Neben einer Reihe von Debütanten präsentiert Sheree Renee Williams in der Herbst 2021 Ausgabe von “ The Magazine of Fantasy & Science Fiction” aus einige Stammautoren mit ihren länger laufenden Serien. Das gibt dieser Herbstausgabe ein wenig Vertrautes. in ihren ersten Nummern hat die neue Chefredakteurin sehr stark experimentiert. Charles de Lint und Michelle West, sowie die Filmrezensionen zweier animierter Fernsehserien, die Kolumne von Paul Di Fillipo sowie der wissenschaftliche Exkurs haben bislang eher den vertrauten Rahmen gebildet, während die Inhalte der Geschichte von exzentrisch bis zu stark experimentell reichten.
Wieder ist das zugrundeliegende Themenspektrum breit. Lincoln Michel eröffnet die Ausgabe mit “The Haunted Hills Community and Country Club” um eine Maklerin, die in einem besonderen Vorort billige Häuser verkauft. Dabei handelt es sich um Haunted Houses, die in diesen Vorort versetzt worden und jetzt billig zu haben sind. Natürlich sind die Geisterphänomene mitgezogen. Auch wenn die Geschichte immer wieder wie eine Farce erscheint, hat Lincoln Michel den wirtschaftlich ernsten Hintergrund seines Plots gut entwickelt. Auch WE. A. Bourland nutzt in “To The Honorable and Esteemed Monsters under my Bed” eine alte Genreidee - Kinder fürchten sich vor den realen oder eingebildeten Monstren unter ihrem Bett -, um sie neu zu erzählen. Die Kommunikation zwischen dem Jungen und den Monstren erfolgt per EMail. Beide Seiten verhandeln hart, aber respektvoll, bis ein interessanter Kompromiss ausgehandelt worden ist.
In den Bereich des Horrors fällt auch noch Octavia Cades Variation von Hansel und Gretel. “Seedling” ist ok, aber das Thema ist nicht mehr neu und vor allem die Pointe nicht so kraftvoll wie bei einigen anderen Geschichten dieser Ausgabe.
Science Fiction nimmt einen stärkeren Platz in dieser Ausgabe ein. Auch wenn es nicht die Titelgeschichte ist, überzeugt Brian Trents Alternativweltstory “The Scorpion and the Syrinx” am meisten. Die Römer haben Nordamerika entdeckt und erobert. Es kommt zu Konflikten mit den Azteken, die vom Süden vorgestoßen sind. In dieser Geschichte stehen sich die beiden feindlichen Truppen an einem Fluss gegenüber. Magie spielt eine wichtige Rolle und sie ist in dieser Welt real. Die Geschichte wird ausschließlich aus römischer Perspektive erzählt, aber die magischen Waffen sind erstaunlich bodenständig und basieren eher auf Aberglauben denn wirkliche Macht. Brian Trent entwickelt eine Reihe von intensiven sprachlichen Bildern wie die besondere Art der Brücke. Die Auflösung des Konflikt ist nachvollziehbar, auch wenn der Autor das umfangreichere Szenario nicht ins Wanken bringt.
Der Titel ist quasi Programm bei “Ice Fishing on Europa” von Erin Barbeau. Ein sozialer Außenseiter arbeitet auf dem Mond Europa und stößt nach einer ökologischen Katastrophe als Einziger auf eine außerirdische Lebensart, die in ihrer Kultur ebenfalls ein Außenseiter ist. Auch wenn die Charaktere überzeugend gezeichnet worden sind, springt der Funke nur bedingt über, da Erin Barbeau zu viele Klischees des Genres verwendet.
Der Titel von Carl Taylors “Split ther Baby” hört sich martialischer an als die eigentliche Geschichte. Ein Paar lässt sich scheiden, beide wollen das Sorgerechte für den Sohn. Also kommen sie auf eine moderne, digitale Lösung, wo beide eine Art Zugriffsrecht auf das Kind haben, bis sich der Junge zu wehren beginnt. Die Pointe ist der interessanteste Aspekt dieser Geschichte und zeigt auf, wie egoistisch um ihrer Selbst willen sich Erwachsene verhalten können.
Matthew Hughes “The Forlorn” spielt in dem bekannten Universum seiner beiden langlaufenden Serie und ist trotzdem unabhängig, voll neuer Figuren. Der Discriminator muss eine verschwundene Frau suchen. Dabei handelt es sich um die Schülerin eines Magiers, was wie auch dieses Mal immer Ärger bedeutet. Die Suche ist nur bedingt interessant, Matthew Hughes greift auf zu viele Versatzstücke aus seinen bisherigen Geschichten zurück und erweitert das Universum zu wenig. Die Pointe ist zufriedenstellend, wenn auch nicht unbedingt originell.
Die letzten drei nicht in chronologischen Reihenfolge rezensierten Geschichten gehören in den Bereich des New Weird, der immer mehr Raum in “The Magazine of Fantasy & Science Fiction” nimmt.
“The Abomination” von Nazu Onoh handelt von einem Baby, das mit männlichen und weiblichen Sexualorganen geboren worden ist. Er/sie soll ermordet werden, aber wird von einer jungen Mutter gerettet, die nicht nur ihren Mann, sondern auch alle ihre Kinder an die Pest verloren hat. Das Baby ist von Beginn an ein Außenseiter und wird von den anderen Kindern gequält. Als es aufgewachsen ist, will es sich rächen. Die Geschichte gibt einen durchaus kritischen Einblick in die afrikanischen Stammeskulturen und setzt sich mit der Kurzsichtigkeit der Masse auseinander. Aber es bleiben auch einige Fragen offen. So lebt das gerettete Kind doch quasi unter den Augen der Öffentlichkeit, obwohl sein Leben gleich nach der Geburt bedroht gewesen ist. Es ist erstaunlich, dass die einzige Gewalt dann von anderen Kindern kommt und nicht mehr den abergläubischen Erwachsenen. Aber die Protagonisten sind gut gezeichnet und der Hintergrund der Geschichte ist überzeugend. Das Ende erscheint eher pragmatisch, rundet aber diese sperrige, teilweise unangenehm direkte Story sehr zufriedenstellend ab.
Kaum phantastische Element enthält Lora Grays “And in Rain, Blank Pages” . Ein Mann flieht einer ihm gegenüber gewalttätigen Beziehung und trifft auf eine charismatische, ungewöhnliche Persönlichkeit, die ihn bei sich aufnimmt. Wie der Titel impliziert, kommt der Mann vom Regen in die Traufe. Lora Gray beschreibt in dieser sehr kurzen Story, das auch Männer unter Gewalt leiden können und findet eine solide, aber auch nicht unbedingt gänzlich überzeugende Auflösung.
Amal Singhs “Her Dragon” beschreibt eine junge Frau, die sich anschickt, den im übertragenen Sinne Stab von ihrer Großmutter zu übernehmen. Nach dem Tod der Großmutter sucht sie aber auf einer Reise von Art Selbstfindung. Der Drache ist eher eine Art Macguffin. Die Charaktere sind solide gezeichnet, allerdings wirkt der Hintergrund der Geschichte zu spärlich entwickelt, um wirklich überzeugen zu können.
Zusammengefasst ist “The Magazine of Fantasy & Science Fiction” September/ October 2021 eine eher solide Ausgabe mit wenigen wirklich guten Geschichten. Sheree Renee Thomas ist immer noch dabei, die richtige Balance aus neuen originellen Stimmen und den Stammautoren zu finden.