Alien Love

Corinna Griesbach

Nach „Das Prinzip der Mittelmäßigkeit“ aus dem Jahr 2018 erscheint mit „Alien Love“ eine Sammlung von Kurzgeschichten und Miniaturen im Verlag p.maschinery. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit gibt die in Marbella, Spanien geborene Corinna Griesbach auch das literarische Magazin HALLER im gleichen Verlag heraus. Dazu kommen einige interessante Themenanthologien, in denen nicht immer das Wort die begleitenden kraftvollen Bilder ersetzen kann. 

 

Die Titelgeschichte „Alien Love“ handelt im Grunde von den alltäglichen Dramen um Sex, Eifersucht, Abtreibung und schließlich auch eine neue Liebe, welche den Status Quo erschüttert. In Form einer Gerichtsverhandlung erweitert um eine verführerisch attraktive außerirdische Rasse, welche auf der Erde lebt, wird daraus ein kompaktes Science Fiction Drama, an dessen Ende zumindest das Motiv bekannt ist.

 

„Am Anfang war der Dampf“ ist eine von mehreren sehr unterschiedlichen Steampunk Geschichten. Die Ausgangsbasis scheint den Rahmen einer  Kurzgeschichte sprengen zu wollen. Es ist der potentielle Konflikt zwischen den seelenlosen, versklavten Maschinen und der katholischen Kirche, die versucht, ihren Einfluss zu erweitern. Auf der einen Seite die Ignoranz gegenüber dem vielleicht unmenschlichen Fortschritt, auf der anderen Seite die Suche nach neuen Gläubigen. Im Mittelpunkt steht auch die Wahl eines neuen Pabst, nachdem der mehr als dreißig Jahre Gott dienende Pabst unter mysteriösen Umständen verstorben ist. Das Ende ist zynisch und pragmatisch zu gleich. Viele kleine Ideen könnten in einem längeren Texte noch besser ausgebaut werden, aber wie auch bei den Miniaturen sind es vor allem die bizarren Szenarien, welche die Aufmerksamkeit der Leser auf sich ziehen.

 

Auch klassische, vielleicht schon klischeehafte Themen wie der bevorstehende Weltuntergang betrachtet die Autorin aus einer anderen Perspektive. Dazu passt der einfache Titel „Das Ende der Welt“. Durch Sonneneruptionen wird in naher Zukunft das Leben auf der Erde ausgelöscht. Die Technik funktioniert immer weniger. Eine Handvoll von ehemaligen Freunden, die in ihrer Jugend einen Kurzfilm in einem Schwimmbad gedreht haben, treffen sich in Tokio wieder. Es gibt keine Flüge mehr. Sie wohnen in einem nach außen isolierten Hotel. Erinnerungen treffen auf die bittere Gegenwart. Am Ende muss das Los entscheiden, wer an Bord eine der letzten abfliegenden Maschinen darf. Die extreme Perspektive verzerrt vielleicht auch die Erinnerungen. Der damals mit primitiven Mitteln gedrehte Horrorfilm spiegelt die Gegenwart nicht wieder. Der Text wirkt mosaikartig zusammengesetzt, Gegenwart und Vergangenheit gehen mehr und mehr ineinander über. Informationen dringen vor allem als Gerüchte nach außen. Melancholie und Schwermut machen sich breit. Fatalistisch harrt der Leser schließlich an der Seite der Zurückgebliebenen aus, wobei der finale Moment zumindest in dieser Kurzgeschichte noch bevorsteht.

„Emergency Alert“ kommt ohne phantastische Elemente aus. Allgemeiner Raketenalarm wird ausgelöst, es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis Deutschland in einem atomaren Inferno verglüht. Eine kleine Gruppe von Nachbarn findet sich im Keller wieder. Kleinere Konflikte flammen auf, am Ende ist das Szenario aber nicht so dunkel wie in „Das Ende der Welt“.

 

Pflanzen spielen auf sehr unterschiedliche Art und Weise in den beiden folgenden Kurzgeschichten eine wichtige Rolle. „Im Kelch“ spielt auf einem anderen Planeten, wo sich die Forscher/ Siedler über mindestens eine Generation zu akklimatisieren suchen. Allerdings ist die Natur schneller und die nächste Generation wird nicht mehr nur menschlich sein. „Die Schönheit der Silene Stenophylla“ ist mehr als eine Liebesgeschichte. Ein alternder Professor und seine Frau wollen in ihr neues Haus umziehen. Ein perfektes Low-Energy-Haus. Allerdings erhält der Professor die Nachricht von einem Cryoinstitut und damit öffnet sich nicht nur für ihn, sondern auch seine Frau die Falltür in die Vergangenheit. Die abschließende Wendung kommt ein wenig zu überraschend. Weniger für die Leser, als die agierenden Protagonisten. Immerhin sind die meisten Fakten schon seit mehr als dreißig Jahren bekannt. Es sind die Details, auf welche es ankommt. Die Protagonisten sind allerdings sehr dreidimensional gezeichnet und ein Mann zwischen zwei im übertragenen Sinne Stühle wird nicht neu erfunden, aber zumindest interessant erzählt.  

 

In „Yosemite“ geht es um die zynische Vermarktung von erst Wasser, später Luft. Die Menschheit hat ihre natürlichen Resourcen aufgebraucht und warum sollen diese beiden Rohstoffe umsonst sein? Aus der Perspektive der Konzernzentrale beschreibt die Autorin eine interessante Marketingkampagne. 

 

Die am meisten exzentrische und deswegen vielleicht auch überzeugende Geschichte/ Satire/ Persiflage ist „Simons letzte Losung“. Simon ist Alkoholiker, lebt alleine, war früher Förster und arbeitet jetzt als eine Art Naturreiseleiter für Kinder. Leider braucht die Regierung diesen anscheinend letzten Förster, um ein seltsames Phänomen zu untersuchen, das die Stadt Köln unter sich begraben hat. Scheiße aus dem All. Mit einem ernsthaften Unterton das Szenario ins Groteske steigernd erzählt Corinna Griesbach diese unglaubliche Geschichte. Sie lässt sie augenzwinkernd mit einer Art Cliffhanger enden, als die Protagonisten nach einigen Jahren die neue Erde betreten. Pointierte Dialoge, die vor allem angesichts der absurden Prämisse funktionieren und einige interessante Beschreibungen des unter Beschuss liegenden Ruhrgebiets machen „Simons letzte Losung“ zur ungewöhnlichsten Geschichte dieser Kurzgeschichtensammlung.

 

Neben den Kurzgeschichten finden sich eine Reihe von Miniaturen in der Sammlung. „Aus blauem Glas“ ist ein modernes Märchen um eine Frau, die sich aus erst am Ende offenbarten Gründen nach Mädchen sehnt. Als eines der Mädchen zu Besuch kommt, zeigt sie ihm eine besondere Art der Glasbläserei. Gleichzeitig wird das Verschwinden von anderen Mädchen aufgeklärt. Bitterböse, aber dank des märchenhaften Untertons auch pervers faszinierend.

 

„Das Dienstmädchen“ erinnert an die Geschichten der ausgebeuteten sozialen Unterschicht, welche Charles Dickens so treffend geschrieben hat. Nur in einem Steampunk Milieu. Das Schicksal des ausgebeuteten Dienstmädchens steht für die gesichtslosen Massen, die willige, aber hilflose Helferin hat ihr eigenes Geheimnis und am Ende ist das harte Leben auf dem Dorf im Rahmen der Familie angenehmer als die Hoffnung, es in den gesichtslosen Städten mit der Herrenklasse schaffen zu wollen. Vieles wird eher indirekt ausgesprochen, die Atmosphäre ist stimmig, auch wenn der Leser irgendwie keine emotionale Beziehung zu den in dieser Hinsicht ein wenig zu distanziert beschriebenen wenigen Protagonisten aufbauen kann. 

„Familienbande“ zeigt die Tücken der Bürokratie in einer Gesellschaft mit künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaften. Die Auflösung der Miniatur ist wenig überraschend, angesichts des beschriebenen Familiengeflechts aber vielleicht auch nur konsequent. Auch „Maria II“ setzt sich mit zukünftiger Familienplanung auseinander. Die Pointe ist leider schnell erkennbar und der von den Behörden betriebene Aufwand scheint in keinem Verhältnis zum Ertrag zu stehen. Die vierte Miniatur „Sarkophag“ beinhaltet den meisten politischen Sprengstoff. Die Menschheit muss die Erde im übertragenen Sinne zurückgegeben und reinigen. Dabei sind die Meere die kleinste Schwierigkeit, es sind vor allem die radioaktiven Hinterlassenschaften, aber auch die bei der Produktion von Lithum entstandenen Rückstände, welche Schwierigkeiten bereiten. Bitterböse und leider auch so aktuell, das sie unter die Haut geht, ist „Sarkophag“ die beste der Miniaturgeschichten.  

 

„Alien Love“ funktioniert als Sammlung vor allem, weil Corinna Griesbach sich klassischen, vielleicht sogar klischeehaften Science Fiction Themen angenommen hat. Mit dem Auge weniger des Autoren, als dem positiv gesprochen Künstler hat sie diese Prämisse durch die intellektuelle Hirnpresse gedrückt und herausgekommen sind nicht selten ganz andere Pointen, ganz andere Plots als sie der Leser erwartet. Kombiniert mit den nicht selten pointierten, passenden Dialogen und der guten Zeichnung der Charaktere sind vielleicht nicht alle Geschichten überzeugend, aber das liegt teilweise an ihrer Kürze, in welcher nicht immer angesichts der ambitionierten Ausgangsbasis auch die entsprechende Würze liegt. Aber wie auch ihr Zeitreiseroman „Das Prinzip der Mittelmäßigkeit“ tut Corinna Griesbachs andere Ansicht auf das Genre nicht nur dem Leser gut, sondern unterhält ausgesprochen zufrieden stellend. Und dabei regt mehr als eine der Geschichten oder Miniaturen auch zum kritischen Nachdenken an.   

Corinna Griesbach
ALIEN LOVE
Science-Fiction-Kurzgeschichten
AndroSF 151
p.machinery, Winnert, März 2022, 108 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 277 5 – EUR 11,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 822 7 – EUR 3,99 (DE)