Die Arbeiten des Herkules

Robert Kraft

Dieter von Reeken legt den 1910 veröffentlichten Kurzoman „Die Arbeiten des Herkules“ mit den Originalillustrationen als handliches Paperback neu auf. Die Geschichte erschien erstmals in der Reihe „Gesammelte Reise- und Abenteuer: Siebente Serie“ mit den fünf Illustrationen Adolf Walds, die alle hier nachgedruckt worden sind.  Acht Jahre vorher schrieb Robert Kraft eine moderne Version der Nibelungen. Gekürzt ist das Buch unter dem Titel „Goldschiff und Vulkan“ erschienen.

Mit dem modernen amerikanischen Herkules und seinem treuen die Aufgaben bzw. nach dem Titel Arbeitenden ausführenden Diener hat Robert Kraft eine interessante Variante der griechischen Saga geschrieben, welche die reiche verwitwete Amerikanerin Marion Ramsey dem Sohn eine Bierkönigs Herkules Piper nacherzählen muss. Damit die Leser über eine Grundlage verfügen.

Lady Marion Ramsay ist ein Frauentyp, der immer wieder in Robert Krafts Romanen auftaucht.  Mit mehr als vierzig Jahren immer noch sehr attraktiv, dreimal verheiratet und verwitwet. Inzwischen reich und gebildet. Sowohl in „Das Gauklerschiff“ als auch „Wir Seezigeuner“ werden sich diese Frauen in Robert Krafts Helden verlieben. Nicht jede dieser Romanzen endet glücklich. Aber Lady Marion Ramsay ist auch als Science Fiction Autorin tätig. In ihrer kurz von Robert Kraft zusammengefassten Version einer neuen Völkerwanderung haben die Barbaren aus dem Osten – sie schreibt von Mongolen – Europa erobert und die Deutschen sind nach Amerika geflohen, dem neuen Germania.  

Herkules Piper ist das genaue Gegenteil. Grundsätzlich verbindet die beiden Charaktere nur ihren Reichtum. An einer Stelle spricht Herkules Piper davon, dass die schönste Frau der Erde und der hässlichste Mann – damit meint er sich selbst – gut zusammenpassen.

Vor vierundzwanzig Jahren hat der sich gerne als Dandy kleidende, kleinwüchsige Herkules Piper Lady Marion Ramsay schon einmal einen Antrag gemacht. Den hat sie abgelehnt. Anschließend ist er verschwunden. Jetzt kehrt er aus dem Nichts wieder nach New York zurück und sucht am nächsten Tag schon Marion Ramsay auf.  Aufgrund seines Namens fühlt er sich dem griechischen Herkules verbunden und will in der Gegenwart ebenfalls zwölf, im Grunde unmögliche Aufgaben übernehmen (lassen). Wir eingangs erwähnt werden die Aufgaben noch einmal aufgezählt. Allerdings hat Herkules Piper in seinem Gefolge seinen Diener, ein von ihm seit der Geburt durch von ihm ausgesuchtes, perfekt geformtes Geschöpf.  Er soll die Arbeiten verrichten und führt gleich zu Beginn mit zahlreichen Verkleidungstricks seine Kunststücke vor.

Auch diese bizarre Gestalt des Herkules Piper findet sich in starken Abwandlungen in verschiedenen Romanen Robert Krafts wieder. In „Wir Seezigeuner“ ist es ein frühreifer Zigeunerjunge, der sich mit Bauernschläue und unzähligen Tricks ein eigenes Vermögen und schließlich ein eigenes kleines Inselreich aufbaut. Körperlich ist er seinen Mitmenschen unterlegen, aber mit stoischer Entschlossenheit an der Grenze zur Besessenheit verfolgen sowohl Herkules Piper als auch der kleine Zigeunerkönig ihre jeweiligen Pläne.

Lady Marion Ramsay soll die einzelnen Aufgaben stellen. Am Ende bietet Herkules Piper eine Art Geschäft an.  Sollte sein Diener alle gestellten Aufgaben verrichten, so verpflichtet sich Marion Ramsay, ihn zu heiraten. Sollte sein Diener scheitern, dann begeht Herkules Piper Selbstmord und sein Vermögen von mehr als sechs Millionen Dollar fließt der ohnehin schon reichen Witwe zu.

In anderen Romanen haben die reifen Frauen ihre jüngeren Helden erst platonisch und später stürmisch geliebt. Für Lady Marion Ramsay scheint dieser Herkules Piper eher eine Belustigung zu sein, dessen größtes Geheimnis in der Ausbildung seines Dieners liegt. Dieser wäre normalerweise mit seiner Eleganz, seiner Intelligenz, seinem Mut ein Objekt der Begierde für Robert Krafts Witwen.

Die erste Aufgabe entspricht noch der ersten Tat des Herkules. Ein Löwe ist  aus dem New Yorker Zoo ausgebrochen und bedroht die Menschen. Es handelt sich um eine besonders gefährliche Bestie.

Ab der zweiten Aufgabe wird es schwieriger, jeweils ein entsprechendes Äquivalent zu finden. Statt der mehrköpfigen Hydra soll Herkules Diener eine auf Sizilien ihr Unwesen treibende Bande von adligen Verbrechern unschädlich machen. Die neun Mitglieder der Bande bezeichnen sich als Hydra. Marion Ramsay ist neugierig und will Herkules Piper mit seinem sonderbaren Diener bei diesen Aufgaben begleiten.

Die erste Reise führt nach Sizilien und wie in einigen fast allen Romanen oder Kolportage Geschichten  öffnet sich dann für die Leser wieder der klassische Robert Kraft Schauplatz: die ganze Welt mit möglichst exotischen Hintergründen oder Kulturen.     

 Bis zur Erledigung dieser zweiten von insgesamt zwölf Aufgaben ist schon mehr als die Hälfte dieses kurzen Büchleins vergangen und der Leser stellt sich unwillkürlich die Frage, ob Robert Kraft die Geschichte wirklich zu Ende erzählen kann.  Alleine das Verhandeln mit der Hydra-Bande zwecks Übergabe des Lösegelds (aus dem Fundus des Herkules) für die festgehaltenen Geiseln umfasst vier, allerdings gut geschriebene Seiten mit Dialogen.   

Im Gegensatz zum strahlenden Herkules der Antike siegt der Neue durch Heimtücke. Zwar lässt sich das Argument nicht von der Hand weisen, dass auch sein Vorbild nicht immer mit ganz fairen Mitteln mystische Wesen besiegt hat, aber in der Ausführung der Taten gibt es doch einen gewaltigen Unterschied.

 Die dritte Aufgabe führt vor allem Herkules Pinter und seinen Diener, aber nicht mehr Lady Ramsay nach Afrika. Während der sich über Monate hinstreckenden dritten Aufgabe wird die Lady in London von einem geheimnisvollen Fremden aufgesucht, der gegen die Hälfte ihres Vermögens sie mittels Mord an Pinter von ihrem Versprechen zu befreien sucht. Sollte sie seinem Wunsch nicht folgen, würde er sich auf die andere Seite schlagen.

 Robert Kraft eröffnete zum ersten Mal in diesem Roman eine zweite Handlungsebene. An solchen kurzen Exkursen lässt sich erkennen, dass die ursprüngliche Planung der Geschichte deutlich ambitionierter und umfangreicher gewesen ist.

 In Afrika sollen Pinter und sein Diener nach einem vom Wund abgetriebenen Fesselballon mit seinem Piloten suchen. Seine Familie hofft, dass man den mutigen Mann noch lebend findet, auch wenn zwei Expeditionen kein Ergebnis ans Tageslicht gebracht hat. Pinter will dessen Spur mit seinem besonderen „Hund“ folgen, der quasi mit den Lieblingsstiefeln des Mannes die Verfolgung aufnehmen soll. Die Idee dahinter ist nicht neu in Robert Krafts umfangreichen Werk. „Der Graf von Saint Germaine“ wird diese besonderen Wesen als wahre Hellseher/ Wahrsager anerkennen. In „Wir Seezigeuner“ befand sich ein anderes Mitglied dieser Gattung an Bord. Erinnerungen werden auch an den Asketen aus „Das Gauklerschiff“ wach.

 Robinsonaden finden sich seltener in Robert Krafts Werk. Meistens bergen die abgelegenen Inseln andere Arten von Geheimnissen, aber im Gegensatz zur zweiten Aufgabe erfolgt die Lösung für den Leser nachvollziehbar und Pinter wendet keine Tricks an.

 Mit dieser dritten Aufgabe muss Robert Kraft das Interesse an der Geschichte verloren haben. In „Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde“ wurden die einzelnen Handlungsstränge immer komplexer, so dass der Autor vielleicht nicht mehr selbst durchgestiegen ist und die Handlung beendet hat. Das ist in der vorliegenden Geschichte nicht der Fall.

 Die vierte, auf den ersten Blick vielleicht einfachste und zugleich am meisten tragische Aufgabe wird innerhalb von wenigen Absätzen erfolgreich bewältigt.

 Schon vorher wechselt der Tonfall von einer übermütig abenteuerlichen Geschichte in fast kitschige Theatralik. Sowohl Lady Ramsey als auch Herkules Pinter versichern sich immer wieder, dass es weniger auf Kostüme oder großartige Gesten ankommt. Die inneren Werte zählen. Dabei durchschlägt Robert Kraft den gordischen Knoten seines weiteren Handlungsverlauf auf eine fast arrogante Art und Weise. Das es noch genügend potentielle Aufgaben für Herkules Pinter gäbe, stellt Lady Ramsey fest. Seines wichtigsten Werkzeugs beraubt sind diese aber unüberwindbar.

 So endet der Roman zwar auf eine Art bizarrem Happy End, aber der Leser fühlt sich auch wie in dem schon angesprochenen „Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde“ aus der Handlung gestoßen, quasi vor die Tür gesetzt.

„Die Arbeiten des Herkules“ zerfällt auf diese Art und Weise in zwei sehr ungleiche Hälften. Mit den bizarren, aber für Robert Krafts Werk nicht ungewöhnlichen Figuren und einer perfekten Ausgangsbasis – zwölf Aufgaben, welche mindestens einen Teil der Protagonisten rund um die Welt führen könnten – verspricht die Geschichte sehr gute Unterhaltung. Das kraftlose, kitschige Ende enttäuscht wie angesprochen. Es wirkt stark konstruiert. Auch hier sei an „Das zweite Gesicht....“ erinnert, bei dem sich Robert Kraft auch zu einem unglaubwürdigen Ende quälte.

 Durch die Kürze der ganzen Geschichte hält die Enttäuschung vielleicht weniger lang an als nach mehr als eintausendzweihundert Seiten im Kolportageroman. Trotzdem schöpft  Robert Kraft leider das in der Extrapolation vorhandene Potential nicht aus, auch wenn die empfehlens- wie liebenswerte Neuauflage diese seltsame Geschichte einer gänzlich anderen Lesergeneration wieder zugänglich macht.

 

Robert Kraft
Die Arbeiten des Herkules
Neuausgabe in neuer deutscher Rechtschreibung des erstmals 1910 erschienenen Romans.
Paperback, 104 Seiten, 6 Abbildungen - 9,50 €

www.dieter-von-reeken.de