Mit dem 18. Band des inzwischen „Im Wilden Westen Nordamerikas“ benannten Reihe durchbricht Herausgeber Jörg Kägelmann die Phalanx von wiederentdeckenswerten Nachdrucken der Axel Halbach Kanon Romane und präsentiert mit „Das Herz des Donnervogels“ (geschrieben von Petra Hartmann) eine wunderbar zu lesende Jugenderzählung, die mit dem jungen Adler auf eine Figur aus Karl Mays Roman „Winnetous Erben“ zurückgreift. Ursprünglich hieß der Roman „Winnetou IV“. Es handelt sich um den letzten Band der gesammelten Reiseerzählungen und Karl May verarbeitete seine Eindrücke aus der Amerikareise des Jahres 1908, verbunden mit dem fiktiven Hintergrund seiner Winnetou und Old Shatterhand Geschichten.
Karl May war dieses Werk besonders wichtig. Er hat auch den Druck laufend kontrolliert. Nach dem Tod Karl Mays änderte der Karl May Verlag den Titel in „Winnetous Erben“, wobei zum Beispiel die Weltbild Ausgabe den ursprünglichen Titel beibehielt.
Petra Hartmann erzählt in ihrem Roman die Vorgeschichte zum Auftritt und legendären Flug des jungen Adlers am Mount Winnetou. Es ist der symbolische Friedensschluss zwischen alle verbliebenen indianischen Völkern, wohlwollend begleitet von der inzwischen zu Old Shatterhand gewordenen Karl May Inkarnation.
Petra Hartmann nutzt einzelne Teile aus Karl Mays Roman. In anderen Abschnitten agiert sie deutlich freier und fügt mit den Gebrüder Wright historische Persönlichkeiten ein, die bei Karl Mays Original keine Rolle gespielt haben.
In „Winnetou IV“ ging der junge Adler in die Wüste, fastete vierzig Tage lang und stieg dann in ein Adlernest, um sich Medizin zu holen. In „Das Herz des Donnervogels" agiert der in beiden Geschichten zwölf Jahre alte junge Adler deutlich leichtsinniger. Er seilt sich von einem Berg ab, das Seil reißt und durch einen Zufall landet er im Adlerhorst. Er tötet die beiden Jungadler. In beiden Geschichten überwältigt er das Muttertier und lässt sich aus dem Adlerhorst zu Boden bringen. Bei Karl May sogar direkt bis zum Zelt Tatellah- Satahs. Seitdem ist er vom Fliegen besessen.
In Karl Mays Roman verbrachte der junge Adler vier Jahre im Osten, um Aerostatik und Aeronautik zu studieren. Dieses Studium hat der stolze Indianer in Petra Hartmanns Geschichte noch nicht angetreten und Old Shatterhand ist er auch nicht begegnet. Ansonsten hätte er auch eine sehr hübsche Verlobte, die ihn bei seiner Flug Leidenschaft unterstützt hat.
Historisch nimmt Petra Hartmann Bezug auf die Versuche der Gebrüder Wright zwischen 1900 und 1903. Die beiden als verrückte Fahrradverkäufer verschrienen Männer begannen mit ihren Flugversuchen im Jahr 1900 auf dem Kill Hill Devils, sechs Kilometer von Kitty Hawk. 1900 war der Doppeldecker noch unbemannt. 1901 kam es zu ersten Versuchen mit einem bemannten Flugzeug. Der Pilot stieg sitzend ein. Die Szenen werden in Petra Hartmanns Roman als Rückblenden erzählt. Auch die anfängliche Instabilität der Flugmaschine wird eingebaut. Es fehlen allerdings mit Octave Chanute und dessen Assistenten Augustus M. Herring zwei wichtige Persönlichkeiten, welche den Flugapparat der Wright uneigennützig deutlich verbesserten. Bei Petra Hartmann wird immer wieder nur von den Wrights gesprochen.
Bei den letzten Testflügen nach der Beantragung des Patents im Jahr 1903 nutzten die Wrights einen Flugmotor. Diesen ersten Flug beobachtet der junge Adler. Literarisch hat die Autorin die jahrelangen Versuche der Wright deutlich komprimiert. So scheint er die ersten bemannten Flüge genauso zu beobachten wie den ersten Motorflug. Obwohl es dazwischen mindestens ein Jahr vergeht. Zeit ist bei Karl May relativ.
Zu Beginn des Romans vor dem erneuten Auftauchen der erwarteten Gebrüder Wright trifft der junge Adler auf einen jungen Weißen Will O `Connor, der ihm später zu einem wichtigen Freund wird. Der junge Adler hat ebenfalls indirekt über seine Mutter vom weißen Vater, Winnetous Lehrer, die Sprache der Weißen gelernt, er kann sie ausgezeichnet sprechen und schreiben. Seine Manieren sind exzellent und in der verschlafenen Gemeinde Kitty Hawk bezahlt er sein heruntergekommenes Zimmer sogar mit einem Goldnugget, was den entsprechenden Neid hervorruft.
“Das Herz des Donnervogels” - damit ist der erste Flugzeugmotor gemeint, den die Wrights in jahren Prototypen eingebaut haben - ist gut aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Als alleinstehende Geschichte, die nur auf Karl Mays Charaktere zurückgreift und ein wenig kritischer als echte Vorgeschichte zu “Winnetous Erben”, wie der Verlag auf dem Klappentext propagiert.
Als eigenständige Arbeit ist “Das Herz des Donnervogels” ein fast klassisch zu nennendes Jugendbuch. Die Freundschaft zweier Jungs, die weniger über Gerede, sondern über Taten und uneigennütziges Handeln definiert werden. Will O `Connor als rothaariger Nachkomme irischer Auswanderer ist der Erzähler dieser Geschichte. Er trifft auf den jungen Adler, einen Mann mit ausgesprochenen Manieren und einer Vision. Bedroht wird dieser Traum durch eine Reihe von Missverständnissen, die in erster Linie in den engstirnigen Köpfen der Erwachsenen hausen. Der junge Adler schafft vieles alleine. Will O´Connor hilft ihm zwar, aber in direkten Vergleich ist der junge Indianer vor allem als Vertreter eines Volkes, das seinen Lebensraum verloren hat, eindrucksvoller, charismatischer, selbstbewusster und schließlich auch charmanter als der eher unscheinbare O´Connor, der aber mehrmals Mut beweist. Die Freundschaft mit den obligatorischen Höhen und Tiefen zeichnet diese Geschichte aus. Viele Szenen erinnern hinter der Faszination für das noch neue Fliegen an die ersten Winnetou/ Old Shatterhand Abenteuer.
Dabei bemüht die Autorin auch einige Klischees wie die Schurken, welche die Pläne der Wrights mit mehreren Anschlägen verhindern wollen; der Piratenschatz, in den Bergen versteckt sowie die Anhäufung von Vorurteilen gegenüber den Indianern. Beginnend mit der aus der Luft gegriffenen Drohung, dass die kleine Gemeinde bald das Ziel eines Indianerüberfalls wird. Mit diesen Nebenkriegschauplätzen reichert die Autorin im Grunde eine Geschichte an, deren Kern mit den waghalsigen Flug Experimenten der Wright und deren Außenwirkung schon lesenswert und spannend genug ist.
In Hinblick auf Karl Mays “Winnetous Erben” erscheint “Das Herz des Donnervogels” - höflich geschrieben - ambivalent geschrieben. So zieht Petra Hartmann die Mission des jungen Adlers einfach vor. Mit einem dreifachen Flug um einen wichtigen Berg will er seinem Volk, allen Indianern endlich Frieden schenken. Die Szene findet sich im vorliegenden Roman, aber chronologisch viel zu früh. Oder wenn sie richtig platziert worden ist, fehlen die Spuren von Old im Gegensatz zum Young Shatterhand und auf seine Verlobte muss der junge Adler auch verzichten. Das Ende des Buches mit der Jagd auf das versunkene Herz des Donnervogels ermöglicht schließlich dem jungen Adler den zweiten Schritt vor dem bei Karl May ersten Schritt.
Natürlich sind das die Argumente von Puristen, aber wenn eine Autorin oder ein Autor die Vorgeschichte einer von einem anderen Schriftsteller entwickelten Figur erzählt, dann sollte man genau und weniger großzügig bei der Auslegung sein. Ignoriert der Leser Karl Mays inhaltsschwangeren und ein wenig pathetischen Roman, ist “Das Herz des Donnervogels” eine wunderbare Ablenkung der positiv gesprochen dominierenden Axel Halbach Nachdrucke und eine empfehlenswerte Geschichte von jungen Menschen, die nicht aufgeben, ihre unwahrscheinlich erscheinenden Träume zu verwirklichen. Und von dieser Art der Storys kann es nicht genug geben.
Blitz Verlag
(direkt beim Verlag bestsellbar: www.blitz-verlag.de)
Taschenbuch
Exklusive Sammler-Ausgabe
Seiten: 282 Taschenbuch
Künstler: MtP-Art (Mario Heyer)
Künstler (Innenteil): MtP-Art (Mario Heyer)