Nach der Corona- Zwangspause fand am 16. und 17. April 2022 in Robert Krafts Heimatstatt Leipzig das vierte Symposium unter der Leitung von Thomas Braatz statt. Wie bei den ersten drei Veranstaltungen hat Thomas Braatz einen reichhaltig bebilderten Begleitband zusammengestellt, in dem die verschiedenen Schwerpunkte der Veranstaltung gestreift werden. Das Spektrum hätte 2022 nicht breiter sein können. Neben der 1922 entstandenen, lose auf Robert Kraft Nobody Romanen basierenden Stummfilmkinoserie geht es um Frauen in den Romanen des Leipziger, aber auch ein doppelter Blick Rumänien.
Thomas Braatz eröffnet aber den Sammelband mit einem kurzen Essay und vor allem der Beweisführung, das der junge Robert Kraft als Marinesoldat den Jadebusen Wilhelmshavens nicht bei Ebbe und nicht von zwei kleinen Booten beflankt durchschwommen hat. Neben einigen Zeitungsausschnitten schlägt Thomas Braatz auch den Bogen zu Robert Krafts nächster Anstellung als Schwimmlehrer/ Bademeister im Königin- Carola- Bad in Leipzig, das heute nicht mehr existiert. Plakate spiegeln nur eingeschränkt den Eindruck dieser feudalen Anlage wieder. Mittels Zeitungsausschnitten kann inzwischen bewiesen werden, dass die Tat tatsächlich stattgefunden hat und zweitens das bisher angenommene Datum um wenige Tage korrigiert werden muss.
In seinem zweiten Beitrag geht Thomas Braatz auf die verschiedenen Robert Kraft Ausgaben ein, die in Rumänien nicht immer unter seinem Namen erschienen sind. Im zweiten Essay von Aurel Lupastean – es handelt sich um das übersetzte Nachwort des ersten Bands eines Robert Kraft Mehrteilers – wird auf den Mann hinter den Kulissen eingegangen. Stefan Freamat hat sich um die Beschaffung ausländischer Stoffe für die Heftromanserien gekümmert, die in den dreißiger Jahren in Rumänien erschienen sind. Billig entlöhnt hat sein Verleger Reichtum gescheffelt. Neben einigen Fotos begleitet beide Artikel eine Vielzahl von Robert Kraft Titelbildern, die selbst trotz ihrer Entnahme aus dem Internet immer noch gut wiedergegeben werden konnten. Zum Teil hat Thomas Braatz vergleichende Titelbilder der deutschen Originalsausgaben beigefügt. Aurel Lupastreans Nachwort geht weit über Robert Kraft hinaus und zeigt, welche Autoren den Weg nach Rumänien gefunden haben und wie beliebt diese Serie an den Kiosken im Lande Dracula gewesen sind.
Mit dem Serienheld Nobody und damit dem 100. Jahrestag der Verfilmung von Robert Krafts Roman in 52 Folgen – ob alle Teile wirklich bei drei Produktionsfirmen aufeinanderfolgend gedreht worden sind, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit beweisen - folgt der zweite Schwerpunkt dieses Sammelbands. Thomas Braatz stellt in minutiöser Kleinarbeit die vorhandenen Fakten zusammen. Neben reichhaltigen Bildmaterial beginnend bei Szenenfotos über die tabellarische Auflistung der einzelnen, vielleicht nur geplanten Folgen inklusive Titeln und Darstellern zu Prospekten, Auszügen aus Zeitungen und dem extra zu Werbezwecken gedruckten Nobody- Journal, dessen erste Ausgabe komplett sich im zweiten Teil des Artikels befindet. Textlich ist Thomas Braatz vor allem auf Sekundärquellen angewiesen, deren Wahrheitsgehalt unter der typisch Superlative betonenden Propaganda der Filmschaffenden schwer zu prüfen ist. So ist der Hauptdarsteller Sylvester Schaefer im Grunde nur in den „Nobody“ Produktionen, vielleicht noch als Nebendarsteller in zwei- oder drittklassigen Abenteuerstreifen aufgetreten. Verbürgt ist, dass er als Ein-Mann-Variete durch Europa, vielleicht auch die USA gezogen ist. Mit welchem Erfolg ist genauso fraglich wie die Tatsache, dass er nur kurzzeitig Deutscher gewesen ist, weil er während der Tournee seines Vaters in Berlin geboren worden ist. Später hat er laut den Kinopropagandisten die deutsche Staatsangehörigkeit wieder angenommen. Die Zahlen, mit denen die Produzenten prahlen, erscheinen komplett überzogen. In die gleiche Zeit fehlt mit Fritz Langs „Die Spinnen“ ebenfalls eine Art Detektiv- Abenteuerserie, von der auch vier Filme geplant worden sind. Zwei der Streifen wurden nur realisiert. Daher sind viele der Daten und Zahlen – alleine die Summen im Preisausschreiben erscheinen so hoch, das sich ein heutiger Leser fragt, woher eine extra für die „Nobody“ Filmserie gegründete Produktions GmbH diese Summen zusätzlich zu den Filmkosten haben sollte. Thomas Braatz führt den Leser sachlich durch den Datendschungel, welcher die „Nobody“ Produktion noch heute umschwirrt. Da keine der Folgen auffindbar ist und angesichts der Halbwertzeit der damaligen Filmmaterialen bei nicht ordnungsgemäßer Aufbewahrung existieren dürfte; kein Sammler mit einem wohltemperierten Safe um die Ecke kommt, bleibt vieles im Bereich der bisherigen Spekulation. Materialen aus Papier sind noch ausreichend vorhanden und werden von Thomas Braatz in einem bemerkenswerten Zustand reproduziert, so dass sein Artikel auch als Einleitung für eine tiefer gehende, filmhistorische Forschung verstanden werden sollte, die abseits der großen, von der Murnau Stiftung erhaltenen Filmproduktionen dieser Ära wahrscheinlich im Rahmen der reinen Faktensortierung erfolgen muss, aber in Form von weiteren Artikeln die Zeit wert ist.
Nicht immer ist die Zeit der Feind der heutigen Robert Kraft Anhänger. Michael Bauer beweist es mit seiner Spurensuche in Bad Schandau, wo viele der Gebäude noch heute erhalten sind. Robert Krafts Arbeitszimmer in der ursprünglichen Form und mit Zugang von außen nicht mehr, aber neben den Erinnerungen der Nachkommen der damaligen Vermieter Krafts konnte Michael Bauer eine Reihe von alten Fotos dem gegenwärtigen Zustand der Gebäude gegenüberstellen. Dirk Berger hat eine Szene aus Robert Krafts „Die Augen der Sphinx“ visuell passend umgesetzt.
Das lange Interview mit dem Sammler Peter Wanjek verbindet ebenfalls Vergangenheit und Gegenwart. Die Vergangenheit mit Rückblicken auf die eigene Jugend, teilweise noch in der DDR und die Beschaffung von Abenteuerliteratur auf ebenso abenteuerlichen Wegen. Dazu die Treffen mit vielen inzwischen verstorbenen Sammlern, welche Peter Wanjek aus den eigenen Sammlungen Bücher verkauft oder einfach nur Wege eröffnet haben. Die Gegenwart nicht nur mit dem zusammen mit der Bibliogaphie der deutschen Heftromane 1900 und 1945, sondern auch dem Blick in die eigene, einzigartige Sammler. Thomas Braatz hat das Interview passend mit „Mehr als ein Sammler“ überschrieben. Peter Wanjek gibt auf die verschiedene Themen von Robert Kraft über Karl May bis Hans Harst oder Walther Kabel ausführlich und sehr offene Antworten. Manchmal waren es Zufälle, welche ihm die Türen zu den in seinem Haus im „Hans Harst Weg“ gesammelten Schätzen öffnete, manchmal auch respektvolles, beharrliches Fragen in einer Form des jugendlichen Übermuts. Dazu kommen neben zahlreichen Abbildungen der einzelnen bibliographischen Sammlerstücke auch weitere Fotos wie die Wand des Arbeitszimmers, aber auch eine sehr seltene Reproduktion einer Originalautogrammkarte des lange Zeit genauso populären Walther Kabels, der heute noch mehr vergessen ist als Robert Kraft.
Im längsten Artikel dieser Ausgabe stellt Franziska Meifert in „Frauen stehen ihren Mann“ das Frauenbild in Robert Krafts umfangreichem Werk in einem scharfen Kontrast zu den sozialen wie auch literarischen Vorurteilen und Stereotypen der Zeit dar, in welcher Robert Krafts feministisch angehauchte Werke erschienen sind. In dem reichhaltig bebilderten Artikel etabliert die Autorin erst einmal den historischen Hintergrund mit zahlreichen Zitaten aus verschiedenen Bildungswerken, welche der Frau jegliche unabhängige Handlung absprechen. Dazu kommen die in einem Schneckentempo ablaufenden, sich nach dem Ersten Weltkrieg allerdings beschleunigenden Gleichberechtigungsgesetze. Den Hintergrund etabliert die Autorin zwar zu Beginn ihres Artikels, muss die Prämissen aber auch immer wieder verschieben. So öffnet sich mit dem Fahrrad wieder eine ganze Flutschleuse von neuen Vorurteilen gegenüber den Frauen, die Robert Kraft in seiner Weltumrundungsversion „Der moderne Lederstrumpf“ wegzuwischen suchte. Auch wenn Franziska Meifert aus verschiedenen Robert Kraft Werken vorstellt und dabei den Bogen von der Mutter bis zur anfänglich verwöhnten adligen Erben spannt, konzentriert sie sich im Laufe des zweiten Teils ihres Artikels vor allem auf Robert Krafts erstes großes Werk „Die Vestallinen“ und den schon angesprochenen „modernen Lederstrumpf“. Die Idee der (See-) Gemeinschaft wird Robert Kraft in einer veränderten Art und Weise in „Die Argonauten“ noch einmal aufnehmen, aber in „Die Vestallinen“ etabliert der Autor in Form der an Bord eines Segelschiffes aufbrechenden Frauen schon die Grundlagen seiner Gemeinschaften, die sich fast alleine gegen die Herausforderungen und Abenteuer der Welt stellen. In „Der moderne Lederstrumpf“ geht es wie bei Jules Verne um eine Wette. Die Protagonisten aus reichem Hause, ein wenig arrogant, will mit dem Fahrrad die Welt umrunden und schneller sein, als ein von Robert Kraft als sein fiktives Ego etablierter Sportler, der gerade die Tour abgeschlossen hat.
In ihrem lesenswerten Essay schafft es Franziska Meifert nicht nur, die damalige KKK – Welt der Frauen (Kirche, Küche und Kinder) vor den Augen der Leser bzw. in Form ihres Vortrages Zuhörer neu entstehen zu lassen, sondern sie zeigt detailliert und trotzdem kritisch auf, in welchen Punkten sich Robert Krafts Weltbild, aber auch seine Romane und Geschichten von den etablierten literarischen Strömungen (von Klischees kann ja nicht gesprochen werden, weil diese „Regeln“ in den Gesellschaften verankert gewesen sind) unterscheiden und wie er mit diesen modernen Ansichten wahrscheinlich auch sehr viele Frauen als Stammleser seiner abenteuerlichen Storys begrüßen konnte. Der Blick auf diese Themen ist nicht dogmatisch oder belehrend, sondern Franziska Meifert verschweigt sich, dass Robert Kraft zumindest im Punkt der wahren Liebe die Frauen schließlich in die Arme ihrer zukünftigen Holden, deutlich mehr tolerant als die Allgemeinheit, sinken lässt.
„Frauen stehen ihren Mann“ ist ein gelungener Abschluss dieses vierten Symposiumsbandes. In erster Linie richtet sich Thomas Braatz weiterhin an die wieder wachsende Gemeinde der Robert Kraft Leser, die mit den verschiedenen Neuausgaben der ursprünglichen Werke den Autoren aus der Vergessenheit der literarischen Geschichte holen. Wer sich bislang nicht mit Robert Kraft beschäftigt hat, wird wahrscheinlich angesichts der hier präsentierten detaillierten Beschreibungen Schwierigkeiten haben, alles zu verstehen. Aber wer sich mit phantastisch- utopischer Literatur dieser Zeit auseinandersetzen möchte, kommt an sekundärliterarischen Werken wie dieser empfehlenswerten Symposium Reihe nicht vorbei. Hinzu kommt, dass zum Beispiel mit dem Peter Wanjek Interview andere Aspekte der Konservierung oder Wiederentdeckung der phantastischen Autoren aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg abgedeckt werden. Von den zahllosen sehr interessanten Abbildungen und Fotos ganz zu schweigen.
Paperback, ca. 250 Seiten
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