Rettungskreuzer Ikarus 88: Heiße Fracht nach Seiros

Michael Mühlehner

„Heiße Fracht nach Seiros“ schließt den im „Archiv der Sterne“ begonnenen Handlungsfaden ab. Da der Autor des Doppelbandes Michael Mühlehner den Cliffhanger sehr geschickt gewählt hat, ist es nicht zwingend notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben. Aber es erhört das Lesevergnügen dieses rasanten Ikarus- Abenteuer.

 Ohne in die Details zu kennen, endete Captain Sentenzas Mission in „Archiv der Sterne“ allerhöchstens mit einem Pyrrhussieg. Im Grunde sogar einer Niederlage. Jetzt macht sich der Captain des Rettungskreuzer Ikarus auf die Suche nach seiner verschleppten Frau, mit dessen Gefangennahme Sentenza ja erpresst worden ist. Bei der Handlungsführung konzentriert sich Michael Mühlehner vor allem auf Sonja DiMersi. Sentenzas Rolle konzentriert sich auf das Verfolgen halbgarer Spuren und Tagebuchaufzeichnungen in der Tradition „Star Treks“. Diese Vorgehensweise erschließt dem Leser weitere Informationen hinsichtlich der politischen Vorgänge um den Planeten Seiros und das kleine Sternensystem, in welche das Raumcorps gegenüber der Gilde auf Vorteile hofft.  Captain Sentenza handelt ohne Auftrag und auf Eigeninitiative. Aber handlungstechnisch findet er gar nicht statt. Einige Leser mögen das Bedauern. Die Alternative wäre gewesen, aus dem Zweiteiler eine Trilogie zu machen, einzelne Handlungsfäden zu strecken und mittels wechselnder Perspektiven den Plot zu strecken. Das grundlegende Problem einer fortlaufenden Serie ist die Gefährdung der wichtigen Protagonisten. Kein Leser wird glauben,  das Sentenza zu spät kommt oder Sonja DiMersi ums Leben kommen. Daher leidet die Spannungskurve im zweiten Teil dieser Duologie unter den Mechanismen einer fortlaufenden Serie. Dieses Manko konnte das geheimnisvolle, aber abschließend auch zu schnell abgehandelte „Archiv der Sterne“ teilweise ausgleichen.

 Sonja DiMersi wird quasi von Hand zu Hand gereicht. An ihrer Seite stehen mit Jericho und Xander zwei exotische Protagonisten. Einer der beiden ist ein furchtloser Kämpfer, ein Söldner, der in die falsche Gesellschaft geraten ist. Der andere hat die Spielautomaten in einem fliegenden Casino manipuliert, der ersten Station, an welche Sonja DiMersi geliefert wird. Das im All befindliche gigantische Casino ist einer der beiden exotischen Plätze, an denen sich relevante Teile der Handlung abspielen. Der zweite Ort ist der fliegende Palast des Fürsten Kleimo von Ammerich, der auf dem Planeten Seiros endlich seine Macht erweitern und die anderen Fürstenhäuser angreifen will. Kleimo von Ammerich ist ein Psychopath. Sein Krieg weißt Ähnlichkeiten zum Feldzug Russland mit der Ukraine auf. Ein eitler Despot, der sich zu Lasten seines Volkes mit dem fliegenden Palast eine eigene, dekadente Welt aufgebaut hat. Dessen Traum von glorreichen Kriegen vergangener Zeiten an der Realität zerschellt. Der verzweifelt nicht nur neue Waffensysteme, sondern vor allem auch Söldner braucht. Der Gefangenen und Sklaven die Freiheit verspricht, wenn sie für ihn in den Krieg ziehen. Einen Krieg, der natürlich schnell aus dem Ruder läuft und zumindest in den Details Züge des Russlandfeldzugs in der Ukraine aufweist. Söldner und Händler versorgen ihn mit Sklaven/ Freiwilligen. So kommen auch DiMersi- nicht für die Front bestimmt, sondern für Ammerichs Harem-, Xander und Jericho schließlich auf Seiros an.

 Der fliegende Casino wirkt eher wie aus einem klassischen Abenteuerfilm herausgelöst. Der Betreiber  Wauk Nurgant herrschti wie ein Tyrann über seine kleine Welt. Wer nicht gehorcht, muss in die Bilge, wo der Tod unabänderlich ist. Ein langsamer, grausamer Tod. Das erinnert an die Kielräume auf den alten Segelschiffen. Nurgant ist der Erste, der sich Sonja DiMersi unter Drogen gesetzt einverleibt und zur Schau stellt. Allerdings kommt es an Bord des Casinoraumschiffes zu einer Kettenreaktion, welche einer Gruppe von Sklaven die Flucht ermöglicht. Ursache und Wirkung scheinen etwas überzogen, aber Michael Mühlehner braucht einen Katalysator, um die Ereignisse in Gang zu bringen.

 Ein weiterer Aspekt, der rückblickend deutlich vernachlässigt wird, ist die tödliche Strahlung des unsteten Pulsars Polyphems Auge, dessen psionische Strahlung die Psyche und Bewusstseins der Betroffenen stark beeinflusst. Dieses Mittel setzt der Autor an einigen Stellen zur Fortführung des Plots oder der Rettung aus schwierigen Situationen ein, aber das Szenario bürgt noch sehr viel mehr Potential, als dieser Zweiteiler bergen kann. Es wäre schön, wenn Michael Mühlehner in diesen Sektor noch einmal zurückkehrt und die offenen roten Fäden abschließt.

 Wie „Archiv der Sterne“ ist „Heisse Fracht nach Seiros“ durch ein hohes Tempo gekennzeichnet. Die verschiedenen Tagebuchaufzeichnungen, im ersten Band die Hinterlassenschaften sowohl des Archivs der Sterne wie auch des ersten Plünderers sind ein die einzelnen, solide geschriebenen Actionszenen gut verbindendes Glied, das es Michael Mühlehner ermöglicht, das Tempo generell hoch zu halten. In „Heiße Fracht nach Seiros“ sind es vor allem neuen, charakterlich grauen Protagonisten, welche dominieren. An einigen Stellen denkt der Leser unwillkürlich an die Earl Dumerast Romane aus der Feder E. C. Tubbs , in denen archaische Strukturen (Sklaven; Arenakämpfe; kaum flugfähige Raumschiffwracks; die Gefährlichkeit des Überlichtflugs; antiquierte politische Strukturen mit Fürstenhäusern ) mit vom Überleben gezeichnete Protagonisten, die zwar hilfsbereit sind, aber rücksichtslos das eigene wie das Leben der Anvertrauten schützen, zu semifuturistischen Abenteuergeschichten verbunden worden sind. Weit weg von der sterilen Zukunftswelt vieler Space Operas.

 Zusammengefasst präsentiert Michael Mühlehner eine sehr kurzweilig zu lesende, teilweise allerdings auch aus vertrauten Elementen vor allem im zweiten Teil zusammengesetzte „Rettungskreuzer Ikarus“ Geschichte, in denen persönliche Entscheidungen vor das Wohl des Raumcorps gestellt werden. Es sind vor allem die neuen Protagonisten und der interessante, aber nicht gänzlich zufrieden stellend ausgearbeitete Hintergrund des Maragone- Sektors, welche im Gedächtnis bleiben, während die grundlegend Handlung schon früh beim Archiv der Sterne seinen eigentlichen Hintergrund erreicht. 

Rettungskreuzer Ikarus 88: Heiße Fracht nach Seiros

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (20. Januar 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 88 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864028760
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864028762