Mit einem Nachwort von Tim Powers, der inzwischen selbst ein renommierter Autor phantastischer Literatur Philip K. Dick in Kalifornien persönlich gekannt hat, legte der Heyne Verlag unter dem Titel „Die Lincoln Maschine“ den ursprünglich 1972 veröffentlichten Roman „We can Build you“ neu auf. Bevor auf die amerikanische Publikationsgeschichte eingegangen werden soll, lohnt sich ein Blick auf die beiden deutschen Ausgaben. 1977 mit einer Übersetzung Tony Westermayr erschien der Roman unter dem Titel „Die rebellischen Roboter“. Frank Böhmert übersetzte das Werk 2007 neu. Die Heyne Ausgabe ist ungekürzt.
Philip K. Dick hat diese für ihn fast klassisch zu nennende Geschichte um die Frage, was einen Menschen oder einen Androiden/ein Simulacrum wirklich auszeichnet allerdings schon zehn Jahre vor der DAW Taschenbuchausgabe geschrieben. Daher wirkt der 1962 als „The First in Our Family“ verfasste Texte grundsätzlich für die dritte Phase in Dicks Werk antiquiert und „greift“ hinsichtlich der Veröffentlichungschronologie zwar eher auf eine vordergründig originelle, satirische Art und Weise Themen auf, die Dick in den zwischen 1962 und 1972 publizierten Kurzgeschichten und Romanen nuancierter diskutiert hat. Die erste Veröffentlichung erfolgte in Fortsetzungen zwischen November 1969 und Januar 1970 im „Amazing Magazine“. Herausgeber Ted White benannte die Story in „A. Lincoln, Simulacrum“ um. Ted White fügte der Magazin Veröffentlichung einen Epilog hinzu. Dick akzeptierte Whites Entwurf und veränderte nur wenige Worte. In den verschiedenen Hardcover - und Taschenbuch Veröffentlichungen mit dem auf einem Vorschlag Donald A. Wollheims basierenden Titel „We can Build you“ fehlte der Epilog.
Aus heutiger Sicht sollte “Die Lincoln Maschine” immer vor “Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” gelesen werden. Beide Romane behandeln die grundsätzlich ähnliche Auseinandersetzung zwischen menschlicher Identität und künstlich erschaffener Intelligenz in Form von Androiden oder Simulacrums. Die Beziehungen zwischen Schöpfer und Geschöpfen wird zwar ausschließlich aus menschlicher Perspektive teilweise mit Ich- Erzählern präsentiert, aber die künstlichen Kreaturen sind den Menschen auch dank ihrer Lernfähigkeiten überlegen. Im direkten Vergleich handelt es sich allerdings bei “Die Lincoln Maschine” lange Zeit eher um Kopien historischer Persönlichkeit, programmiert mittels aller vorhandenen Biographien, aber keineswegs originale oder originelle Geschöpfe. Diesen ”Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” dominierenden Gedanken streift Philip K. Dick erst relativ spät im Frühwerk.
Auch existentielle und philosophische Fragen hinsichtlich der Gleichberechtigung, selbst der Lebensberechtigung von Androiden/ Simulacrums werden in “Die Lincoln Maschine” nur aus der kapitalistischen Perspektive betrachtet. Der Selfmade Milliardär will aus der Erfindung der Simulacrums dank eines organisierten Wettbüros möglichst viel Geld schlagen, während die kleinen Leute als Besitzer einer Firma für Klaviere und Orgeln beginnend mit der Erschaffung des Lincoln Simulacrum den amerikanischen Bürgerkrieg nachspielen wollen. Keine Rollenspiele und damit entsprechende Geschichtsfanatiker sind in diesem Fall nicht mehr notwendig. In “Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” sind die Androiden hinsichtlich der Drecksarbeit in einer ferneren Zukunft unverzichtbar.
Während die Simulacrums unter anderem mit Abraham Lincoln eine prominente Kategorie darstellen, konzentriert sich Philip K. Dick ansonsten wieder auf den Kampf der kleinen Leute gegen das kapitalistische System. Mit sehr viel nicht immer subtilen Humor begleitet Philip K. Dick die Veränderungen in dem kleinen Familienunternehmen von Louis Rosen, das von Beginn an um die eigene Existenz bangen muss. Die Konkurrenz stellt billigere und effektivere Lichtorgeln dar.
In der Garage entwickeln seine Partner die angesprochenen Simulacra. Erst Edwin M. Stanton, der eng mit Abraham Lincoln zusammengearbeitet hat. Als zweiten Prototyp den amerikanischen Präsidenten Lincoln. Sie versuchen die Prototypen und ihre Idee einer dreidimensionalen Rekonstruktion des amerikanischen Bürgerkriegs an den Milliardär Sam K. Barrows zu verkaufen, der in den Simulacras zwei gänzlich andere Geschäftsideen sieht. Einmal das schon erwähnte Wettgeschäft, aber viel bizarrer künstliche Siedler auf dem Mond, wo Barrows dessen Oberfläche gekauft und parzelliert hat. Die Simulacra sollen als typische Frontierfamilien Menschen von der Erde anlocken und es Barrows ermöglichen, die Parzellen als Bauland gewinnbringend zu verkaufen. Der Deal scheitert und Barrows beginnt eine Beziehung zu Pris Frauenzimmer, die an Schizophrenie leidend an der Entwicklung der Simulacra aber maßgeblich beteiligt gewesen ist.
Von den beiden Simulacra Prototypen kann sich Edwin M. Stanton der Gegenwart anpassen, während die Abraham Lincoln Kopie von den inneren Dämonen des Originals eingeholt wird und ebenfalls an Schizophrenie zu leiden beginnt.
Diese Duplizierung von Ereignissen und Krankheiten geht zu Gunsten einer Obsession konzentriert auf Pris Frauenzimmer während des langen, aber auch nicht gänzlich zufriedenstellenden Finals fallen gelassen. Der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wenn Philip K. Dick eher eine Abfolge neurotischer Erkrankungen präsentieren möchte. Gleichzeitig setzt er sich mit den Tricks auseinander, die Patienten ihren Psychiatern spielen und anders herum. Im Nachwort geht Tim Powers noch einmal auf das von Ted White vorgeschlagene Ende ein. Philip K. Dick hat es für die Buchveröffentlichungen wie eingangs erwähnt gestrichen. Sowohl White als auch Dick haben in dieser Hinsicht recht. Ted White, weil er damit “Der Lincoln Maschine” einen zufriedenstellenden Abschluss schenkt. Philip K. Dick, weil er die grundlegende Idee der Identität von Mensch/Android schon in “Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” untersucht hat und Ted Whites Ende keine neuen Ideen präsentiert. Betrachtet der Leser den Text aber hinsichtlich seiner ursprünglichen Entstehungszeit, dann ist “Die Lincoln Maschine” wirklich die in der näheren und nicht fernen, technokratischen Zukunft spielende Vorübung zu “Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” Bis auf die Simulacras verzichtet Dick auf Technik. Der Mond ist parzelliert und steht zur Besiedlung offen. Aber diese Idee ist kein relevanter Teil des Plots. Die Handlung könnte auch ohne diese bizarre Spekulation funktionieren, denn Dick arbeitet auch nicht heraus, ob die Androiden nicht doch eine erdähnliche Atmosphäre inklusive entsprechender Temperaturen benötigen, um funktionieren zu können.
“Die Lincoln Maschine” ist im Gegensatz zu vielen anderen Dick Romanen, in denen die Protagonisten irgendeine Realität hinter ihrer bislang bekannten und vertrauten Existenzebene suchen, eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und vor allem dem Zusammenspiel zwischen Menschen sehr unterschiedlicher Charaktere. Dabei stehen im Mittelpunkt wieder die normalen bodenständigen Charaktere, die alltäglich nicht um ihre Existenz kämpfen müssen, aber es angesichts des technischen Fortschritts in Kombination mit der eigenen Dickköpfigkeit nicht leicht haben, sich anzupassen. Und wer sich nicht anpasst, droht im beginnenden Megakapitalismus unterzugehen. Der Bau der Androiden wirkt fast naiv. Gegen Ende des Buches relativiert Philip K. Dick diese Ausgangsbasis, in dem er die beiden auf historischen Persönlichkeiten basierenden Simulacra als besonders feinfühlige und technisch hochstehende Arbeiten, aber nicht als klassische Innovationen - in der eigenen Garage - gebaut betrachtet.
Dicks Figuren sind obsessiv, neurotisch und manchmal ein wenig zu wehleidig. Ihr Kampf gegen den alltäglichen Wahnsinn lässt die Leser auch schmunzeln. Der Hintergrund der Geschichte ist überzeugend entwickelt, auch wenn der Fokus schließlich von Lincoln/ Stanton weg schwenkt. Sehr zum Leidwesen des ganzen Buches, da diese Figuren wirklich überzeugend und lebendiger charakterisiert worden sind als einige der menschlichen Protagonisten.
“Die Lincoln Maschine” ist ein Frühwerk, das spät veröffentlicht worden ist. Dieser Kontrast zeigt sich hinsichtlich der Handlungsführung, aber auch der einzelnen, nicht zufriedenstellend abgeschlossenen Themen. Unabhängig von dieser Tatsache präsentiert Dick Menschen nicht auf der Suche nach einer Realität, sondern der eigenen Identität in einer chaotischer werdenden Welt. Das macht den Reiz dieser kurzweiligen, von Frank Böhmert sehr gut übersetzten Geschichte aus.
- Herausgeber : Heyne Verlag (1. Juli 2007)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 288 Seiten
- ISBN-10 : 3453522702
- ISBN-13 : 978-3453522701
- Originaltitel : We can build you