Der Atrium Verlag legt – übersetzt von Joachim Körber - den ersten Roman aus der Feder des britischen Adokaten und Kronanwalts Guy Morpuss vor. Das Buch war eines der „Financial Times“ Books of the year.
In England ist mit „Black Lake Manor“ ein zweiter Roman aus seiner Feder erschienen. Guy Morpuss lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in der Nähe von Farnham, England.
„Five Minds“ spielt in der näheren Zukunft. Verschiedene Prämissen muss der Leser akzeptieren, damit der Plot funktioniert. Durch die Beseitigung der meisten Krankheiten- Drogen- , Alkohol- und Nikotinsucht zählen nicht dazu – droht eine Überbevölkerung. Eine globale (?) Kommission hat entschieden, dass die Menschen mit siebzehn Jahren eine Entscheidung hinsichtlich ihres weiteren Lebens treffen müssen. Als Arbeiter lebt man sein Leben bis zum 80. Lebensjahr, hat Lohn und Brot und wird mit 80 eingeschläfert. Da Krankheiten besiegt sind, kann dem Arbeiter diese Lebenszeit auch „garantiert“ werden. Als Hedonist lebt man in Reichtum und Luxus, die Lebenszeit verkürzt sich um 38 Jahre gegenüber dem Arbeiter. Dann wird der Hedonist ebenfalls eingeschläfert. Die meisten Resourcen scheint ein Individuum zu sparen, wenn es gleich in einen Androidenkörper wechselt. Das Angebot ist eine Mischung aus Arbeiter – 80 Jahre Lebenserwartung – und Hedonist. Ein Androide muss nicht arbeiten und kommt trotzdem gut zurecht. Eine seltene Alternative ist ein Leben als Multipler. Fünf Persönlichkeiten wählen aus ihrer Gruppe einen Körper. In diesen Körper werden die Bewusstseine hochgeladen. Jedes dieser Bewusstsein hat eine vier Stunden Wachphase. Die restlichen vier Stunden des 24 Stunden Tages muss sich der Körper erholen. Die Lebensphase ist 142 Jahre, den fünf Bewusstseins steht ein weiterer Körper zu. Allerdings lassen sich die populär „Schizo“ genannten Menschen nach gängigen medizinischen Methoden nicht mehr trennen.
Da die Lebenszeit in alle Variationen begrenzt ist, gibt es Zeitumverteilungscentrum, die Todesparks, in denen die Menschen oder Androiden freiwillig in verschieden schweren virtuell ausgetragenen Spielen gegeneinander antreten. Der Gewinn ist die Lebenszeit des Verlierers. Dieser Aspekt unterscheidet den Roman von den Robert Sheckley Kurzgeschichten und Romanen, in denen sich der Amerikaner viel Jahre vor „Die Tribute von Panem“ mit dem Thema Menschenjagd auseinandergesetzt hat. Im Gegensatz zu den Hungerspielen oder den Millionen, die es bei Sheckley zu gewinnen gibt, hat Guy Morpuss ein begrenztes Gut in den Mittelpunkt der sehr unterschiedlichen, immer ausführlich vorgestellten Spielen gestellt: Lebenszeit.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Alex, Kate, Sierra, Ben und Mike, der seinen athletischen Körper zur Verfügung gestellt hat. Mit siebzehn Jahren haben sie sich zusammengeschlossen, auch wenn insbesondere Sierra das eine Extrem, der schüchterne Ben das andere Extrem bilden. Das erste “bis dass der Tod Euch scheidet” Treffen verläuft angesichts der Mammut Herausforderung erstaunlich ruhig, fast wie eine Verabredung zum Kaffee.
In Rückblenden beschreibt Guy Morpuss einzelne wichtige Szenen dieses Multiplen. Im Laufen dieser einzelnen Spannungsbögen lernt der Leser nicht nur die einzelnen Persönlichkeiten näher kennen, sondern verfolgt die zwischenmenschlichen Spannungen und es scheint sich ein Täterprofil abzuzeichnen.
Die Rückblenden nähern sich mehr und mehr der Gegenwart, wo nach einem Aufwärmen in Form eines gewonnen Spiels Kate einer seltenen Versuchung erliegt. Sie spielt um fast zwanzig Jahre Lebenszeit, die ihr eine Androidin auf der Flucht vor ihrem Mann schenken will. Sie bittet, eine kurze Zeit als sechste in dem gemeinsamen Körper „wohnen“ zu dürfen. Kate öffnet damit in mehrfacher Hinsicht die Büchse der Pandora, welche über den Mord an einem Drogendealer zu einer inneren Zersetzung des kleinen Kollektivs führt. Und der Täter scheint genau zu wissen, wie er vorgehen muss, dank vorhandenem Insiderwissen.
Auch wenn die Charakterebene und der Plot eng miteinanderverbunden sind, kann man beide Bestandteile des Buches auf differenziert betrachten. Die Todespark sind in einer kontrollierten Welt anarchistische Zonen, in denen neben den nicht mehr registrierten auch Androiden leben, welche nicht immer legal transplantierte menschliche Bewusstseins beinhalten. Guy Morpuss erwähnt zwar, das sich diese Parks rund um die Welt befinden, handlungstechnisch konzentriert er sich auf einen Park. Es scheint eine größere No Go Zone zu sein, wobei die meisten Spiele ja in der virtuellen Realität stattfinden; die Besucher in Kabinen untergebracht sind und von der in ihre jeweiligen Szenarien „aufbrechen“. Die verfallenen Gebäude, die an den Film Noir erinnernde Infrastruktur und das Gefühl, sich in einem rechtsfreien Raum zu befinden, wirkt rein logisch betrachtet fast Sinn frei. Auch das erste Spiel – um die Stimmung anzuheizen – ist zwar eine Hetzjagd durch New York, findet aber ebenfalls in einer Simulation statt.
Die Spielvariationen sind vielfältig. Anscheinend bestimmt ein Computer das jeweilige Szenario. Es gibt für die Spieler einzelne Hinweise, welche Art von Wettkämpfen ausgetragen werden. Wer sich in diesen Todesparks befindet, muss in regelmäßigen Abständen spielen, ansonsten wird er zwangsrekrutiert. Je mehr Jahre jemand auf der Uhr hat, desto attraktiver ist das Ziel, aber auch höher die gestellte Aufgabe. Menschen und Androiden mit nur noch wenigen Tagen sind die Risiken nicht wert, gegen sie zu spielen und damit zu verlieren. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit bis zur Entsorgung.
Je mehr „Spiele“ Guy Morpuss präsentiert, um so mehr verliert der Roman in dieser Hinsicht auch an Reiz. Das klingt bitter, ist aber mit der „Alien“ Kopie Tatsache. Auch hier wird den verbliebenen Spielern eine No- Win Situation präsentiert. In diesem Fall gibt es einen engen Zusammenhang mit den Morden. Guy Morpuss gelingt es aber während dieses Szenarios nicht, den emotionalen Druck wirklich zu vermitteln.
Deutlich interessanter ist eine Art Gameshow, wo zwei der Schizos sich als potentielles Paar präsentieren müssen. Neben einigen Partnerschaftsfragen und Obszönitäten kommt es gegen Ende des Spieles zu einer lebensgefährlichen Situation. In diesem Abschnitt parodiert Guy Morpuss ausgesprochen gut die entsprechenden Fernsehsendungen.
Einen Kobayashi- Maru Test kann sich Guy Morpuss ebenfalls nicht verkneifen. Nur spielt diese Szene nicht im All, sondern unter Wasser und fordert das extremste Mitglied der Schizo Gruppe heraus.
In vielen Szenarien kommt es auf Intellekt und Entschlossenheit, weniger auf körperliche Kraft an. Zwei Herausforderungen wenden sich auch an die Sportler, wobei der Autor eine Idee aus Stephen Kings „Todesmarsch“ extrapoliert hat.
Diese Querverweise sind keine Kopien, sondern Guy Morpuss bewegt sich vor den angesprochenen Hintergründen zielsicher und vor allem auch spannend. Die Tragik dieser Geschichte liegt oberflächlich an der spieltechnisch abflachenden Kurve, der Autor kann die Szenarien nicht mehr steigern.
In diesem Punkt liegt rückblickend auch eine der Stärken des Romans. Kriminaltechnisch deutet sehr viel, im Grunde alles auf einen Verdächtigen hin. Das Motiv mag vage sein, aber diese Figur ragt aufgrund ihrer Exzentrik aus der Masse heraus. Nach der Lektüre sollte ein interessierter Leser den Plot noch einmal rückwärtig betrachten. Wie die Spielfiguren wird er bemerken, dass er auf der einen Seite vom Autoren ein wenig manipuliert worden ist, auf der anderen Seite aber viele relevante Fakten und vor allem Hinweise auf den eigentlichen Täter ausgesprochen offen, vielleicht sogar bis ins Klischee gesteigert präsentiert daliegen. Dem Leser fehlt aber das entscheidende Puzzlestück, um viele, wenn nicht fast alle Szenen plötzlich ganz anders zu betrachten. Diese überzeugende Vorgehensweise zeichnet einen guten Krimi noch mehr als einen Science Fiction Roman aus. Für einen Erstling ist es bemerkenswert, wie stilsicher sich Guy Morpuss sowohl in der Science Fiction als auch dem klassischen, von britischen Autoren geschriebenen Krimi bewegt. Beide Elemente werden rückblickend überzeugend zusammengefügt und ergeben nicht nur Sinn, sondern wirken ganz anders als es auf den ersten Blick erscheint. Jim Steinman und Meatloaf haben in dieser Hinsicht einen brillanten Song geschrieben: „Objects in the Rear Mirror May Appear Closer Than They Are“ und das ist auch hier der Fall.
Damit ein solches Szenario auch innerlich wie äußerlich funktionieren kann, müssen die Protagonisten und ihre Kommunikation dreidimensional und Stresstest sicher entwickelt werden. Schizopathen gibt es immer wieder im Thriller wie auch Science Fiction Genre. Daniel Keyes hat sich in einer Reihe von Romanen, basierend auf tragischen real lebenden Persönlichkeiten, mit diesem Thema auseinandergesetzt. Während in diesen Büchern eine Persönlichkeit in verschiedene Inkarnationen auseinandergebrochen ist, präsentiert Guy Morpuss ja mit dem Multiplen das genaue Gegenteil. Fünf sehr unterschiedliche Menschen haben sich zusammengeschlossen, um ein Ganzes zu werden. Nicht aus Not, sondern weil es in ihrer jeweiligen Zukunftsplanung die beste aller schlechten Möglichkeiten ist. Das ist die Ausgangsprämisse, die Guy Morpuss in der ersten relevanten Rückblende auch ausführlich vorstellt.
Auf der einen Seite muss der Autor fünf sehr unterschiedliche Persönlichkeiten präsentieren, die sich zu diesem Leben entschlossen haben. Auf der anderen Seite entwirft Guy Morpuss ein faszinierendes Szenario der Kommunikation zwischen den einzelnen Persönlichkeiten. Die Wachzyklen sind im Allgemeinen vier Stunden. Es kann die Zeit getauscht werden, dadurch werden einzelne Perioden länger. Wer gegen die Regeln verstößt, kann auch mit einer gewissen Stasiszeit bestraft werden. Im Allgemeinen hat jede Persönlichkeit eine feste Uhrzeit, zu welcher er aktiv sein kann. Anschließend verschwindet das Bewusstsein in einer Ruhephase und der Nächste erwacht. Es ist wichtig, den Körper in dieser Tauschphase an einem sicheren Ort aufzubewahren, eine Verpflegung des Nächsten ist auch nicht schlecht. Nachrichten können in einer Art Whats App Gruppe hinterlegt werden. Für einzelne Mitglieder oder die Gemeinschaft.
Die Beschreibungen des Schizo Lebens sind ausgesprochen genau und Guy Morpuss gelingt es relativ schnell, den fünf Mitgliedern überzeugende dreidimensionale Persönlichkeiten zu geben. Selbst die individuellen Charakterzüge mit ihren manchmal eitlen Stärken und Schwächen sind dem Leser von Beginn an präsent. Das ist eine der Stärken dieses Buches. Die Kommunikation ist manchmal originell bis bitter. Sie passt sich aber den vor Beginn der Verschmelzung stattfindenden Kennenlernphase an. Auch hier sind rückblickend einige Hinweise versteckt. Schwierig wird es, wenn eine Schizo Persönlichkeit sich verliebt und der Partner nicht immer die vier Stunden akzeptieren kann. Dieses Szenario ist einer der Wendepunkt des Buches, als weiterer Rückblick präsentiert. Aber auch hier ist die Art und Weise, in welcher Guy Morpuss vorgeht, doppeldeutig. Ein kleiner Hinweis wird erst am Ende des Buches wieder relevant und bewahrheitet sich auf eine erschreckende, aber außerhalb dieses Romans nicht einmal wirklich originelle Art und Weise. Guy Morpuss präsentiert wirklich einen alten Plot vor einem neuen, die „The Hunger Games“ extrapolierenden Hintergrund in des Kaisers neuen Kleidern. Und einige der Protagonisten sind am Ende der Geschichte emotional auch buchstäblich nackt.
„Five Minds“ ist ein cineastisch geschriebener nicht unbedingt dystopischer, aber auch jeden Fall utopischer Thriller, welcher neben den pointierten Dialogen; der überzeugenden, aber nicht ausufernden Hintergrund Beschreibung fünf in einem Charaktere präsentiert, welche neben den teilweise bizarr überzeichneten Nebenfiguren die Handlung auf ihren gemeinsamen Schultern tragen. Handlungstechnisch ist es ein Krimi, mit einem lange geplanten Verbrechen. Wie jeder Verbrecher scheitert der Täter schließlich für einige Mitmenschen zu spät an den Kleinigkeiten, welche ihm als Arroganz ausgelegt werden können. Das grundlegende Motiv ist hinter einem vorgeschobenen Katalysator klar herausgearbeitet und klassisch, fast klischeehaft zu nennen. Aufgrund der originellen Vorgehensweise und den vielen Ideen, die diesen kompakten Roman auszeichnen, spielt das „Five Minds“ als Ganzes betrachtet eine eher untergeordnete Rolle. Für einen Erstling ist „Five Minds“ eine beeindruckende Geschichte, die länger als auf den ersten täuschenden Blick auf die Handlungskonstruktion vermutet im Gedächtnis der Leser präsent bleibt.

- Herausgeber : Atrium Verlag AG; 1. Auflage, Ungekürzte (16. November 2023)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 384 Seiten
- ISBN-10 : 3855350582
- ISBN-13 : 978-3855350582
- Originaltitel : Five Minds
