Michael Haitels p. machinery legt als schönen Hardcover mit einem stimmungsvollen Titelbild Thomas Hofmanns das einzige Romanfragment aus der Feder des vor zwanzig Jahren verstorbenen Autoren vor. Es ist der zweite Band der Hubert Katzmarz Werksausgabe und zusammen mit den beiden Bleiwenheim Anthologien der vier Hardcover, der innerhalb kurzer Zeit als Hommage an den Verleger und Autoren in einem die Regale schmückenden Format aufgelegt worden sind.
Neben dem nicht abgeschlossenen Romanfragment und der schon in der Sammlung „Die ewige Bibliothek und andere Geschichten“ publizierten Novelle, welche Hubert Katzmarz aus dem Romanfragment herausgearbeitet hat, finden sich „Verlorene Szenen“ – es gibt nur Notizen zu diesen Sequenzen – und ein ausführliches Nachwort von Andreas Fieberg, der diesen Band zusammengestellt hat. Es lohnt sich, mit dem Nachwort zu beginnen. Andreas Fieberg geht nur bedingt auf den Inhalt des Fragments ein. Aber ausführlich und als Augenzeuge erläutert er einige Hintergründe der Geschichte und versucht eine intensivere Verbindung zwischen Hubert Katzmarz, seinem bedingten Alter Ego in diesem Fragment und einem Pseudonym aufzubauen, welches der Autor/ Herausgeber immer wieder gerne genommen hat.
Die Keimzelle des Romans war laut Andreas Fieberg das selbstironische Bekenntnis der beiden Verleger und Freunde Fieberg und Katzmarz unter dem Titel „Das Geheimnis unseres Misserfolgs", eine Plauderei über das Verlagswesen. Eine Plauderei über die ungeschriebenen Werke und die unzähligen Möglichkeiten. Die künstlerisch ambitionierten Literaturzeitschriften mit ihren nicht kostendeckenden Produktionskosten und vor allem mangelnden Absatzmärkten bilden auch ein wichtiges Kapitel in diesem Buch. Bis ein echter Autor auftritt und von seinem „Erfolg“ berichtet. Auch wenn er schon ein Buch in einem echten Verlag veröffentlicht hat, ist er zur Absicherung seiner bürgerlichen, vielleicht sogar spiess bürgerlicher Existenz mit feierabendlichen Ausbruch Versuchen ein Beamter geblieben.
Bertram Kuzzath ist nicht nur ein verkrachter Schriftsteller und Student, der nichts zu Papier bringt. Bertram Kuzzath ist von Beginn seines Lebens an auch ein Außenseiter, vielleicht sogar eine Art Autist, der seine Welt in Farben, Formen, mit einer Liebe zu Dreiecken und bedingt Klang gliedert. Er kann nicht unbedingt mit Menschen und starke Emotionen verschrecken . Auch wenn nicht wirklich klar wird, warum er bis auf einige kurze Fragmente – dabei handelt es sich um eigenständig veröffentlichte Miniaturen Katzmarz - keine Kurzgeschichte, kein Gedicht oder von einem Roman ganz zu schweigen, zu Papier bringt, ist es vor allem die Lebensgeschichte eines kritisch gesprochen Lebensuntauglichen und weniger wie der ironische Titel impliziert, der Versuch, ein Meisterwerk der Literaturgeschichte basierend auf einem mythischen Vorfahren zu Papier zu bringen. Dieser prozess findet erst in der in sich abgeschlossenen Novelle statt.
Sollte sich der Titel des Romanfragments weniger auf die nicht vorhandene fiktive Geschichte innerhalb der Lebensgeschichte beziehen, sondern auf das hier vorliegende Werk, dann ist Hubert Katzmarz ein wenig unkritisch über das Ziel hinausgeschossen, denn die Lektüre von „Ein Meisterwerk der Weltliteratur“ ist wirklich auch stellenweise harte Arbeit. Zu egoistisch, fast narzisstisch, zu wehleidig und stellenweise auch ein wenig zu stark auf eine imaginäre, aber nicht unbedingt originelle Spitze hin sind die handelnden Personen konzipiert, fast auf dem Reißbrett des Schriftstellers der Notwendigkeit geschuldet konstruiert.
In seinem Kurzgeschichten Werk hat Hubert Katzmarz sich mehrmals mit den Herausforderungen eines Verleger( immer Kleinverlag) bzw. Autoren auseinandergesetzt. Der alltägliche Wahnsinn; die exzentrischen und selbstverliebten Autoren oder der Kampf gegen das Establishment. Mit pointierten Dialogen, prägnanten Beschreibungen und einem Gespür für die richtige Mischung aus Unterhaltung und Exzentrik lesen sich diese Kurzgeschichten heute noch sehr gut. Ellen Norten hat diese Arbeiten in „Im Garten der Ewigkeit“ zusammengestellt. Was im Rahmen einer Kurzgeschichte funktioniert, lässt sich nicht eins zu eins auf einen Roman übertragen. Das wird während der Lektüre von „Ein Meisterwerk der Weltliteratur“ schmerzlich deutlich.
Hubert Katzmarz setzt sich in dem Fragment auf zwei Ebenen mit seinem Protagonisten auseinander. In Rückblenden erfahren wir von seinem Heranwachsen mit einer Mutter, die im esoterischen Bereich nicht einmal geschäftlich unerfolgreich ist und einem Vater, der lange Zeit in fester Anstellung gearbeitet hat, bevor er mit seiner Erfindung des Perpetuum Mobiles freischaffend reich werden wollte. Natürlich scheitert er krachend, da es von seiner Art zu viele gibt. Der Besuch auf der Patent Anmeldestelle ist für Bertram Kuzzath ein einschneidendes Erlebnis. Hubert Katzmarz streift die Jahre des Heranwachsen mit den ersten Erfahrungen mit immer aktiv agierenden Mädchen; der Stress mit den verständnislosen Lehrern und schließlich der erste Schritt ins Erwachsenenleben mit einem Studium, gefördert von den Eltern.
Alle Episoden lesen sich solide bis teilweise humorvoll, aber kritisch gesprochen, sind sie nicht innovativ oder originell. Zu oft hat der Leser Vergleichbares in angeblich ernster Literatur gelesen. Alleine die Fokussierung des Protagonisten auf schon angesprochene einzelne Wichtigkeiten wie die Dreiecke im Kaleidoskop heben Kuzzath ein wenig über den Durschnitt.
Mit dem Studium, das den größten Teil des Buches einnimmt, wird es nicht besser. Kuzzath kann nicht schreiben. Ums Verrecken nicht. Er liebt Wein, Weib und Gesang, auch wenn ihm seine Freundin Monika den Laufpass und damit auch ein Dach über dem Kopf nimmt. Wie Spitzwegs berühmter Dichter haust er jetzt in einer nicht beheizten Dachkammer. Im Gegensatz zu dem alten Mann bemüht sich Kuzzath nicht einmal, etwas zu schreiben. Mit seinen Bekannten aus einem Literaturzirkel säuft er lieber. Dazu raucht er. Ab dem Fünfzehnten eines Monats ist das Geld alle und mittels Schnorren und Hungern versucht er die Zeit bis zum nächsten Scheck zu überstehen. Er geiert jungen Mädchen nach; vertreibt sich die Zeit mit virtuellen Spielen im Kaufhaus und wacht mehr als einmal nach einer durchzechten Nacht an einem Ort auf, von dem er nichts weiß. Eine kurze Zeit wirken diese Szenen unterhaltsam, aber schnell stellt sich buchstäbliche Langeweile ein. Ein literarisches Warten auf Godot übersteigt Hubert Katzmarz literarische Fähigkeiten. Andersherum kann auch argumentiert werden, dass der Autor des Rahmen sich zu sehr bemüht hat, etwas literarisches Auffälliges, vielleicht Wertvolles zu schreiben. Dabei hat er seine eigene Leichtigkeit verloren.
Der Klappentext spricht von tragisch komischen Helden aus der Gruppe der verkrachten Literaten, die sich die Zeit vertreiben. Sie suchen immer wieder neue und im Grunde auch naiv dumme Freundinnen, die im Gegensatz zur Männerwelt tatsächlich beruflich etwas geschafft haben oder so intelligent sind, dass sich ihre Hingabe zum schwachen Dichter Geschlecht nicht wirklich erklären lässt. Aber die Wege des Herren sind in der Liebe wunderlich und so muss der Leser diesen Ringelpiez mit teilweise Anfassen akzeptieren und manchmal staunend verfolgen.
Das Romanfragment bricht tragisch an der Stelle ab, an welcher es interessant wird. Durch einen Zufall erkennt Kuzzath, das der Dichter in ihrer Runde; der Schriftsteller mit Buchveröffentlichungen nur ein geschickter Verkäufer ist, der sich mit einem fiktiven Verlag brüstet. Sein neues Buch beschreibt in großen Teilen das Leben, das Kuzzath führt, vielleicht auch führen möchte, während seine eigene Studentenrealität durch den nachdrücklichen Besuch der Mutter in ihrer scheckheftgetriebenen Existenz grundlegend gefährdet ist.
Die einzelnen Szenen zeigen noch auf, welche Wege Hubert Katzmarz vielleicht gegangen wäre, aber bis zu diesem Zeitpunkt – in Seiten sind es fast dreihundert – balanciert der Autor auf einem schmalen Grat zwischen einem existentiellen Künstlerroman ohne wahre Kunst, dem Versuch, den literarischen Zirkeln vor allem der sechziger und siebziger Jahre in die Neunziger übertragen eine neue andere Identität ohne Aufgabe der kommunistisch sozialistisch parasitären Prinzipien zu geben und gleichzeitig den Leser zu unterhalten.
Zamburt Zarthek ist der Name von Kuzzaths Vorfahren, dessen Biographie er schreiben möchte. Ein Denker und Erfinder, der im Gegensatz zum eigenen Vater einer fiktiven Zeit deutlich voraus gewesen ist. Im Romanfragment ist Zarthek eine Art Perpetuum Mobile, welches Kuzzath zwischen den sich selbst bemitleidenden seelischen Abstürzen immer wieder ein klein wenig aus dem Sumpf von Zigaretten, Alkohol, Frauen und der ständigen Pleite zieht.
Die für die Phantastische Bibliothek in Wetzlar geschriebene und Teile des Fragments zusammenfassende Novelle „Ein Meisterwerk der Weltliteratur- science fiction Novelle“ stammt eben von diesem Zamburt Zathek und entschädigt für einige Längen auf dem Weg zu diesem literarischen Kleinod.
Zu Beginn hat Hubert Katzmarz einzelne Szenen aus dem längeren Werk übernommen. Teilweise wörtlich. Es handelt sich aber im Gesamtkontext betrachtet um erstaunlich nebensächliche Szenen. Als seine Skizzen zweimal wegen des versuchten Plagiats eines inhaltlichen bekannten, aber schwer erhältlichen Buches eines gewissen Zamburt Zathek abgelehnt werden, macht sich Kuzzath auf die Suche nach diesem Buch. Natürlich in der phantastischen Bibliothek zu Wetzlar. Hier trifft der Autor nicht nur auf einige Personen, die Katzmarz in seiner längeren Arbeit ausgefeilt hat, sondern auf den lebensfrohen Leiter der Bibliothek, unschwer als Thomas le Blanc zu erkennen. Damit diese Geschichte funktioniert, muss noch ein klassisches Science Fiction Instrument eingebaut werden, das jeglicher Logik widerspricht, aber effektiv die Story zu einem zufriedenstellenden, sich selbst befruchtenden Ende bringt.
Die Novelle funktioniert sehr viel besser als das Romanfragment. Die Zeichnung der Figuren auf den Punkt innerhalb dieser literarischen Kurzfassung ist überzeugend, die Dialoge pointiert und vor allem die kleinen Anspielungen auf die Bibliothek und deren Umfeld beleben den Text. Hubert Katzmarz konzentriert sich auch deutlich mehr auf einen fortlaufenden Science Fiction Plot, den erfahrene Leser erahnen können, der aber trotzdem irgendwie unterhält.
Natürlich ist es unfair, ein Romanfragment trotz der im Anhang vorhandenen weiteren, sehr unterschiedlichen Szenen mit einer vom Autoren fertiggestellten Novelle zu vergleichen. Bei der letzten Korrektur hätte Hubert Katzmarz noch einige Längen ausgleichen, Ecken und Kanten vor allem hinsichtlich der Charakterisierung der teilweise sehr unsympathischen Figuren ausgleichen können. Auch die eine Szene mit einem an AIDS sterbenden – im Anhang erwähnt – wirkt deplatziert. Das Geheimnis Trinis ist dagegen fast schon ein Klischee und entwertet diese gut angelegte Figur mit einem entsprechenden Selbstbewusstsein und vor allem dem selbst gewählten Weg, der sie als Waise programmiertechnisch sehr weit gebracht hat. Aber es wären Spekulationen, diese Szenen endgültig einzuordnen.
„Ein Meisterwerk der Weltliteratur“ ist in der vorliegenden Form eine interessante, aber das Romanfragment betrachtend auch ausgesprochen herausfordernde und nicht immer befriedigende Lektüre. Die Kurzgeschichte und die Novelle liegen dem zu früh verstorbenen Autoren hinsichtlich des hinterlassenden Werks deutlich mehr. Hier kann er nicht nur seine bizarren Ideen besser einbringen, sondern die Konzentration auf die Pointe und eine stringente Handlung heben die Texte unabhängig von der literarischen Qualität des ganzen Werkes aus der Masse vergleichbarer phantastischer Literatur dieser Zeit positiv hervor. „Ein Meisterwerk der Weltliteratur“ ist der vielleicht ein wenig zu bemühte Versuch, aus diesem Ghetto auszubrechen und das zu schaffen, woran sein Alter Ego Kuzzath schon auf der ersten Seite gescheitert ist: ein großes Stück Literatur zu erschaffen.
Hubert Katzmarz
EIN MEISTERWERK DER WELTLITERATUR
Roman und Novelle
AndroSF 92
p.machinery, Winnert, November 2023, 372 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978 3 95765 353 6 – EUR 35,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 749 7 – EUR 11,99 (DE)