motiven, aber die Masse der beschriebenen Szenen treibt diesen Teil des Handlungsbogens immer wieder an die grenze zum lebendig gewordenen Klischee. Dagegen bleibt ausgesprochen wenig Raum für die Science Fiction Ideen, die teilweise erstaunlich holprig - die Lieferung des notwendigen Goldes; der Abflug der Fremden ohne die Erfüllung der anscheinend seit Äonen immer wieder durchgeführten Mission auf unzähligen Planeten - vor allem für einen Routinier wie Arthur C. Clarke präsentiert werden. 

Im Gesamtwerk Clarkes ist “Die Wiege der Zukunft” buchstäblich ein Kuriosum. Aber der Roman leitet den Übergang in die Phase der Kooperation des Briten ein, nur noch zwei alleinstehende Romane und die Fortsetzungen zu “2001” sollten direkt aus der Feder Arthur C. Clarkes folgen.    

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne (1. Januar 1989)
  • Umfang: 420 Seiten
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453033124
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453033122