Frankenstein

Mary Shelley / Bernie Wrightson

Der Wandler Verlag legt Mary Shelleys Klassiker in einer besonderen Edition als Hardcover neu auf.  Stephen King hat ein ausführliches Vorwort geschrieben. Schon in seinem Sekundärwerk „Dance Macabre“ hat sich der Amerikaner ausführlich über die Bedeutung von Shelleys „Frankenkein“ im Kontext des Horrorgenres und weniger als einer der ersten Romane der Science Fiction geäußert.

Bernie Wrightson hat Shelleys Roman auf 47 ganzseitigen Illustrationen optisch verfeinert. Ursprünglich erschien diese Kooperation in den USA 1983. In den letzten Jahren ist das Buch immer wieder sowohl als Hardcover wie auch Paperback neu veröffentlicht worden.  Im Herbst 2024 veröffentlicht der Splitter Verlag mit „Frankenstein Alive, Alive!“ eine Fortsetzung zu dieser einzigartigen Arbeit. Das Szenario stammt von Steve „30 Days of Night“ Niles.  Bernie Wrightson konnte die Arbeit an dem Buch aufgrund seines frühen Todes nicht mehr vollenden, sodass Kelley Jones mit Zustimmung Wrightson die Geschichte visuell vollenden konnte.

Bernie Wrightson ist einer der besten Comiczeichner des 20. Jahrhunderts gewesen 1948 in Baltimore geboren begann er als Karikaturist bei einer solchen Zeichnung, bevor er 1968 im Dc Verlag für verschiedene Serien zuständig gewesen ist: Mouse of Mystery und House of Secrets zeigen das ungewöhnliche Talent Wrightsons, Kreaturen sympathisch, verletzlich und trotzdem gefährlich abzubilden. 1971 schuf Wrightson zusammen mit Len Wein das Swamp Thing, das ein Jahr später seine eigene Comic Reihe bekommen hat. Eine von inzwischen sehr vielen Reihen mit dem großen, grünen Ding aus dem Sumpf.  Drei Jahre später wechselte Wrightson zu Warren Publishing und zeichnete für die schwarz-weiß Magazine Eerie, Creepy und Vampirella. Alle Zeichnungen in „Frankenstein“ sind ebenfalls in schwarz weiß. Nichts soll von seiner filigranen Feder, dem feinen Strich ablenken.  Mit Stephen King und George Romero arbeitete er an dem Episodenfilm „Creepshow“, sein erster künstlerischer Misserfolg, das Publikum nahm diese bizarre Homepage an die alten Comics der fünfziger Jahre nicht an .

Wrightson arbeitete nach der Adaption von Frankenstein im Auftrag des Marvel Verlags noch an „Spider-Man“, „Hulk“ oder einer Miniserie von „Batman:  The Cult“. Seine letzte direkte Comic Arbeit war die Miniserie „Punisher P.O.V.“

1986 wurde Wrightson mit dem Eisner Award, 1994 mit dem Harvey Award ausgezeichnet.

In den achtziger Jahren hat der Marvel Verlag eine Reihe von klassischen Werken adaptiert  oder besser illustriert. Neben „Frankenstein“ auch „Dracula“ oder „The Iliad“.  Mit Bernie Wrightson betrat aber ein reiner Comiczeichner dieses Medium, der bis dato nicht als Illustrator aufgefallen ist.  Seine Graphiken zeichnet im Gegensatz zu den unzähligen Comicadaptionen eine Besonderheit aus.  Obsessiv setzt er sich weniger mit dem Inhalt der Geschichte auseinander, sondern vor allem versetzt Wrightson seine „Leser“ und damit auch Betrachter in Shelleys Zeit und versucht, sowohl den technischen Fortschritt – in Shelleys Roman sicherlich die schwächste Flanke – sowie die Perspektiven der damaligen Künstler miteinander zu verbinden. Der Betrachter sollte sich nicht täuschen. Wrightsons Bilder sind modern mit einem antiquierten Charme. Seine Hintergründe sind perfekt gestaltet, aber Wrightson hat sich hinsichtlich des Monsters an den medizinischen Zeichnungen dieser Zeit orientiert. Ein weniger Swamp Thing mit den zerfetzten Klamotten muss sein, aber diszipliniert hat sich Wrightson Mary Shelleys Geschichte untergeordnet und die einzelnen, aus seiner Sicht wichtigen Aspekte aufgenommen und in wunderschönen, zeitlosen und doch auch in die Zeit der Entstehung dieses Buches passenden Bildern (Zeichnungen wäre ein zu schwacher Ausdruck, auch wenn es sich technisch um solche handelt ) aufgearbeitet.  Es ist nicht das erste Mal in seiner langen Zeichner Geschichte, dass sich Wrightson mit Frankenstein und seiner Kreatur auseinandergesetzt hat. In „The Monster Time“ gibt es eine Zeichnung Wrightsons, in welcher sich der Amerikaner an Boris Karloff markanten Make  Up orientiert hat. Wer sich das Bild aber genau anschaut, wird im unteren Teil schon Wrightsons Obsession mit den medizinisch technischen Details finden und die Darstellung der Menschen als die andere Art von Monster.

Nach den Zeichnungen für Fanzines folgte im Rahmen der „Swamp Thing“ Reihe mit dem Patchwork Man der erste Versuch, einen Mann abzubilden, der durch einen Amateur aus verschiedenen menschlichen Teilen zusammengenäht worden ist. Im Gegensatz zu Frankensteins gottloser Schöpfung handelt es sich beim Patchwork Man um das Opfer einer Minenexplosion; einen Menschen, dessen bisherige Existenz durch die Bombe und damit jegliche Rückkehr ins Leben auf den Kopf gestellt worden ist.  Wrightson orientierte sich noch an Boris Karloff, auch die von Len Wein geschriebene Geschichte verfügte über eine Reihe von Parallelen zu James Whales legendärem Film und damit weniger der Originalgeschichte. Sowohl das Swamp Thing als auch der Patchwork Man gelten in den Augen der Öffentlichkeit allerdings als Monster, als gottlose Kreaturen, die kein Recht mehr auf ein eigenes Leben in der menschlichen Gemeinschaft haben. Dieser Bogenschlag führt die Geschichte direkt zu Mary Shelleys Klassiker zurück.

1975 folgte mit „The Muck Monster“ im „Eerie“ Magazin 68 eine weitere Annäherung an Shelleys Originalgeschichte. Die Grundhandlung mit dem Wissenschaftler und seiner Kreatur ist Shelleys Roman entlehnt.  Der Wissenschaftler in der Kurzgeschichte ist ein Prototyp für Viktor Frankenstein aus der späteren  Marvel Ausgabe. Es lohnt sich, die beiden Zeichnungen gegenüberzustellen: Das Monster ist ein erster Schritt, von den Boris Karloff Adaptionen zu der tragischen Figur ist, die Bernie Wrightson visuell für Shelleys Buch entwickeln sollte. Groß gewachsen; das Gesicht erinnert eher an einen Totenkopf, dem das Fleisch fehlt, schwarzes volles Haar und große, melancholisch blickende Augen, die einen starken Kontrast zu dem Schädel bieten.

Im gleichen Jahr begann Wrightson mit der Arbeit an Frankenstein. Er ordnete sich dem Text unter und versuchte, Shelleys Roman zu illustrieren und nicht zu einer eigenen Geschichte im Comicformat zu machen. Die siebenundvierzig Zeichnungen präsentieren sich aber auch auf eine andere Art und Weise.  Wer den Text komplett ignoriert, wird in den Bildern die „Frankenstein“ Geschichte ohne Dialoge, alleine auf die Stimmung und Atmosphäre konzentriert, komprimiert wiederfinden. Die Unterordnung unter den Roman hat Wrightson zu einer außerordentlich disziplinierten Arbeit gezwungen, an keiner Stelle wollte der Amerikaner von der literarischen Vorlage ablenken und hat doch etwas Eigenes zu erschaffen.

Bernie Wrightson hat die Bilder nur in Tinte erschaffen. Sie sind außergewöhnlich detailliert und vom kleinsten Objekt im Hinterkopf bis zu den dynamischen Szenen durch konstruiert, ohne statisch zu erscheinen.  Technisch arbeitete Bernie Wrightson mit Dritteln. Das Auge wird unwillkürlich auf einen bestimmten Teil des Bildes hingezogen. Der Betrachter muss sich von diesen Bildausschnitten förmlich lösen, um anschließend das Ganze zu betrachten. Erst dann werden weitere Details sichtbar, welche den ersten Blickfang ergänzen, ihn bereichern.  

In einem späteren Interview ist  Bernie Wrightson auf seine Arbeit an “Frankenstein” eingegangen: 

“I’ve always had a thing for Frankenstein, and it was a labor of love. It was not an assignment, it was not a job. I would do the drawings in between paying gigs, when I had enough to be caught up with bills and groceries and what-not. I would take three days here, a week there, to work on the Frankenstein volume. It took about seven years.”

Es lohnt sich, vor der  erneuten Lektüre Mary Shelleys “Frankenstein” mit dem angehängten Essay aus der Feder Margaret Brantleys zu beginnen. Sie fasst einige wichtige Aspekte aus Mary Shelleys tragischem Leben und vor allem der Entstehung dieses Buches in der legendären, von Ken Russell auch in “Gothic” verfilmten Nacht zusammen. Die beste Informationsquelle im deutschsprachigen Raum ist weiterhin Alexander Pechmanns 2006 veröffentlichte Biographie.  Aber als Einführung in den Roman und damit Bernie Wrightsons Illustrationen ist das Essay aussagekräftig und liest sich inklusive der historischen Querverweise ausgesprochen informativ, ohne in einen belehrenden Ton abzudriften. 

Mary Shelleys Klassiker Frankenstein geht im Vergleich zu Bernie Wrightsons Zeichnungen fast unter. Michael Schmitt hat die Übersetzung von Heinz Widtmann überarbeitet und ergänzt, der unter anderem auch „Dracula“ übersetzt hat. Die Übersetzung von Heinz Widtmann ist relativ weit verbreitet, perfekt wäre eine Veröffentlichung mit der von Lars Dangel ausgegrabenen ersten Übersetzung des Buches aus dem Max Altmann Verlag gewesen, die gänzlich unbekannt ist.

Die Lektüre von Mary Shelleys Originalroman verdeutlicht dem Leser  noch mal, wie zeitlos der emotionale Kern der Geschichte ist. Viktor Frankenstein ist ein Mann, der sein Medizinstudium abbricht, um Gott zu spielen.  Aus Leichenteilen will er einen Menschen erschaffen und den natürlichen Zeugungsprozess umgehen.  Dabei wäre es für ihn als Mann ein leichtes, eigenes Leben zu schaffen. Vor allem in seinem jugendlichen Alter.

Viktor Frankenstein entzieht sich schließlich seiner Verantwortung. Er verlässt seinen eigenen Sohn, seine eigene Schöpfung. Die namenlose Kreatur versucht sich in die menschliche Gemeinschaft zu integrieren, indem sie sich selbst das Lesen und Schreiben beibringt. Auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner menschlich zu werden. Sein Äußeres kann er nicht verändern. Er wird erkennen, dass die Menschen generell nicht bereit sind, die äußeren Vorbehalte gegen die monströse Kreatur – aber deswegen kein Monster im eigentlichen Sinne der Definition – zu überwinden und ihn als durchaus intelligenten „Menschen“ mit Fähigkeiten anzuerkennen, die in der einfachen Bevölkerung dieser Zeit wenig verbreitet gewesen sind. Wie viele Arbeiter oder Bauern konnten im 19. Jahrhundert rudimentär schreiben oder lesen?

Der zweite Schritt zum Mörder an Frankensteins Bruder, seinem besten Freund und schließlich seiner Braut erfolgt erst, nachdem die Kreatur kontinuierlich Hass, Gewalt und Vorurteile erleben musste. Moralisch lässt sich diskutieren, ob die extremen Reaktionen mit drei Morden an teilweise unschuldigen Menschen berechtigt sind oder nicht.  Aber die erste Grausamkeit erlebt die Kreatur durch ihren Schöpfer, den eigentlichen Schurken dieser Tragödie: Viktor Frankenstein ist ein besessener Mann… getrieben, aus seiner bisher wenig erfolgreichen Existenz als Studienabbrecher, als aufmüpfiger Student etwas Erfolgreiches zu machen. Viktor Frankenstein sieht sich gottgleich. Aber im Gegensatz zu Gott kann er mit seinem Erfolg nichts anfangen. Die Erschaffung seiner Kreatur ist Höhepunkt und Tragödie seines Lebens.  Ganz bewusst zeichnet Mary Shelley ihren Viktor Frankenstein als den ersten Schurken ihres Buches. Dabei sucht sie in Form ihrer Schöpfung aber auch Verständnis. Da ihre Mutter bei ihrer Geburt starb, ist weniger sie als auch ihr Vater als Erzeuger für diese Tragödie verantwortlich. Während Mary Shelley mit dieser “Schuld” leben musste, verdrängte es ihr Vater. Genau wie Viktor Frankenstein die Verantwortung für seine Tat ablehnte.    

Denn Frankenstein hat einen Menschen erschaffen, der geliebt werden möchte. Unabhängig von seinem Aussehen aufgrund seiner inneren Werte. Dazu ist aber ein Narzisst wie Frankenstein als Vater nicht im Stande. Mary Shelley setzt sich in dem – natürlich – auf die Spitze getriebenen Verhalten zwischen Vater und seinem Kind intensiv auseinander.  Sie arbeitet nicht heraus, was Frankenstein sich mit seinen kümmerlichen medizinischen Kenntnissen vorstellen oder erschaffen wollte.  Schon während der Operationen muss Frankenstein klar gewesen sein, dass er keinen Adonis bauen kann. Dass er seine Kreatur nicht anschauen mag, ist inhaltlich konsequent und trägt zur Tragik der Geschichte bei, streng logisch betrachtet ist aber Viktor Frankenstein hinsichtlich des Äußeren nicht überrascht. Er ist ja dafür verantwortlich.

Die Kreatur ist der Antiheld der Geschichte. Eine Kreatur, irgendwie auch ein Mensch in einer Umgebung, die er nicht versteht und die er nicht akzeptiert. Ein einsames Wesen auf der Suche nach Liebe… erst vom Vater… später von einer möglichen Gefährtin. Ein Kind im Körper eines Erwachsenen, aber intelligenter und gebildeter als die meisten anderen Erwachsenen. „Frankenstein“ ist die erste literarische Schöpfung einer Reihe von missgebildeten Kreaturen, die weniger an sich selbst, sondern an der sie umgebenden Welt und den Mitmenschen scheitern.

Viele Rezensenten, vor allem des 20. Jahrhunderts sehen in der Kreatur ein Alter Ego der Autorin. Tochter einer berühmten Frau, die bei der Geburt starb. Vom Vater deswegen nicht geliebt. Verzweifelt suchte sie bis zu ihrer frühen Liebschaft mit dem verheirateten Percy Bysshe Shelley die Liebe des Vaters. Intelligent wie einsam.

Lange Passagen sind ausschließlich aus der Perspektive der Kreatur geschrieben. Bei der Familie, in deren Stahl er haust, lernt er zu lesen und zu schreiben. In erster Linie durch das Beobachten. Lange Monologe zeichnen diese Passagen aus. Der Drang, aus der Einsamkeit, der Ablehnung heraus mehr als menschlich zu werden, ohne den Grundbegriff der Menschlichkeit einmal am eigenen Leib kennengelernt zu haben, zeichnet diese auch heute noch lesenswerten Abschnitte aus. 

Über die Schöpfungsgeschichte hinaus zeigt sich Mary Shelleys Weitblick. Der Roman erschien mit einem Vorwort ihres damals noch lebenden Mannes anonym. Erst in einer weiteren Auflage wurde Mary Shelley als Autorin genannt und erntete plötzlich herbere Kritik als die anonyme Erstauflage. Wie die Öffentlichkeit dem Monster nicht ins Gesicht sehen konnte, wollten Kritiker nicht ertragen, dass einer der ersten frühen Schauerromane (aus heutiger Sicht gehört die Geschichte in den Bereich der SF) von einer Frau, dem schwachen Geschlecht, geschrieben worden ist. Unabhängig von der Qualität der Geschichte wurde “Frankenstein” disqualifiziert. Genau wie Frankensteins Kreatur alleine auf seine Äußerlichkeiten reduziert worden ist. 

Während die ersten Zeichnungen die Kreatur eher menschlich dargestellt haben, gelingt es Bernie Wrightson, ihn auf der einen Seite monströs und doch elegant darzustellen. Die Persönlichkeit zu skizzieren, sollte  einem erfahrenen Monstermann wie Wrightson nicht schwerfallen. Sein  Swamp Thing eroberte als eine weitere tragische Figur schnell ein großes Publikum, angetrieben von zutiefst humanistischen Geschichten. 

Die Kombination Mary Shelley und Bernie Wrightson eröffnet in dieser prachtvollen Ausgabe - mehr als vierzig Jahre nach der amerikanischen Erstveröffentlichung - einen vor allem neuen, visuellen Blick auf einen der wichtigsten frühen Science Fiction Romane des Genres mit seiner angesprochen humanistischen, Vorurteile geißelnden Grundeinstellung.   Die Wandler Ausgabe ist ein Prachtband und reiht sich in eine Phalanx mehrerer amerikanischer Prachtausgaben dieses modernen Klassikers der illustrierten Literatur nahtlos ein. 

Frankenstein

  • Herausgeber ‏ : ‎ Wandler Verlag (18. März 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 240 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3948825157
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3948825157
  • Lesealter ‏ : ‎ Ab 16 Jahren