„Der galaktische Topfheiler“ erscheint im Rahmen der Fischer Neuausgabe das zweite Mal unter diesem Titel. Zum ersten Mal publizierte der Heyne Verlag das Buch unter einer genauen Übersetzung des Originaltitels. Zweimal erschien der Roman im Fischer Verlag und bei Moewig unter „Joe aus der Milchstraße“. Für die Moewig Ausgabe hatte der Herausgeber Hans Joachim Alpers ein interessantes Nachwort verfasst.
In den USA veröffentlichte Philip K. Dick das Buch 1969. Drei Jahre vorher verfasst Dick ein im gleichen Universum spielendes Jugendbuch „Nick and the Glimmung“, das erst nach seinem Tod 1988 in den USA erschien. Joachim Körber hat den Roman in seiner „Edition Phantasia“ auf deutsch vorgelegt. Allerdings unterscheidet sich der dort beschriebene Glimmung deutlich von dem in „Der galaktische Topfheiler“ präsentierte gottgleichen Wesen auf der Mission, eine Kathedrale vom Grund des Meeres zu heben. Selbst innerhalb des vorliegenden Buches geht Dick mit seinen Beschreibungen sehr ambivalent vor.
Joe Fernwright ist kein Töpfer, er sieht sich als Topfheiler. In Dicks umfangreichen Werk zieht sich die Idee, aus Bruchstücken etwas neues Ganzes zu machen, wie ein roter Faden durch. Auch der Protagonist in „LSD Astronauten“ ist Töpfer. In „Eine andere Welt“ ist es ausgerechnet eine Töpferin, welche dem verwirrten Protagonisten einen wunderschönen Topf schenkt, sondern ihm auf seiner Suche nach der Wahrheit hilft. Selbst in klassischen Büchern wie „Zeit aus den Fugen“ spielt der seinen Kontakt zum bisherigen Universum verlierende Protagonist mit der Idee, Töpfer zu werden, um etwas Handfestes zu erschaffen. Auch Robert A. Heinlein hat mit „Podkayne of Mars“ einer Töpferin ein Jugendbuch gewidmet.
Aber „Der galaktische Topfheiler“ vereinigt im Rahmen einer ausgesprochen stringenten Abenteuergeschichte mit einer Gruppe unterschiedlicher Wesen auf einer galaktischen Rettungsmission sehr viele andere Themen, die Dick in seinen mehr als zwanzig Romanen in unterschiedlichen Variationen aufgeworfen hat.
Joe Fernwright ist ein arbeitsloser Töpfer in einem totalitären Staat. Eine zukünftige USA. Zwar hat er eine Werkstatt und fährt auch jeden Tag dahin, aber niemand gibt ihm mehr Aufträge. Das ist auch nicht wichtig, weil der Staat seine Bürger täglich mit Geld versorgt, das umgehend verkonsumiert werden sollte, da die gigantische Inflation schon am nächsten Tag einen erheblichen Wertverlust darstellt.
Philip K. Dick schildert einen klassischen Überwachungsstaat mit einer dominierenden, anonymen Regierung. Alles ist geordnet. Nicht umsonst heißt der neue Staat im Original „Communal North American Citizen´s People“ in Anspielung auf den Kommunismus und die Planwirtschaft, die nur auf dem Reißbrett der Funktionäre funktioniert. Da die Menschen ja mit Geld befriedigt werden und dafür nicht in der Theorie arbeiten müssen, gibt es keine sozialen Konflikte. Allerdings funktioniert auch nicht viel. Der öffentliche Verkehr ist überfüllt und unpünktlich. Joe macht sich zu Fuß auf den Weg in seine Werkstatt und wird von der allgegenwärtigen Polizei animiert, schneller zu gehen.
Eine vergleichbare Szene findet sich einige Jahre später in „Mozart für Marsianer“ und wirkt wie eine weitere Hommage an Ray Bradburys brillante Kurzgeschichte „Geh nicht zu Fuß durch stille Straßen“.
Joe ist Mitglied einer kleinen Gruppe von Männern, die sich mittels Rätseln geistig aktiv halten. Die Ausgangsbasis ist dabei bizarr. Sie lassen sich von japanischen Computern Buch- oder Filmtitel übersetzen und speisen diese in einen amerikanischen Computer ein. Der übersetzt sie wieder anders und der Kontrahent im Rätselspiel muss den Ausgangstitel erraten. Joe ist dabei einer der Spitzenkandidaten. In „Zeiten aus den Fugen“ lebt der Protagonist davon, dass er Zeitungsrätsel löst und dabei gegen alle Wahrscheinlichkeiten erfolgreich ist.
Eines Tages erreicht ihn eine seltsame Botschaft in seinem Büro. Eine gottgleiche Kreatur namens Glimmung, will ihn als Topfheiler auf einer Mission anheuern, die zu „Plowman´s Planet“ oder besser Sirius 5 führt. Er soll Mitglied eines Teams sein.
Der Roman ragt aus mehreren Gründen positiv wie negativ aus Philip K. Dicks zweiter literarischer Phase heraus. Negativ, weil viele Leser den Plot als zu simpel abstrafen und nicht auf die Zwischentöne achten. Weil Dick die dystopische Erde, welche er in „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ auf eine literarische Spitze getrieben hat, zu Gunsten einer intergalaktischen Odyssee verlassen hat. Eine Odyssee, an deren Ende eine eher offene Frage steht.
Positiv dagegen versucht Dick Antworten auf eine Reihe von Fragen zu finden, die er in seinen dunkleren, weniger humorvollen Geschichten nicht gestellt hat. Joe Fernwright ist ein klassischer Verlierer. Er hat einen Beruf von seinem Vater übernommen, den niemand in einer „Plastikwelt“ mehr braucht. Seine Exfrau ist nur an der pünktlichen Zahlung des Unterhalts interessiert. Im All wird er zwar eine Frau kennen- und platonisch lieben lernen, aber auch sie wird ihn schließlich für eine andere Art des Lebens aufgeben, vor der sich der tief in seinem Herzen erzkonservative, verklemmte Fernwright fürchtet. Auf der anderen Seite zeigt Dick auf, das selbst das unbedeutenste „Leben“ einen Augenblick der Wichtigkeit hat. Ohne Fernwright wäre die Mission ab der Mitte zu Scheitern verurteilt. Dabei weiß der Topfheiler nicht einmal, ob er richtig handelt oder manipuliert wird.
Das Glimmung ist ein faszinierendes für Dick nicht nur ungewöhnliches, sondern einzigartiges Wesen. In seiner „Valis“ Trilogie hat sich der Autor mit seinem literarischen Alter Ego auf die Suche nach einem übernatürlichen, an Gott erinnernden Wesen begeben. Das Glimmung ist nicht Gott. Es verfügt über göttliche Kräfte, es ist uralt, aber nicht unsterblich. Es erinnert an eine Gentleman Variation von H.P. Lovecrafts Alten Göttern, die verführerisch höflich und gleichzeitig auch erdrückend mächtig sein kann. Das Glimmung gibt es aber wie vieles auf Sirius 5 in zwei Variationen. Hier kommt ein weiterer klassischer Konflikt in Dicks Werk zum Tragen. Was ist gut? Was ist böse? Während Dick in vielen seiner Bücher sich schließlich in eine Art Grauzone zurückzieht und dem Leser einen wichtigen Teil der Antworten überlässt, hat der Autor dieses Mal klare Fronten gezogen.
Es ist ein Konflikt gut gegen böse. Mit dem „Tod“ des Bösen wird aber nicht alles automatisch gut. Dick macht deutlich, dass es selbst dann noch ein weiter Weg ist. Er zeigt aber auch auf, dass nur eine echte Kooperation zum Ziel führt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Buch vielleicht am meisten von anderen Dick Werken, in denen Blue Collar Menschen aus ihrer bisherigen, auf den ersten Blick geordneten Existenz gerissen worden sind, um mit den politischen Mächten; den verschiedenen Wirklichkeiten oder dem eigenen Irrsinn zu kämpfen. Sie sind von Beginn an Einzelgänger, nicht selten geschieden oder getrennt lebend und sie bleiben es am Ende. Joe Fernwright wird Mitglied eines Teams, eines nicht unbedingt „Dirty Dozends“, aber einer Gruppe von sehr unterschiedlichen Spezialisten, die zusammenarbeiten müssen und denen der Blick auf den nächsten Schritt der Evolution gestattet wird. Erst am Ende des Buches wird Joe Fernwright wieder zu einem auf den ersten Blick Einzelgänger, der richtungslos und inzwischen auch heimatlos in den Tag hineinleben muss und will.
Dick setzt sich auch auf eine überraschende Art und Weise mit dem Thema Religion auseinander. Die Kathedrale und das Glimmung finden sich ebenfalls zweimal auf dem Planeten. In der Kathedrale wurde ein weiterer alter, aber auch brutaler Gott angebetet. Es stellt sich die Frage, ob das Glimmung die Kathedrale – erstaunlicherweise natürlich die richtige- heben will, um den alten Glauben wieder zu beleben und/ oder seine Absichten deutlich positiver sind. Als wenn das Fanal einer untergegangenen Epoche die Wunden heilen und den Blick in eine bessere Zukunft bieten kann. Der Roman bezieht seine Spannung aus den intermediären Konflikten innerhalb der Gruppe, fokussiert auf den immer wieder die Ereignisse hinterfragenden Joe Fernwright. Das Glimmung will seine Geheimnisse wahren. Nicht umsonst nimmt in einer Abfolge bizarrer Szenen immer die Sekretärin des Glimmungs Kontakt mit der Gruppe auf, um sie auf der einen Seite vor ihren Handlungen zu warnen, sie aber auf der anderen Seite auch indirekt anzustacheln und zu provozieren, eigene Erkenntnisse zu sammeln.
Zum Thema Religion hat Philip K. Dick eine Art Büßer Box hinzugefügt, bei welcher der Bittsteller vorher seine Religion wählen kann.
Einige Szenen stiehlt der allgegenwärtige Roboter Willis. Die Ansprache ist wichtig und wird zu einem Running Gag. Dick gibt seinem Roboter eine menschlichere Persönlichkeit als einigen Nebenfiguren. Vielleicht die größte Schwäche des Buches. Während der finalen Konfrontation kommt es auf jeden Einzelnen an. Philip K. Dick ist aber kein Autor, der heroische Momente beschreiben kann. Zu sehr hat er einige Nebenfiguren auf dem Weg zur finalen Auseinandersetzung ignoriert. Das rächt sich ein wenig, wenn nicht nur das Glimmung, sondern auch der Leser bei den Spezialfähigkeiten der einzelnen Teammitglieder leicht durcheinander kommt.
Am Ende muss der Leser allerdings dessen Positionen akzeptieren. Dick baut keine zweite Handlungsebene ein. Vieles wirkt auf diese Art simplifiziert und ob das neue Gemeinschaftswesen wirklich zukünftig Gutes oder überhaupt etwas tun wird, bleibt außen vor. Im Laufe der ambivalent beschriebenen Bergung und des natürlich ausführlich beschriebenen Konflikts zwischen gut und böse unter der Meeresoberfläche werden viele Themen andiskutiert, aber keines wirklich abgeschlossen. Dick zieht zwar noch einen Vergleich zwischen der archaischen martialischen Religion auf Sirius 5 und dem Christentum in Person von Jesus Christus, aber auch hier bleibt er vage.
Es ist der Versuch, ein intergalaktisches Abenteuer mit religiösen Untertönen aus der Sicht eines typischen, in sich verlorenen Dick Charakters zu schreiben, der wie alle Mitglieder der Gruppe über sich hinauswachsen muss, um „Erfolg“ zu haben. Für Joe Fernwright erweist sich dieser Erfolg als Pyrrhussieg, an dessen Ende zumindest ein kleiner Lichtblick hinter dem Horizont steht. Es ist vielleicht neben „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ - ein Jahr vor „Der galaktische Potheiler“ erschienen, wobei der Roman wahrscheinlich erst später entstanden ist – Dicks zugänglichstes Buch dieser Epoche, in dem er alle seine relevantenThemen auf eine abenteuerliche, weniger hintergründig verklausulierte und deswegen auch eindringlichere Art und Weise anspricht.
- Herausgeber : FISCHER Taschenbuch; 2. Auflage, Neuausgabe (27. November 2019)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 176 Seiten
- ISBN-10 : 3596906970
- ISBN-13 : 978-3596906970
- Originaltitel : Galactic Pot-Healer