Seit einigen Jahren gräbt der inzwischen in Spanien lebende Übersetzer Detlef Eberwein heute vergessene Autoren der phantastischen Literatur aus und präsentiert sie ihn von ihm eigens angefertigten Übersetzungen. In Zeiten von Maschinenübersetzungen legt der Herausgeber auf diesen Hinweise berechtigt werden. Nach Veröffentlichungen in der TCE Reihe aus Erfurt oder dem Kleinverlag Robert N. Bloch hat sich Detlef Eberwein auf das Book-on-Demand Verfahren konzentriert, wobei die letzte Veröffentlichung „Die graue Katze“ und das vorliegende Buch „Arabesken“ gedruckt nur noch über Amazon lieferbar sind.
Die Autorin der vier hier gesammelten Geschichten ist Mrs. Richard S. Greenough aka Sara Dana Greenough geborene Loring, die am 19. Februar 1827 in Boston zur Welt gekommen ist. Sie heiratete 1846 den amerikanischen Bildhauer Richard Saltonstall Greenough. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1885 lebte die Mutter von zwei Kindern alternierend in den USA wie auch Europa.
Der Klappentext spricht bei den vier hier gesammelten Geschichten von Erzählungen mit Frauen als Protagonistinnen sowie einer Mischung aus Fantasy und Sword & Sorcery angereichert um tapfere Ritter. Diese Beschreibung ist nicht hundertprozentig richtig, denn die hier gesammelten Geschichten verbunden klassische, vielleicht sogar romantisch klischeehafte Elemente der Ritterliteratur eher mit den Abenteuern und Ideen aus „1001 Nacht“.
In der ersten Geschichten „Monare“ wird der gerade zum Ritter berufene Walter von Ilzerey von einer geheimnisvollen Stimme gerufen. Sie fleht, ihre Gefangenschaft zu beenden und sie zu befreien. Auf seiner Reise findet der Ritter nicht nur einen strahlenden Rubinring, sondern eine Königsfamilie, deren Tochter schon in der Krippe von afrikanischen Piraten entführt und über das Meer gebracht worden ist. Der Ritter hat die Fähigkeit, sich und sein Pferd unsichtbar zu machen. So folgt er der Spur der jungen Prinzessin, ist aber auf die Hilfe einer alten Hexe angewiesen, deren Kräfte aus dem Orient stammen.
Die Grundhandlung der Geschichte ist bis zum Happy End eine Aneinanderreihung von Klischees der Ritterliteratur. Sprachlich intensiv, expressiv und von Detlef Eberwein mit viel Gefühl übersetzt verbergen sich die ansprechenden Facetten der Story in den Details. Wie angesprochen gibt es einige Hinweise auf den Orient. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist die finale Flucht vor den Piraten. An einer anderen Stelle ist es die Hexe, welche sehen kann, was der Prinzessin verborgen ist. Wunderschön ist auch der erste Handkuss. In dieser Szene nutzt die Autorin die phantastischen Elemente bis an ihre für den Leser nachvollziehbare Grenze komplett aus. Selbst das Werwolf Genre wird erweitert. Das Blut eines getöteten Werwolfs kann Menschen wieder zum Leben erwecken. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange sie schon tot sind. Der Ritter setzt dieses Mittel mehrfach im Laufe seiner Reise ein, um Menschen zu helfen oder Unrecht zu richten. Aber es ist keine Geschichte, in welcher Frauencharaktere das Zepter in die Hand nehmend, im Mittelpunkt der Story stehen. Es ist eine Rittergeschichte, es ist eine klassische Coming-of-Age Geschichte. Aus dem jungfräulichen Knaben wird ein Mann, der schließlich seine Traumfrau – ebenfalls noch Jungfrau – an den Altar führen wird.
Mehrere Geschichten werden aus der Ich- Perspektive der Protagonisten erzählt. „Apollyona“ beginnt mit dem Aufbruch eines jungen Ritters, der seines bisherigen Lebens überdrüssig geworden ist. Er reitet nach Süden und trifft in den Bergen auf die Pyrenäen Hexe. Die attraktive Frau verführt ihn und er reist mit ihr in ihr unterirdisches Reich. Ab diesem Punkt wird aus der bislang kompakt erzählten Geschichte eine Art übernatürlicher Reihen. Die Hexe erzählt ihm von den Dämonen, welche den sterbenden menschlichen Herrschern im richtigen Moment die Insignien ihrer Macht stehlen. Es ist die Geschichte eines Königs, der eine liebreizende Frau trifft und ihr sein Reich zu Füßen liegt. Dabei wird seine Naivität natürlich ausgenutzt. Der Ritter muss erkennen, dass er in den Bergen gefangen ist und Flucht nur mittels Demut möglich ist.
Im Vergleich zu der ersten Geschichte schleicht sich nicht nur in diesen Text ein religiöser, aus heutiger Sicht schwer verdaulicher Unterton. Nur Verzicht und Einsamkeit bieten eine die ganze Geschichte betrachtend konstruierte Rettung an. Viel interessanter ist der Zeit, welcher in den Erzählungen der verführerischen Hexe zusammengefasst wird. Unendliche Schätze befinden sich unter den Pyrenäen, zusammen gestohlen von Generationen von Dämonen, deren Spielzeuge die Menschen sind.
Die dritte Geschichte „Domitia“ wird aus der Perspektive eines Knaben erzählt. Zusammen mit seiner Schwester und seinem Stiefbruder, welcher der zukünftige Erbe der Ländereien seines Vaters sein wird, lebt er in Reichtum. Eines Tages bittet ihn ein Gefangener, mit seinem Vater sprechen zu dürfen. Er hat in seiner Zelle etwas gefunden. Leider kommt diese Bitte zu spät. Auf einem Reitausflug greift ein Falke das Pferd der Mutter des Erzählers ein. Diese wird niedergeworfen und müsste eigentlich an ihren Verletzungen sterben. Sie erwacht und ist Wesen verändert. Im Märchen würde von plötzlich von der bösen Stiefmutter sprechen. Im Schloss hören die Bediensteten plötzlich nachts immer Klopfgeräusche und niemand möchte die Königin mehr bedienen.
Der Plot ist deutlich stringenter und die Atmosphäre der Geschichte dunkler. Teilweise liegt das auch an der Erzählperspektive. Kein Ritter, kein Krieger in Spe, sondern ein Jugendlicher, der auf der einen Seite in Reichtum lebt, auf der anderen Seite das Schicksal der Gefangenen miterlebt. Wieder spielt eine Hexe eine Rolle und wieder geht es um Erlösung und den Übergang zu einer anderen, besseren Welt. Der Leser ahnt viel früher als der Erzähler den Zusammenhang zwischen der Zelle und der Königin, aber Mrs. Richard S. Greenough präsentiert trotzdem eine interessante Auflösung voll christlicher Symbolik.
Wie in den ersten Geschichte sind es vor allem Hexen, welche übernatürliche Mächte besitzen und damit eher den Status von Dämonen erreichen. Sie ziehen die Fäden im Hintergrund und verfügen teilweise über ausgesprochen große, aber meistens unterirdisch gelegene Reiche. Ihre Macht reicht über Tiere hinaus zu den Menschen, ist aber in einer Hinsicht auch endlich. Mit wahrem christlichen Glauben lassen sie sich bekämpfen. Das wirkt aus heutiger Sicht ein wenig naiv und stellenweise leichtgläubig, aber dank der erzähltechnisch überzeugenden Vorgehensweise akzeptiert der Leser schnell diese seltsame Welt zwischen christlicher Ritterromantik; übernatürlichen Elementen und immer wieder auch Anspielungen auf die arabische Welt, wie die diebischen Dämonen.
Die vierte Geschichte „Ombra“ ist beste Geschichte der Sammlung. Das liegt nur an den Fragen, welche der Ich- Erzähler abschließend direkt seinen Lesern stellt. Wie in „Apollyona“ ist es ein junger Ritter, der in die Welt zieht, um sein Glück zu suchen. Er wird gleich zwei für sein Schicksal relevanten Frauen begegnen. Gleich zu Beginn seiner Reise sucht er bei einer alten Frau Unterkunft in stürmischer Nacht. Es stellt sich heraus, dass sie ihre Gäste vergiftet und anschließend ausplündern lässt. Später wird er der geheimnisvollen Tochter eines Nekromanten begegnen, die ihm zusammen mit ihrem exzentrischen Vater hilft, einen Mordanschlag zu überleben und den eigenen Vater vor der Stiefmutter zu retten. Das Motiv der Stiefmutter findet sich auch in der dritten Geschichte Domitia“ wieder. Auf den ersten Blick scheint die Autorin auf Elemente aus der Märchenwelt zurückzugreifen, aber ihre Erbschleicherin sind mit höheren Mächten verbunden und haben Ziele, die weit über die Ermordung des Gatten hinausreichen.
„Ombra“ steckt voller Ideen. So schützt ein Skelett den Helden vor einem heimtückischen Anschlag. So ist es ein Gegenzauber, der schließlich in letzter Sekunde hilft. Eine Verkleidung als Mönch dient ihm auf dem Weg ins Schloss. Die Hexe / Mörderin zu Beginn der Geschichte ist keine herzlose Person, ihr Schicksal in seiner Still wird emotional zufrieden stellend beschrieben. Die wunderschöne wie geheimnisvolle gehört weder zur Welt des Lichts noch der Schatten. Wie in allen drei anderen Geschichten präsentiert Mrs. Richard S. Greenough aus dem Nichts heraus kleine, nicht einmal bis zum Ende entwickelte Ideen, welche ihre ritterlichen Geschichten in den Bereich der frühen Fantasy hinüberziehen, ohne das die erkennbaren Wurzeln im Orient, aber auch europäischen Märchen vernachlässigt werden. Keinem Genre wirklich zugehörig lesen sich die Texte ausgesprochen zeitlos, was weniger an der stellenweise ein wenig eindimensionalen Charakterisierung ihrer überwiegend männlichen Helden – alle im Schatten von Frauen, die sie zumindest zeitweilig direkt oder indirekt steuern -, sondern am Ideenreichtum und einem getragenen, von Detlef Eberwein sehr überzeugend übersetzten Stil liegt.
Wie alle Veröffentlichungen Detlef Eberweins in seiner kleinen, Verlagsübergreifenden Sammlung von vergessener Phantastik lohnt sich alleine die Anschaffung aus litraturhistorischer Sicht, um die eigenen Wissenlücken zu schließen und trotzdem schaurig schön unterhalten zu werden. Das Titelbild von Freepik passt sehr gut zu dieser Sammlung von vier im Grunde heute gänzlich unbekannten und doch interessanten ritterlichen Storys.
- ASIN : B0CKXN2Z6H
- Herausgeber :BOD (11. Oktober 2023)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 150 Seiten
- ISBN-13 : 979-8863031729